Berlin/Mülheim an der Ruhr – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat klargestellt, dass es für die Reduzierung der Gaslieferungen Russlands an Deutschland aus technischer Sicht keinen Anlass gibt. „Die Nichteinhaltung der Lieferverträge hat keine technischen Gründe“, sagte Scholz am Mittwoch bei einem Besuch bei Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr, wo er eine dort zur Auslieferung an Russland bereitstehende Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 in Augenschein nahm.
Mit dem Fehlen dieser Turbine, die in Kanada gewartet worden war, hat der russische Energiekonzern Gazprom die Reduzierung der Gas-Liefermenge auf inzwischen nur noch 20 Prozent des möglichen Umfangs begründet.
Scholz zu gedrosselter Gaslieferung aus Russland: „Nicht auf Faktenbasis nachvollziehbar“
Die Turbine „kann jederzeit eingebaut und eingesetzt werden“, betonte jedoch Scholz. Was von russischer Seite dagegen vorgebracht werde, sei „nicht auf einer Faktenbasis nachvollziehbar“. Zudem gebe es auch abgesehen von Nord Stream 1 Kapazitäten, Gas über Pipelines durch Belarus oder die Ukraine zu liefern.
Auch der Vorstandschef von Siemens Energy, Christian Bruch, stellte anlässlich des Besuchs von Scholz mit Blick auf die Reduzierung der Gaslieferungen klar: „Technisch können wir es aus unserer Sicht nicht nachvollziehen.“
Russland hat laut Siemens genug Turbinen zur Verfügung
Was die Turbine angehe, so fehle für deren Lieferung nach Russland lediglich eine Anforderung durch Gazprom. Auch sei die in Mülheim auf ihren Weitertransport wartende Turbine nur eine von mehreren dieser Geräte, sagte Bruch weiter. In Russland gebe es „sechs solcher Turbinen plus zwei kleinere“. Für die vollständige Auslastung von Nord Stream 1 seien fünf Turbinen nötig.
Derzeit laufe nur eine davon - „deswegen sind wir bei 20 Prozent“ Auslastung der Pipeline, sagte der Siemens-Energy-Chef. Russland hatte die Gasliefermengen zunächst auf 40 Prozent der üblichen Menge verringert, dann auf nur noch 20 Prozent. Die Bundesregierung hatte dies zuvor bereits politische Maßnahme vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bezeichnet
Putin hat jetzt keinen Vorwand mehr
Bereits im Vorfeld des Besuchs hatte Scholz erklärt: „Mit der Lieferung der Turbine haben wir Putins Bluff auffliegen lassen.“ Den wegen der Turbinen-Lieferungen unter Druck geratenen kanadischen Premierminister Justin Trudeau nahm Scholz in Schutz. „Für mich entbehrt die Kritik an Justin Trudeau und seiner Regierung jeglicher Grundlage“, betonte er.
Unterstützung für Kanadas Premier Trudeau
„Bei der Entscheidung, die Turbine zu liefern, handelt es sich wohl kaum um eine Gefälligkeit gegenüber Gazprom, sondern vielmehr um ein starkes Zeichen der Unterstützung für Deutschland und Europa.“
Nach der Turbinen-Besichtigung des Kanzlers absolviert Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Mittwoch ihren Antrittsbesuch in Kanada - ungewöhnlicherweise nicht in der Hauptstadt Ottawa, sondern in Montreal, der Heimatstadt von Außenministerin Melanie Joly.
Wirbel um Verschiffung der Turbine und Druck auf Kanada
In der Metropole der Provinz Quebec wurde die Turbine gewartet, ein Besuch der Ministerin in dem dortigen Werk von Siemens Energy ist aber nicht geplant. Die Wartung und Verschiffung der Nord-Stream-1-Turbine hatte in den vergangenen Wochen in Kanada für Wirbel und Druck auf Premier Justin Trudeau gesorgt.
Ottawa umging mit der Auslieferung seine eigenen Sanktionen gegen Moskau und verärgerte damit auch die ukrainische Führung. Der Parlamentsausschuss für Auswärtige Angelegenheiten untersucht den Vorgang derzeit - am Donnerstag soll dort unter anderem Außenministerin Joly aussagen.
Russland hat Gaslieferungen seit Juni zurückgefahren
Auch die deutsche Botschafterin Sabine Sparwasser hat sich zu einer Aussage bereiterklärt. Der einflussreiche Weltkongress der Ukrainer, der Ukrainer in aller Welt vertritt, kündigte Mitte Juli sogar eine Klage gegen die Regierung wegen der Rückgabe der Turbine an.
Seit Juni hat Russland die Gaslieferungen über Nord Stream 1 zurückgefahren. Der Energiekonzern Gazprom begründete dies mit der fehlenden Turbine. Nach Angaben des russischen Energiekonzerns Gazprom ist sie wichtig, um den nötigen Druck zum Durchpumpen des Gases aufzubauen.
Gazprom mit Vorwürfen an Siemens Energy
Gazprom hatte seinem Vertragspartner Siemens Energy wiederholt vorgeworfen, nicht die nötigen Dokumente und Informationen zur Reparatur der Maschine übermittelt zu haben. Siemens Energy hatte die Vorwürfe von Gazprom zurückgewiesen.
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Nach Kremlangaben hofft Russland angesichts der gedrosselten Gaslieferungen durch die Pipeline auf eine rasche Rückkehr der reparierten Gasturbine. Nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist sie seit dem 18. Juli in Deutschland. (afp/dpa)