Ist Winnetou aus der Zeit gefallen?Wie Karl May unsere Sicht auf Indigene prägt
Als Karl May die ersten Entwürfe seines Abenteuerhelden Winnetou skizzierte, als sich die ersten Weißen zum Verkleiden Federschmuck aufsetzten, da war Indigenen vieles noch verboten. In Kanada war ihnen das Wahlrecht bis 1960 versagt, in den USA verfolgte man bis in die 1960er Jahre eine Ethnozid-Politik - die kulturellen Eigenschaften aller indigenen Ethnien sollten ausgelöscht werden. Bis 1968 waren ihre religiöse Zeremonien verboten, Kinder wurden aus Familien entrissen und auf westliche Internate geschickt.
Von all dem ist in den Winnetou-Klassikern und anderen fiktiven Romanen und Filmen nichts zu sehen. Auch in der jüngsten Produktion nicht, „Der junge Häuptling Winnetou“. Gerade im Kino angelaufen, schon sind die beiden dazu gehörigen Bücher von Ravensburger aus dem Verkauf genommen worden.
Narrativ voll rassistischer und kolonialistisch geprägter Stereotype über Indigene?
Die Kritik an Film wie Büchern: Ein Narrativ voll rassistischer und kolonialistisch geprägter Stereotype über Indigene. Zu sehen sind stolze Männer, die für den Frieden töten und die mit Weißen Blutsbruderschaft schließen. Ein Bild, das sich seit Jahrzehnten in die Köpfe von Nicht-Indigenen gebrannt hat. Indianer, sie stehen für Freiheit, Natur, Mut, Männlichkeit, Wildnis, Exotik, Heroismus.
Tyrone White passt nicht so ganz in dieses Bild. Er trägt keinen Federschmuck. Fünf Federn, schreibt er in einer Kolumne für „Vice“ habe er von anderen O„ohe Nuŋpa Lakota erhalten, die Gemeinschaft habe fünfmal entschieden, dass er diese Würdigung erhält. Er wird wohl nie genug bekommen, um Kopfschmuck daraus zu machen, schreibt er. „Aber genau das machen die Rheinländer mit künstlichen Federn, ohne den religiösen und kulturellen Hintergrund zu verstehen. Für sie ist das ein lustiger Gag, wenn sie sich „verkleiden“. Ich lache nicht. Es tut mir weh“, heißt es in dem Beitrag.
„Die Deutschen sagen, man ist nur ein „echter“ Indianer, wenn man in den Rahmen passt, den die Deutschen sich anhand von Fantasieromanen erstellt haben“, sagt White in einem Beitrag von „Y-Kollektiv“. Die Deutschen würden sich Klischees zusammensuchen, die für sie passen - dabei aber alles Negative ausblenden.
Was bis teilweise in die 80er Jahre in Nordamerika verboten war, wird nun hierzulande als Kulturerbe gefeiert. Beim Karneval. In Büchern und Filmen von Karl May. Bei Wildwest-Shows und in Wildwest-Dörfern. „Das ist eigentlich richtig scheiße, dass Leute, die mit der Kultur gar nichts zu tun haben, indigenen Menschen sagen, was an ihnen ehrenswert ist“, sagt White in dem Film. Das würde die kolonialistische Ungerechtigkeit wiederholen - egal, ob die Leute damit ihre Faszination oder erneute Unterdrückung ausdrücken wollten.
Es gibt keinen Gegenpart, der das Zerrbild gerade rückt
Ein Problem, das White wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Aktivistinnen und Aktivisten sehen: Durch Geschichten wie die von Karl May wird ein Bild gezeichnet, das die Realität nicht nur ausblendet, sondern überlagert. Es gibt keinen Gegenpart, der dieses Zerrbild gerade rückt. Und so bleiben die Deutschen zurück mit einem romantisierten, kolonialistisch geprägtem Bild, das weder differenziert, wie vielfältig indigene Kulturen sind (alleine in den USA gibt es mehr als 500 Gruppierungen mit verschiedenen Traditionen und Sprachen), noch sich mit der Exotisierung der Menschen als wild und unzivilisiert auseinandersetzt.
Die Kinder, sagt White, würden Winnetou, Yakari und andere Geschichten und Figuren kennenlernen, würden deren fiktive Welten kennenlernen - sich außerhalb aber nicht mit der Thematik auseinandersetzen. „Das sind die, die dann den nächsten Winnetou-Film machen“, sagt er. Stereotype würden immer weitergegeben, jede Generation würde sie aufgreifen, ohne sich die wahren Begebenheiten anzuschauen. Für White ist das ein „Kreislauf des wohl gemeinten Rassismus“.
