AboAbonnieren

Interview

Kölner Psychologe
Das Phänomen Trump – Wie kann ein Lügner und Pöbler so erfolgreich sein?

Lesezeit 5 Minuten
Woher rührt der Erfolg von Donald Trump?

Woher rührt der Erfolg von Donald Trump?

Psychologe Stephan Grünewald vom Kölner Rheingold-Institut erklärt die Attraktivität Donald Trumps mit einem Rückfall in „totemistische Stammeskulturen“.

Herr Grünewald, der US-Wahlkampf ist voller Überraschungen: Kandidatensturz und -aufstieg bei den Demokraten, ein gescheitertes Attentat auf den Kandidaten der Republikaner. Das sind ja nicht nur politische Vorgänge, das bewegt auch die Herzen und die Seelen der Menschen. Wie stellt sich für Sie die Lage dar – keine drei Monate vor der Wahl?

Was mich beschäftigt, ist das verbreitete Unverständnis für den schier ungebrochenen Erfolg Donald Trumps. Hierzulande fragen sich viele: Wie kann das sein? Der Mann lügt in einem fort, er pöbelt gegen seine Konkurrenz, er hangelt sich von einer Anklage zur nächsten. Warum sehen Trumps Anhänger das nicht? Woher rührt diese geradezu sektenhafte Verehrung?

Stephan Grünewald

Stephan Grünewald

Und Sie haben eine Erklärung?

Ich glaube, es hat mit zwei grundverschiedenen Wirklichkeitslogiken zu tun. Die Entgeisterung über eine Politiker-Persönlichkeit vom Schlage Trumps folgt den Standards von Vernunft, von Recht und Gerechtigkeit, von Demokratie, die wir seit dem Zeitalter der Aufklärung verinnerlicht haben. Diese Vernunft-Attitüde trifft in den USA auf einen Rückfall in totemistisches Stammesdenken.

Totems? Wie erklären Sie das denen, die damit seit der Winnetou-Lektüre nicht mehr zu tun hatten?

Totemismus meint eine mythische Verbundenheit einzelner Menschen und ganzer Gemeinschaften mit Naturerscheinungen, zumeist mit Tieren. Diese haben eine enorme große Bedeutung für die Identitätsstiftung in einer totemistischen Stammeskultur. Alle, die dazugehören, haben das Gefühl einer gemeinsamen „Abstammung“ von diesem Totemtier und fühlen sich durch dessen Eigenschaften miteinander verbunden.

Trump verkörpert die Wunscheigenschaften, die seine Anhänger zusammenhalten: Trump ist wie wir - wir sind wie er.
Stephan Grünewald

Wie soll ich mir das vorstellen?

Nehmen wir an, wir gehörten zu einer Gruppe, einem Stamm, dessen Totemtier der Adler ist. Dann haben wir als gemeinsam teil an der Kühnheit, dem Scharfblick, der Stärke des Adlers. Totemistisches Denken ist uns nicht so fremd, wie es sich vielleicht auf Anhieb ausnimmt. Schon in der Kita gehören die Kinder zur Löwengruppe, Giraffengruppe, Delphingruppe, Mäusegruppe. Die Kinder in diesen Gruppen identifizieren sich mit den prägenden Eigenschaften des jeweiligen Tiers. Das Ganze setzt sich fort bei den „Wappentieren“ im Fußball mit dem Kölner Geißbock, die Gladbacher Fohlen, das Duisburger Zebra – oder beim Eishockey mit den Haien, den Adlern, Panthern, Eisbären und was es da sonst noch alles gibt.

Und Sie sagen, das Gleiche gilt für die Trump-Anhänger in den USA?

