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Kardinal Franz HengsbachMissbrauchsvorwürfe gegen Essener Altbischof werden untersucht

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Die Skulptur des Essener Kardinals Franz Hengsbach hängt nach der Demontage vor dem Essener Dom im September an einem Kran und wird verladen.

Die Skulptur des Essener Kardinals Franz Hengsbach wird ihrer Demontage vor dem Essener Dom im September 2023 verladen. Die damals bekannt gewordenen Missbrauchsvorwürfe werden jetzt Gegenstand einer groß angelegten historisch-soziologischen Studie.

Eine Studie zu Missbrauchsvorwürfen gegen den 1991 gestorbenen Kardinal stellt erstmals das Handeln eines so hochrangigen Klerikers ins Zentrum.

Nach den 2023 bekannt gewordenen Missbrauchsvorwürfen gegen den verstorbenen Kardinal Franz Hengsbach (1910 bis 1991) sollen jetzt Leben und Wirken des „Ruhrbischofs“ mit seiner Verstrickung in den Missbrauchsskandal als mutmaßlicher Täter und Vertuscher umfassend aufgearbeitet worden.

Auftraggeber für eine historisch-soziologische Studie der „Forschungsstelle für Zeitgeschichte“ in Hamburg (FZH) unter Leitung des Historikers Thomas Großbölting sowie des „Instituts für Praxisforschung und Projektberatung“ (IPP) aus München sind die Institutionen, in denen Hengsbach eine leitende Rolle hatte. Neben dem Bistum Essen, wo Hengsbach als Gründungsbischof von 1958 bis 1990 amtierte, sind dies das Erzbistum Paderborn, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat und das Militärbischofsamt.

Missbrauchsvorwürfe gegen Essener Kardinal Franz Hengsbach werden untersucht

Die bisher bekannten Tatvorwürfe beziehen sich auf Hengsbachs Zeit als Bischof von Essen und zuvor als Weihbischof in Paderborn. Wie der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer bei der Vorstellung des Studiendesigns mitteilte, gingen seit dem Vorjahr auf einen entsprechenden Aufruf hin sieben weitere „Hinweise auf mögliche sexualisierte Gewalt“ ein.

Einzelheiten dazu nannte Pfeffer mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz der Betroffenen nicht. Zusätzlich habe sich eine Reihe von Menschen mit persönlichen Erinnerungen an machtmissbräuchliches, „irritierendes“ Verhalten Hengsbachs gemeldet.

Auch Auswirkungen der Missbrauchsvorwürfe an Kirchenbasis werden untersucht

Von einer umfassenden Auswertung aller bei den verschiedenen kirchlichen Institutionen vorhandenen Akten sowie von Gesprächen mit Betroffenen und Zeitzeugen erhoffen sich die Forschenden zum einen Erkenntnisse zu Täterschaft, täterschützendem Verhalten (Vertuschung) und Machtmissbrauch Hengsbachs in seinen kirchlichen Führungspositionen. Zum anderen sollen der kirchen- und zeitgeschichtliche Kontext berücksichtigt und die Auswirkungen der bekannt gewordenen Vorwürfe auf die Kirchenbasis am Beispiel dreier ausgewählter Essener Pfarrgemeinden dargestellt werden.

Die Forschenden wiesen darauf hin, dass Hengsbach zweifellos eine Schlüsselfigur für die katholische Kirche im 20. Jahrhundert war. Mit seiner Selbstinszenierung zwischen Reinkarnation eines Renaissance-Kirchenfürsten und kumpeligem Auftritt als „Bruder Franz“ habe er für das Bild der Nachkriegskirche als „Siegerin in Trümmern“ gestanden. Als Bischof des einzigen in der Nachkriegszeit neu gegründeten westdeutschen Bistums habe Hengsbach „jedem Arbeiter seine Kirche neben das Bett gestellt“. Später spiegelten sich in Hengsbachs Repräsentation Kirche ungewollt auch die Säkularisierungsschübe der folgenden Jahrzehnte.

Aus Hengsbachs Familie wurden Vorwürfe gegen die heutige Bistumsleitung laut

Schon nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Hengsbach brachen heftige Diskussionen über den Umgang mit Gedächtnis und Vermächtnis des Verstorbenen los. Hoch umstritten war die Demontage einer Hengsbach-Statue auf dem Essener Domplatz. Nicht zuletzt hätten Angehörige des Kardinals der heutigen Bistumsleitung unter Bischof Franz-Josef Overbeck die Veröffentlichung unbewiesener Behauptungen vorgeworfen, gegen die der Tote sich nicht mehr wehren könne.

Am Ende der auf drei Jahre angelegten Forschung soll neben einem Abschlussbericht auch eine „historische Biografie“ Hengsbachs stehen. Die Gesamtkosten veranschlagen die beiden beteiligten Institute mit knapp 800.000 Euro. Flankierend wirkt eine Begleitgruppe mit, in der auch Betroffene vertreten sind. Johannes Norpoth vom Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz beglückwünschte die Auftraggeber der Studie ausdrücklich. Erstmals rücke am Beispiel eines hochrangigen Klerikers kirchliches Führungshandeln ins Zentrum der Betrachtung. Schon zu Lebzeiten sei Hengsbach eine „sakrosankte Figur“ gewesen. Doch keine noch so gute Tat, kein noch so positives Engagement dürften hier „als Make-up die hässliche Fratze übertünchen“.

Zum bisherigen Umgang der Bistümer Essen und Paderborn mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Hengsbach sagte Pfeffer, „wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert“. Tatsächlich hielt das Bistum Informationen zurück, die somit nicht mehr in eine im Februar 2023 veröffentlichte Missbrauchsstudie eingehen konnten. „Wir waren nicht amüsiert“, sagte Helga Dill vom bereits damals beauftragten IPP zu dem Informationsstau. „Diesmal wollen wir in alle Schubladen schauen“, fügte sie hinzu.

Es gebe in der Kirche immer noch große Schwierigkeiten, über die Schattenseiten auch vermeintlicher Lichtgestalten zu sprechen, führte Pfeffer aus. „Das zeigt, wohin es führt, wenn wir so ein massiv religiös überhöhtes Amtsverständnis pflegen.“ Aus den Akten träten oftmals die Funktionäre der zweiten Reihe als entscheidende Akteure hervor, weniger die Bischöfe selbst. So könnte der Eindruck entstehen, diese seien eigentlich gar nicht beteiligt gewesen, warnte Pfeffer. Auch deswegen gelte es die systemischen Hintergründe von Machtmissbrauch aufzuhellen.


Aufruf der Forschungsteams

Die Forschungsteams bitten alle, die „etwas zum Thema beitragen können“ um Mitwirkung an der Studie. Gefragt sind insbesondere Erfahrungen mit und Informationen über Kardinal Hengsbach – auch jenseits etwaiger Kenntnisse von sexuellem Missbrauch. Alle Angaben werden absolut vertraulich behandelt und anonym ausgewertet. Auch eine anonyme Kontaktaufnahme mit den Forschenden ist möglich.

Kontakt per E-Mail, Telefon 089-54359770 oder per Post an: IPP München, Ringseisstr. 8, 80337 München.