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Doch es gibt die Filme und Bücher nun einmal. Sie stammen aus einer Zeit, in der weniger reflektiert wurde als heute. In der weniger Menschen so viele Informationen zur Verfügung hatten. Sollen sie nun verbannt werden? Auch wenn nun einige „Cancel Culture“ und Verbote wittern - so weit geht es nicht. Im aktuellen Fall hat sich der Ravensburger Verlag als privates Unternehmen dazu entschlossen, zwei Bücher vom Markt zu nehmen. Wer Winnetou sehen will, kann das nach wie vor tun. Selbst der Film, Vorlage für die beiden Bücher, „Der junge Häuptling Winnetou“, ist im Kino zu sehen.
Kritik gab es an Büchern wie Film. Etwa für verwendete Begriffe, für White Washing (die indigenen Figuren werden von weißen Kindern gespielt), für die stereotype Welt, die kreiert wurde. Dennoch haben sich die deutschen Produktionsfirmen Sam und Leonine Studios sowie zahlreiche Kinos entschieden, den Film zu zeigen.
„Ein Verzicht auf die Sammel- und Fremdbezeichnung „Indianer“ bringt uns nicht weiter“
Entstanden sind so zwei Extreme: Ein Film, der nicht einordnet und an dem Kritik abzuprellen scheint. Und zwei Bücher, die vom Markt genommen wurden. Was kann die Lösung sein?
Während einige Menschen Begriffe wie Häuptling oder Indianer generell nicht mehr lesen möchten, weil dadurch kolonialistisches und rassistisches Gedankengut reproduziert wird, geht es anderen um die den Begriffen zu Grunde liegenden Stereotype. Die Native American Society of Germany schreibt etwa auf ihrer Website, nicht die Begrifflichkeiten seien das primäre Problem: „Ein Verzicht auf die Sammel- und Fremdbezeichnung „Indianer“ bringt uns nicht weiter, solange stereotype Vorstellungen an die nächste Generation weitergegeben werden.“
Mehrere Lösungen wurden in den vergangenen Jahren gefunden - wenngleich es wohl keine gibt, die beide Seiten vereint. In einigen Fällen war es einfacher als in anderen. In Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“-Büchern etwa lassen sich Figuren, die rassistisch dargestellt werden, herausstreichen oder umbenennen, weil sie keine große Rolle für die gesamte Geschichte spielen. In einigen beliebten Kinderliedern reicht es, Wörter auszutauschen.
Doch was, wenn die ganze Erzählung von rassistischen Stereotypen geprägt ist, wie im Falle von Karl May? So manch ein Anbieter hat sich zu kommentierten Versionen entschieden. So erschien unter großer medialen Beachtung eine kommentierte Ausgabe von Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“, das Passagen einordnet und Rassismen, Hass und Antisemitismus benennt.
Manche Anbieter setzen auf kommentierte Versionen
Auch die ARD geht in einigen Formaten so vor. In der ARD-Audiothek ist im Podcast „Kein Mucks!“ von Bastian Pastewka vor einer Folge eine solche Einordnung zu hören. Die Strategie erklärt Lina Kokaly, bei Radio Bremen zuständig für den Podcast, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Wir sortieren Stücke mit rassistischen oder anders diskriminierenden Aussagen in der Regel aus. Manchmal schneiden wir auch hier und da etwas raus, wenn es nur eine Kleinigkeit ist“, sagt sie. „Einmal haben wir einen Begriff in der Moderation vorab eingeordnet und uns davon distanziert. Ein etwas veraltetes, männliches Frauenbild bleibt hin und wieder stehen“, meint sie.
Ähnlich verhält es sich beim Deutschlandfunk. Auch dort wird seit einigen Jahren, im Zuge der gesellschaftlichen Diskurse, verstärkt auf möglicherweise problematische Kontexte und Sprache geachtet. „Es ist immer eine Abwägung“, sagt Marcus Gammel, stellvertretender Abteilungsleiter Hörspiel Feature Radiokunst dem RND, „es kommt gelegentlich vor, dass wir sagen: Der Text muss nicht nochmal produziert werden.“
Gleichzeitig gibt es auch Entscheidungen, rassistische Erzählungen stattfinden zu lassen. So ist eine Folge der Reihe rund um Professor van Drusen trotz N-Wort in der Audiothek abrufbar. „Wir haben uns gefragt, ob wir eine Folge der Reihe rauslassen“, sagt Gammel. Die Entscheidung sah anders aus, dem Hörspiel wurde eine Einordnung vorangestellt. „Man muss bei älteren Texten auch die Intension in der Zeit und die heutige Bewertung betrachten“, sagt er. Heute sei man im Diskurs um rassistische Sprache schlicht Jahrzehnte weiter.