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Kölner Psychologe„Die Verzögerung führte zu einer steigenden Impfbereitschaft“

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Covid-Impfung in NRW

  1. Nach Aufhebung der Impfpriorisierung werden die Skeptiker wieder stärker in den Blick geraten.
  2. Die Motive für eine Impfung sind in der Bevölkerung sehr unterschiedlich verteilt.
  3. Der Psychologe Stephan Grünewald erklärt, wie die Impfkampagne reagieren sollte und warum eine Impfpflicht schädlich wäre.

Herr Grünewald, mit baldiger Aufhebung der Impfpriorisierung werden diejenigen wieder in den Blick kommen, die nicht geimpft werden wollen. Wie hat sich die Einstellung zur Impfung in der Bevölkerung entwickelt?

Die noch laufende Diskussion um die Priorisierung ist der Verknappung geschuldet. Das wird sich in wenigen Wochen erledigt haben.

Und damit auch der Impfneid?

Es gibt ja zwei Formen von Neid: den zerstörerischen Neid, der an uns nagt und frisst. Und den produktiven Neid. Ohne den Neid auf seine große Schwester würde der kleine Junge nicht so schnell laufen lernen. Der Neid auf die Nationalspieler motiviert Fußballer zum Extratraining. Der Impfneid ist von dieser anspornenden, beflügelnden Qualität. Er hat erheblich dazu beigetragen, dass die Impfkampagne jetzt Fahrt aufgenommen hat, weil viele Menschen das Gefühl bekommen haben: „Ich will auch dabei sein.“ Besser, wir sind impfneidisch als impfmadig.

Die Impfmadigen gibt es demnach auch?

In unseren Analysen können wir drei Gruppen unterscheiden. Die erste Gruppe sind die Schutzsuchenden, die von Anfang an zur Impfung entschlossen waren. Sie sind und bleiben leicht motivierbar. Aus Sorge um ihre Gesundheit nehmen sie auch den Gang ins Impfzentrum in Kauf, sehen sich allerdings beim Arzt ihres Vertrauens am besten aufgehoben. Es war deshalb auch psychologisch wichtig, die Hausärzte in die Impfkampagne einzubeziehen.

Die zweite Gruppe?

Ich nenne sie die Abwartenden oder Gelassenen. Diese Menschen haben nach einem Jahr den Eindruck gewonnen, dass sie sich auch ohne Impfung ganz gut schützen können - mit Abstand, Maske, Hygieneregeln. In dieser Gruppe geht so etwas wie ein Unverwundbarkeitsgefühl um: „Mich wird es schon nicht treffen.“ Diesen Menschen geht es beim Impfen weniger ums Überleben, sondern um ihr Leben. Der Impfpass wird für sie von einem Schutzbrief zunehmend zu einem Freifahrtschein, der ihnen in absehbarer Zeit den Restaurant-Besuch oder das Reisen erleichtern wird. Das ist für diese Gruppe ein ganz starkes Motiv für die Impfung.

Bleiben die Impfskeptiker.

Die weitaus meisten sind keine Corona-Leugner. Sie setzen aber auf ihre Selbstheilungskräfte und misstrauen der Injektion fremder Substanzen. Aus Sicht dieser Gruppe würde die Impfung die mit dem Grassieren des Virus verbundene Ohnmachtserfahrung nur noch verstärken, weil man dieser Ohnmacht nur entgeht, indem man sich einer fremden Schutzmacht unterwirft. Genau hier müsste Impfkampagne bei dieser Gruppe ansetzen.

Nämlich wie?

Indem deutlich wird, dass die Impfung die körpereigenen Abwehrkräfte unterstützt und stärkt. Der Körper kann dank des Impfstoffs besser mit dem Virus zurechtkommen.

Hilft die Werbung mit Sympathieträgern wie Uschi Glas oder Günter Jauch?

Ja. Interessant ist aber auch, dass das anfängliche europäische Impfdesaster einen positiven Nebeneffekt für die Impfkampagne hatte. Die Zeitverzögerung und die Verknappung verfügbarer Impfstoffe führten zu einer steigenden Impfbereitschaft. Es machte sich das Gefühl breit: Erstens wird niemand zu etwas gezwungen oder genötigt, und zweitens handelt es sich bei diesem Impfstoff offenkundig um ein seltenes, wertvolles Gut, um das es sich zu kämpfen lohnt. Zudem hatte der transparente Umgang mit Risiken – und hier speziell die kurzzeitige Aussetzung der Impfung mit Astrazeneca – gezeigt, dass die Verantwortlichen Vorsicht walten lassen.

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Wird das die Gruppe der Impfskeptiker so weit schrumpfen lassen, dass das Ziel der Herdenimmunität erreicht wird?

Wenn sich 20 Prozent der über 16-Jährigen verweigern, wird es kritisch. Man muss allerdings sagen, dass die Skepsis zu Beginn der Pandemie noch viel größer war als heute.

Dann vielleicht doch eine Impfpflicht, die auf Gesetzestreue, Regelbefolgung und widrigenfalls auf Sanktionen setzt?

Ich rate nicht zu einer solchen allgemeinen Impfpflicht. Sie würde die Vorbehalte und die Skepsis nur wieder vergrößern oder sie sogar bei manchen erst wecken, die auf freiwilliger Basis zur Impfung bereit sind. Die derzeitige Dynamik lässt psychologisch gerade so etwas wie eine Massenbewegung entstehen. Das Impfzentrum wird zum Ort einer allgemeinen Mobilmachung. Motto: „Durch das Impfen besiegen wir das Virus.“ Die Geimpften gewinnen nicht nur ein Stück persönliche Sicherheit zurück, sondern sind auch stolz, einen Beitrag zu dieser kollektiven Corona-Abwehr geleistet zu haben. Umgekehrt entsteht so ein gewisser sozialer Druck auf alle, die noch überlegen, dass auch sie mitmachen.

Stephan Grünewald ist Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts. Der Psychologe ist auch Mitglied im Corona-Expertenrat der Landesregierung von NRW.