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„Personalabbau wäre fatal“Die Pandemie und hohe Energiekosten bedrohen Kliniken

Lesezeit 4 Minuten
MorellPflege

Sparzwang an Krankenhäusern kann zu Personalabbau führen.

  1. Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, im Interview.
  2. Der Ukraine-Krieg belastet auch den Klinikshaushalt durch gestiegene Energiepreise.
  3. NRW-Krankenhäuser sehen sich einem massiven Sparzwang ausgesetzt.
  4. Warum das Kinderabteilungen und die Geburtshilfe bedroht.
  5. Klimaneutralität und Finanzen: Was die nächste Landesregierung leisten soll.

Herr Morell, die Bundesregierung hat Corona für beendet erklärt. Was halten Sie davon?

Ingo Morell: Ich kann nur hoffen, dass das Virus die neue Corona-Schutzverordnung gelesen hat und sich daran hält - das war jetzt Galgenhumor. Denn in den Krankenhäusern spüren wir nichts davon, dass die Pandemie zu Ende ist.

Wir sind noch weit weg vom Normalbetrieb. 75 Prozent der Krankenhäuser müssen sogar ihre Leistungen einschränken. Wir haben Ausfälle bei Beschäftigten des ärztlichen und des pflegerischen Dienstes, aber auch in allen anderen Personalgruppen. Alle müssen aber da sein, damit ein Krankenhaus funktionieren kann. Ich kenne kein Haus, das im Normalbetrieb ist: Auch wenn die Intensivstationen nicht am Limit sind, die Covid-Stationen sind trotzdem sehr voll und beeinträchtigen den Betrieb im Krankenhaus. Jetzt kommt erschwerend hinzu, dass die Kliniken sich mitten in der Pandemie einem Sparzwang ausgesetzt sehen.

IngoMorell

Ingo Morell ist Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen.

Wieso – der Bund hat doch einen Rettungsschirm über die Klinken aufgespannt….

Ja, der hat uns auch lange geholfen. Aber Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass die Ausgleichszahlungen am Ostermontag auslaufen, als wäre Corona dann vorbei. Die sind jedoch entscheidend für die Liquidität der Krankenhäuser. Sie sind eine Art Vorschuss, um coronabedingte Erlöseinbußen abzufedern, die sie erst in einem Ganzjahresausgleich geltend machen können. Für diesen gilt als Basis das Budget im Jahr 2019, das letzte Jahr vor Corona. Davon wurden dann zwei Prozent abgezogen, die die Häuser selbst einsparen sollten.

Seit 2019 hat es aber massive Kostensteigerungen in allen Bereichen gegeben, so dass die Bundesmittel nicht mehr auskömmlich sind. Jetzt kommt noch der Krieg in der Ukraine mit seinen Folgen hinzu. Auch die Klinken müssen viel mehr Geld insbesondere für Energie ausgeben.

Was hat das für Folgen?

Wegen der Pandemie sind viele Operationen verschoben worden. Die Belegung liegt zehn bis 15 Prozent unter dem Jahr 2019. Das bedeutet, dass den Kliniken wichtige Einnahmen verloren gegangen sind. Viele Häuser haben Liquiditätsprobleme. Sie müssen bei den Banken Kredite aufnehmen. Und gucken, wo sie Geld einsparen können. Da fällt der Blick naturgemäß zuerst auf die Personalkosten.

Kinderabteilungen und Geburtshilfe in Gefahr

Personalkürzungen würden das angeschlagene Gesundheitssystem aber zusätzlich schwächen.

Ja, es wäre fatal, wenn wir Personal abbauen würden, das uns nicht nur bei einer möglichen nächsten Coronawelle dann schmerzhaft fehlen würde. Ich befürchte, dass es zu einem strukturellen Kahlschlag kommt, wenn die Liquidität der Krankenhäuser nicht mehr abgesichert würde. Dann würde man es nicht dabei belassen können, Personal auszudünnen. Auch die Schließung ganzer Abteilungen könnte im Raum stehen.

Können Sie das konkretisieren?

Davon wäre wohl vor allem die „sprechende Medizin“ betroffen: Zum Beispiel Kinderabteilungen oder die Geburtshilfe. Die haben hohe Fixkosten und waren oft schon vor Corona defizitär. Aber genau solche Schritte gilt es ja zu verhindern.

Was erwarten Sie jetzt von Gesundheitsminister Lauterbach?

Herr Minister Lauterbach muss die Verordnung zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser so schnell wie möglich abändern und die Ausgleichszahlungen verlängern – oder eine vergleichbare Lösung anbieten. Wir sind zu Gesprächen bereit. Wenn es nach Ostermontag keine weiteren Hilfen gibt, bricht vielen Krankenhäusern die Liquidität weg. Die Folgen wären ein gefährlicher Kahlschlag, wie ich ihn eben angedeutet habe. Krankenhäuser sind Daseinsvorsorge, die verlässliche Strukturen mit hohen Fixkosten voraussetzt. Wer aber eine Liquiditätslücke nicht überbrücken kann, kann diese Daseinsvorsorge nicht mehr aufrechterhalten. Unser dringender Appell an den Bundesgesundheitsminister ist es, einen sonst drohenden kalten Strukturwandel zu verhindern. Es geht nicht um Bereicherung, sondern nur um die notwendige Liquidität, damit die Krankenhäuser ihr Personal halten können. Alles fließt später in eine Gesamtabrechnung ein.

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Wie beurteilen Sie die neue Quarantäneregelung?

Wir hätten uns gewünscht, dass eine Kursänderung im Umgang mit der Pandemie der tatsächlichen Entwicklung folgt und nicht nur einer Hoffnung auf Besserung ab dem 1. Mai. Die geplanten schärferen Quarantäne-Regeln für Beschäftigte im Gesundheitswesen und in der Pflege sind den Betroffenen kaum noch vermittelbar, zumal diese Einschränkungen nur im Arbeitsumfeld und nicht im privaten Bereich gelten werden. Dieser Schritt schafft zusätzliche Unsicherheiten. Wir sind deshalb froh, dass die Landesregierung die bestehenden Hygiene-Vorgaben für Krankenhäuser und Pflegeheime aufrechterhält.

Am 15. Mai sind Landtagswahlen in NRW. Was erwarten Sie von einer künftigen Landesregierung?

Es geht um vier Handlungsfelder, die die nächste Landesregierung angehen muss: Sie muss erstens dringend die bisher chronisch unterfinanzierte Investitionsförderung aufstocken und den Substanzverzehr beenden. Zweitens muss sie den über viele Jahre aufgelaufenen Investitionsstau angehen. Der wirkt sich nämlich auch auf das dritte Feld, den Klimaschutz, aus: Die neue Landesregierung muss eine Perspektive für klimaneutrale Krankenhäuser schaffen. Viertens – und das ist von zentraler Bedeutung – muss sie die neue Krankenhausplanung mit den erforderlichen Finanzmitteln zum Fliegen bringen.