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Kommentar

Kommentar zur Landtagswahl in Brandenburg
Blaues Auge für die demokratische Mitte

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Lesezeit 3 Minuten
Dietmar Woidke, Brandenburgs Ministerpräsident und Vorsitzender der SPD in Brandenburg, nach seiner Stimmabgabe zur Landtagswahl in Brandenburg bei einem Interview.

Dietmar Woidke, Brandenburgs Ministerpräsident und Vorsitzender der SPD in Brandenburg, nach seiner Stimmabgabe zur Landtagswahl in Brandenburg bei einem Interview.

Der massive Vertrauensverlust der Regierungsparteien auf Bundesebene zieht deren Ergebnisse in den Ländern runter. Ein Stimmungstest für die Bundestagswahl 2025.

Der fast zwei Meter große Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke hat sich in den vergangenen Wochen noch einmal aufgebäumt: Er will nur weiterregieren, wenn seine SPD bei der Landtagswahl vor der vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften AfD über die Ziellinie kommt. Alles auf eine Karte. Nun scheint die SPD in Brandenburg laut erster Prognose mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.

Es gibt keinen Grund zum Jubeln: Die AfD Brandenburg mit dem rechtsextremen Scharfmacher Hans-Christoph Berndt an der Spitze liegt auf Augenhöhe mit den Sozialdemokraten. Da sind nicht irgendwelche Rechtspopulisten zum Erfolg gekommen. Nein, es handelt sich um eine Landespartei, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung bedroht. Diese AfD will einen autoritären Staat errichten.

Grüne kratzen an Fünf-Prozent-Hürde, FDP erneut „pulverisiert“

Die Ampel-Regierung in Berlin trägt Mitverantwortung an dem knappen Ergebnis von Brandenburg. Woidke hatte versucht, sich von den Regierungsparteien in der Hauptstadt so weit wie möglich abzusetzen. Auftritte mit Bundeskanzler Olaf Scholz vermied er weitgehend, um den Unmut der Bevölkerung über „die da“ in Berlin aus seinem Wahlkampf rauszuhalten.

Er hat sich sogar lieber via Doppelinterview Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer als Wahlkampfhelfer geholt, der vor drei Wochen bei der Wahl in Sachsen die CDU als stärkste Kraft im Landtag gegen die AfD verteidigen konnte. Unter normalen Umständen: Eine abenteuerliche Maßnahme in einem Wahlkampf.

Für Scholz und seine Ampelparteien ist das Ergebnis laut erster Prognose nur das Ausbleiben des großen Debakels. Wenn die SPD ehrlich ist, wird sie sich eingestehen müssen, dass zur Rettung der Demokratie viele Menschen in Brandenburg SPD gewählt haben, die das sonst eher nicht tun. Der massive Vertrauensverlust der Regierungsparteien auf Bundesebene zieht deren Ergebnisse in den Ländern runter.

Die Grünen kratzen an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Liberalen sind erneut pulverisiert. Brandenburg ist seit der Wende fest in sozialdemokratischer Hand. Nun steht dem Land wahrscheinlich eine ähnlich komplizierte Regierungsbildung bevor wie in Sachsen und Thüringen.

Linkspartei durch sowohl links- als auch rechtspopulistische BSW gedemütigt

Als letzter Stimmungstest vor dem Bundestagswahljahr 2025 ist die Abstimmung in Brandenburg besorgniserregend verlaufen. Den Parteien, die bisher die Republik gelenkt haben - Union, SPD, Grüne und FDP - trauen die Menschen offensichtlich nicht mehr zu, die Probleme der Zeit zu lösen und ihre persönlichen Sorgen zu lindern.

Und die Linkspartei, einst Volkspartei im Osten, ist vor allem durch das zugleich links- und rechtspopulistisch schillernde BSW gedemütigt. Der Beweis, dass das BSW tatsächlich bereit ist zur Übernahme von Verantwortung und ein verlässlicher wie pragmatischer Regierungspartner sein kann, steht noch aus.

Ampel muss sich einigen Fragen stellen

Die Stärke der AfD lässt sich nicht mehr als vorübergehendes Phänomen eines Sammelbeckens für Protestwähler abtun. Innenpolitisch wird der Druck steigen, die AfD an die Fleischtöpfe der Macht zu lassen.

Entweder werden die Brandmauern bröckeln, was unverantwortlich wäre, oder die demokratischen Parteien der Mitte werden in Teilen Positionen der AfD übernehmen - wie dies beispielsweise die Sozialdemokraten in Dänemark in der Migrationspolitik getan haben.

Dass die Ampelregierung diesen Trend aufhalten kann, indem sie durch breit akzeptierte, klare, gemeinsame und gut kommunizierte Entscheidungen wieder mehr Akzeptanz für ihre Politik findet, ist unwahrscheinlich. Die drei Parteien werden in den kommenden Wochen die Frage entscheiden müssen, ob eine Fortführung ihrer Regierung der Demokratie und dem Land mehr nutzt oder mehr schadet.