Kai Wegner (CDU) wird erst im dritten Anlauf zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt. Die Abweichler werden bei der SPD vermutet.
CDU nach Wegner-Wahldrama„Parteiinterner Streit auf dem Rücken der Berlinerinnen und Berliner“
Kai Wegner ist wie versteinert. Kein Lächeln, keine sichtbare Erleichterung. Einfach nur starr geradeaus. Dabei hat die Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Cornelia Seibeld, gerade verkündet, dass er zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt ist. Der 50-Jährige ist damit eigentlich am Ziel seiner Träume. Lange war der Christdemokrat in seiner Partei unterschätzt, nun ist er es, der als erster CDU-Politiker nach mehr als 20 Jahren ins Rote Rathaus einzieht.
Aber seine schwarz-rote Koalition lässt ihn in den ersten beiden Wahlgängen durchfallen. Mit einigen Abweichlern bei der SPD war gerechnet worden, aber keinesfalls mit einer so hohen Zahl im ersten Wahlgang. Es ist natürlich eine geheime Abstimmung und man weiß nicht, ob alle Neinsager Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren. Aber immerhin hatte SPD-Landeschef Raed Saleh noch im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vor dem Mitgliederentscheid seiner Partei auf die Frage gesagt, ob es keine Abweichler in der Fraktion bei der Wahl von Wegner geben werde: „Die Basis entscheidet, und die Fraktion trägt die Entscheidung der Basis mit.“ Sollte bedeuten: Er hat seinen Laden im Griff.
Hatte er offensichtlich nicht. Auch nicht im zweiten Anlauf. Wegner fehlt immer noch eine Stimme. Schwer vorstellbar, dass die CDU Wegner auflaufen lassen wollte. Ein Hauch von „Heide-Mörder“ liegt in der Luft – das Synonym für die gescheiterte Wiederwahl der früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) 2005. SPD, Grüne und SSW verfügten damals über eine denkbar knappe Mehrheit im Landtag und wollten trotzdem eine Koalition eingehen, die CDU war aber stärkste Kraft geworden. Simonis scheiterten in vier Wahlgängen, bevor sie aufgab.
Im dritten Wahlgang schließlich wird Wegner gewählt
Im dritten Wahlgang bekommt Wegner schließlich 86 Stimmen – so viele Stimmen wie CDU und SPD gemeinsam haben. Allerdings: Die AfD behauptet, sie habe den CDU-Mann jetzt mitgewählt. Die Rechtsradikalen verfügen über 17 Mandate. Wie gesagt, es ist eine geheime Wahl. Deshalb ist nicht sicher, wer Wegner am Ende gewählt hat und wer nicht. Sein Gesichtsausdruck passt aber dazu, dass er sich von nun an vorhalten lassen muss, auch AfD-Abgeordnete – wieviele auch immer – hätten ihn gewählt.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) tritt postwendend auf den Plan. „Wenn man den Parlamentarismus schützen will, dann darf man sich niemals in die Hand dieser politischen Kraft begeben“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Er weiß, wie man sich fühlt, wenn man zur Wahl zum Regierungschef antritt und scheitert. Im Februar 2020 war er im Thüringer Landtag durchgefallen. Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich trat schließlich an und wurde im dritten Wahlgang völlig überraschend mit Stimmen aus CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Kurz darauf trat er aufgrund großen öffentlichen Drucks aber wieder zurück.
Als Wegner die Wahl annimmt, klingt seine Stimme brüchig
Es ist 16:42 Uhr, als Wegner hört, dass er nun Berlin regiert. Er braucht eine Minute, bis er lächeln kann. 16.45 Uhr nimmt er die Wahl an. Seine Stimme klingt brüchig.
Saleh und seine Co- Vorsitzende Franziska Giffey sind die ersten Gratulanten. Der Schock der ersten beiden Abstimmungsschlappen ist ihnen immer noch anzusehen. Sie hatten behauptet, dass sie über das Ergebnis beim Mitgliedentscheid von 54,3 Prozent „erleichtert“ gewesen seien. Aber es war eher ein Zittersieg. Und ein deutliches Signal, dass nichts in Butter ist und ein tiefer Riss durch die Sozialdemokraten geht.