Totemismus spielt außerhalb des Vernunftdenkens, folgt magischem Denken, animistischen Logiken. Totemismus hat sehr viel mehr mit Tagträumen zu tun als einem realistischen Blick auf die Wirklichkeit. Genau da sind wir bei Trump und seiner Klientel. Das traditionelle Wappentier der US-Republikaner ist ja der Elefant. Dessen Qualitäten als Totem repräsentiert Trump geradezu perfekt mit seiner schier unbändigen Wucht im Auftritt, dem lauten „Trumpeten“ und der Bereitschaft, alles „niederzu-trump-eln“, was ihm in die Quere kommt. Er ist, so könnte man auch sagen, der menschgewordene Elefant im Porzellanladen. Und er verkörpert damit Wunscheigenschaften, die seine Anhänger zusammenhalten: Trump ist wie wir – wir sind wie er.

Make America Great Again ist ein totemistischer Slogan.
Stephan Grünewald

Was ja schon deshalb widersinnig ist, weil Trump über ein Milliardenvermögen verfügt, während viele seiner Wähler jeden Dollar zusammenkratzen müssen.

Das sind wieder jene rationalen Erwägungen, die vor totemistischem Denken versagen. Wenn Sie sagen, „aber er lügt doch in einer Tour“, dann geht das am Erleben der Trump-Anhänger vorbei. Sie nehmen seine Lügen nicht als Lügen wahr, sondern als eine Art höherer Wahrhaftigkeit: Mit seinem Verhalten folgt Trump der inneren Logik des Totemtiers. Und seine Anhänger sagen: Er hat – wie wir – eine Elefantenseele. Darin sind wir eins. Und das führt sie heraus aus ihrer eigenen Ohnmacht, hinein in das Gefühl, Anteil an den Qualitäten ihres Totems zu haben. Neben bedingungsloser Gefolgschaft ist damit auch der Glaube daran verbunden, die Welt tatsächlich im eigenen Sinne verwandeln zu können. „Make America Great Again“, kurz MAGA – das ist ein totemistischer Slogan.

Lässt sich diese Logik denn irgendwie durchbrechen? Anders gefragt: Haben die Demokraten mit Kamala Harris und Tim Walz Chancen, Trump einen Teil seiner Wähler abspenstig zu machen?

In der Symbolik der Bilder verhieß der US-Wahlkampf noch vor wenigen Wochen die Entscheidung zwischen Sterben und Leben: Bei Joe Biden hatte man das Gefühl, er stolpert bei jedem Auftritt dem eigenen Tod entgegen. Trump hingegen ist bei dem gescheiterten Attentat dem Tod triumphal von der Schippe gesprungen. Das war die ultimative Bestätigung für die Kraft des Totemtiers. Jetzt steht im eine Frau gegenüber, die selbst Lebendigkeit ausstrahlt, Jugendlichkeit, Charme. Und ihr Vize-Kandidat Tim Walz verkörpert Bodenständigkeit, Volksnähe. Das ist noch kein totemistisches Angebot, wohl aber das Angebot einer lebensnahen, den Menschen verbundenen Demokratie.

Der AfD ist es noch nicht gelungen, jemanden zu etablieren, der sich als Totem eignet.
Stephan Grünewald

Die US-Demokraten haben übrigens auch ein Wappentier, den Esel.

Aber er ist nicht Teil einer totemistischen Kultur – was beim Esel auch etwas schwierig wäre. Stattdessen setzen Harris und die Demokraten im Grundsatz auf die erwähnte Tradition der Aufklärung mit politischer Vernunft, demokratischen Standards, kosmopolitischem Denken, authentischem Diskurs.

Ist das Paradigma des Totems übertragbar auf deutsche Verhältnisse?

Noch ist das bei uns nicht das große Thema. Aber auch hierzulande spüren wir zunehmende Zweifel an der Demokratie, die insbesondere von der AfD aufgenommen werden. Viele Menschen erleben die Demokratie inzwischen weniger als Verständigungs- und Versöhnungsprojekt denn als ständigen Streitfall mit langwierigen Prozessen, die in – vermeintlich  - faulen Kompromissen enden. Dem steht die Sehnsucht nach der starken Hand und dem schnellen Durchgriff gegenüber. Das könnte das Aufkommen totemistischer Stammeskulturen begünstigen. Allerdings ist es der AfD noch nicht gelungen, jemanden zu etablieren, der sich als Totem eignet.