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Kommentar

Lage in der Türkei
Recep Tayyip Erdoğan, der tückische Präsident

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Lesezeit 3 Minuten
Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei

Die Türkei erlebt den schlimmsten Schlag gegen die Demokratie seit Jahrzehnten. Erdogan macht er sich die aktuelle Weltlage zunutze.

Lange hatten viele Türken geglaubt: Wir haben Recep Tayyip Erdoğan durch freie Wahlen an die Macht gebracht – durch freie Wahlen werden wir ihn auch wieder los. Doch jetzt erweist sich der türkische Präsident als tückischer Präsident. Er betreibt den Übergang zur Diktatur.

Die am Sonntag verkündete Anordnung der Untersuchungshaft gegen Erdoğans aussichtsreichsten politischen Rivalen ist der schlimmste Schlag gegen die Demokratie in der Türkei seit Jahrzehnten. Vorausgegangen war über Jahre hinweg eine lange Kette autokratischer Missetaten, darunter die politische Säuberung der Justiz.

Was nun? Für den inhaftierten Ekrem Imamoglu ist dieser Moment noch nicht zwingend das Ende der Geschichte. Seine Anhänger wollen den populären Istanbuler Bürgermeister weiterhin zum Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl 2028 machen. Nach normalem Lauf der Dinge - und bei Beachtung der Amtszeitbegrenzung in der türkischen Verfassung - dürfte Erdoğan dann schon nicht mehr antreten.

Setzt Erdoğan jedoch vorgezogene Neuwahlen an, könnte er weitermachen - während Imamoglu nur aus der Zelle zusehen kann. Will Erdoğan allen Ernstes einen solchen Putsch durchziehen? Es könnte die Türkei zerreißen.

Die inzwischen bereits anschwellenden Massendemonstrationen - allen polizeilichen Verboten zum Trotz - sind ein Warnsignal. Erdoğan riskiert Machtkämpfe, die am Ende nicht mehr nur im Saal ausgetragen werden.

Der schlechte Einfluss Trumps

Die Europäische Union muss und wird, wie schon oft, mit all ihrer ökonomischen Macht gegensteuern. Die Frage der Marktzugänge für türkische Produkte ist und bleibt ein Hebel. Erdogan aber weiß: Die EU braucht die Türkei im Augenblick mehr denn je für ihre gerade im Aufbau befindlichen neuen geostrategischen Koalitionen gegen Russland. Brüssel wird deshalb nur gedämpft agieren können.

In Istanbul setzen Beamte der Bereitschaftspolizei Tränengas ein, um Demonstranten während einer Demonstration gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu vor dem Caglayan-Gerichtsgebäude zu vertreiben.

In Istanbul setzen Beamte der Bereitschaftspolizei Tränengas ein, um Demonstranten während einer Demonstration gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu vor dem Caglayan-Gerichtsgebäude zu vertreiben.

Den Europäern gefällt unter anderem, dass Ankara prinzipiell auf einem Rückzug Russlands aus der Ukraine beharrt - und damit einen klareren Kurs fährt als die USA. Jüngst erst hat Erdogans Außenministerium erklärt, Moskau müsse auch die schon 2014 besetzte Krim wieder räumen.

Als katastrophal allerdings wird in Brüssel gleichzeitig der Demokratieabbau unter Erdogan empfunden. Im Rahmen der auf lange Sicht angelegten Gespräche über einen Beitritt der Türkei zur EU waren zu diesem Punkt regelmäßige „Fortschrittsberichte“ geplant. Jetzt wäre, wenn man konsequent wäre, ein Rückschrittsbericht fällig.

Leider kommt auch aus den USA wenig Hilfe. Amerikanische Präsidenten wie Bill Clinton, Barack Obama und Joe Biden hätten und haben einst geholfen, die Türkei so gut es geht zurückzuschubsen auf demokratische Gleise. Heute dagegen schaltet, wie „Politico“ meldet, Elon Musk die X-Accounts türkischer Oppositioneller ab. Zugleich orakelt der außenpolitische Sonderbeauftragte des Weißen Hauses, Steven Witkoff: „Ich denke, der Präsident pflegt eine gute Beziehung zu Erdogan, und das wird wichtig sein.“

Erdoğan nutzt dies alles aus. Zu besichtigen ist in der Türkei neben vielen anderen erschreckenden Dingen der schlechte Einfluss Donald Trumps auf die gesamte Welt.