Es gibt diesen linken Flügel in der Berliner SPD, der trotz der Wahlschlappe des rot-grün-roten Bündnisses unbedingt eine Neuauflage haben wollte. Mit Giffey als Regierende Bürgermeisterin – oder eben auch mit jemand anderen. Und obwohl der Abstand zu den Grünen von Bettina Jarasch nur ein paar Dutzend Stimmen klein war. Und obendrein, obwohl die Wahlsiegerin CDU 10 Prozentpunkte mehr bekommen hatte.
In der SPD rumorte es schon vorher: Zur Revolution aber kam es nicht
Zur Revolution kam es nicht – Giffey zum Rücktritt zu drängen und etwa durch SPD-Bundesgeneralsekretär – und Berliner – Kevin Kühnert als Anführer von Rot-Grün-Rot zu ersetzen. Er konnte es aber nicht lassen, dem „Spiegel“ zu sagen: „Kein SPD-Mitglied freut sich bei der Vorstellung, das Rote Rathaus an die CDU abzugeben. Unabhängig davon, wie man zu dieser Koalition steht.“ Und: „Gerade die Personalie Kai Wegner ist eine, die ich als Berliner für mehr als gewöhnungsbedürftig halte. Dieser Mann verkörpert wenig von meiner Heimatstadt, in der ich seit bald 34 Jahren lebe. Mir tut das weh.“
Weh tut Wegner am Donnerstag dies: Im ersten Wahlgang bekommt er 71 der 159 Stimmen. 80 Stimmen hätte er für die im ersten und zweiten Wahlgang nötige absolute Mehrheit haben müssen. Im zweiten Anlauf erhält er 79 Stimmen.
Daraufhin wird die Sitzung auf Antrag der CDU unterbrochen. Nach 90 Minuten wieder zusammengekommen, haben Linksfraktion und Grüne Klärungsbedarf: Denn es erscheint nicht sicher, mit welcher Mehrheit jemand im dritten Wahlgang überhaupt gewählt ist.
Laut Berliner Verfassung ist das der Fall, wenn der Kandidat die „meisten Stimmen“ bekommen hat. Dazu gab es aber zwei Lesarten: Die einen, die darin die relative Mehrheit sahen – also, dass Wegner mehr Ja- als Nein-Stimmen benötigt. Und die anderen glaubten, mit den „meisten Stimmen“ sei auch gemeint, dass eine einzige Stimme ausreichte - denn Wegner war der einzige Kandidat. Schnell stellte sich die Frage, ob es dann zu einer Gegenkandidatur kommen würde.
Senatsverwaltung ist sich nicht gleich über die Auslegung der Verfassung sicher
Auch die Berliner Senatsverwaltung ist sich nach RND-Informationen nicht gleich sicher, was die Auslegung der Verfassung betraf. Die Sitzung wird ein zweites Mal unterbrochen. Linke und Grüne hätten die Wahl gern vertagt.)
Um 16:19 Uhr beginnt der dritte Wahlgang. Wegner braucht mehr als Ja- als Neinstimmen. Und bekommt sie. Jarasch hält sich die Hand vor das Gesicht. Die CDU war der SPD in den Koalitionsverhandlungen weit entgegengekommen, damit dieses Bündnis zustande kommt: Gleichviele und wichtige Ressorts, Vergesellschaftungsrahmengesetz, Klima-Milliarden durch Schulden finanziert, liberale Migrationspolitik.
Die Christdemokraten reagieren wütend bis entsetzt. In der SPD gebe es offensichtlich viele, die Wegners Wahl nutzen wollten, um mit Giffey und Saleh abzurechnen, sagt der Schatzmeister und Kreisvorsitzende der CDU Tempelhof-Schöneberg, Jan-Marco Luczak dem RND. „Das ist staatspolitisch unverantwortlich.“ Luczak warf der SPD vor, die Berliner Bevölkerung aus den Augen zu verlieren. „Parteiinterner Streit wird hier auf dem Rücken der Berlinerinnen und Berliner ausgetragen.“
Kühnert will sich nicht zu dem Wahldesaster äußern. Nur soviel: „Wir sehen uns in drei Jahren bei der Wahl.“