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Warum die Hoffnung auf eine atomwaffenfreie Welt eine Illusion war

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ARCHIV - 30.11.1970, Frankreich, Mururoa-Atoll: Nach der Explosion einer französischen Atombombe schwebt dieser riesige Atompilz über dem Mururoa-Atoll.

Frankreich, Mururoa-Atoll: Nach der Explosion einer französischen Atombombe im November 1970 schwebt dieser riesige Atompilz über dem Mururoa-Atoll.

Die Atommächte setzen wieder auf eine atomare Abschreckung - und sie meinen es so ernst wie lange nicht mehr.

Es lag ohnehin auf der Hand, aber mit diesem Bericht bekommt die Welt es Schwarz auf Weiß geliefert: Der Traum von Wandel durch Annäherung, vom Ende der nuklearen Konfrontation ist ausgeträumt. Das Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri weist es in seinem neuen Jahresbericht nach: Die Atommächte setzen wieder auf eine atomare Abschreckung - und sie meinen es so ernst wie lange nicht mehr.

Zwar wird nach wie vor abgerüstet, formal jedenfalls, denn die weltweite Zahl der Kernwaffen sinkt seit Jahrzehnten. Doch während alte Sprengköpfe demontiert werden, steigt zugleich die Zahl der einsatzbereiten Atomsprengköpfe kontinuierlich an. Im Grund ist das sogar bedrohlicher.

So bleibt „die Bombe“ aus genau jenem Grund in der Welt, aus dem sie einst in sie kam
Stephen Geyer

Denn während man mit der schieren Masse an Nuklearwaffen vor allem auf symbolische Weise Stärke demonstriert hat, zeigt die steigende Zahl an einsatzbereiten Sprengköpfen, dass man auch zum tatsächlichen Gebrauch dieser Massenvernichtungsmittel bereit ist. Und da zugleich immer mehr neue Kernwaffen entwickelt werden, muss die Welt sich darauf einstellen, dass der Trend sich fürs Erste umgekehrt hat: Wir steuern auf ein neues Gleichgewicht des Schreckens zu, nur dieses Mal mit einer Vielzahl an Playern mit verschiedensten Interessen und Allianzen.

Doch was heißt schon Trendumkehr? Geht hier wirklich gerade eine Phase der Abrüstung zu Ende, in der man von einer atomwaffenfreien Welt träumen konnte? Oder begreifen wir nicht vielmehr, dass diese Hoffnung nie etwas anderes als ein Traum war, dass die Menschheit den Weg dorthin also nie ernsthaft eingeschlagen hatte?

Sicher, noch während des Kalten Krieges gab es den Atomwaffensperrvertrag, der die Ausbreitung über die damaligen fünf Atommächte hinaus verhindern sollte. Doch er sicherte dem Rest der Welt zugleich das Recht auf eine „friedliche“ Nutzung der Atomkraft zu - und machte die Nicht-Verbreitung genau dadurch unmöglich.

Noch vor dem Mauerfall und erst recht danach vereinbarten die Atom-Supermächte USA und Russland zudem die Verkleinerung ihres Atomwaffenarsenals. Allerdings wussten sie beide sehr genau, dass sie niemals die Macht verlieren würden, weite Teile der Welt zu zerstören. Und realistisch gefragt: Welchem Autokraten kann man glauben, wenn er seine Entwaffnung verspricht?

Die Freude über den Atomdeal mit dem Iran von 2015 schmeckt aus heutiger Sicht bitter, die westliche Welt wirkt naiv in ihrem damaligen Glauben daran, dass die hasserfüllten Ideologen in Teheran eine pragmatische Entscheidung zugunsten ihres Volkes getroffen hätten. Heute wissen wir: Nichts schert die Mullahs weniger als das Wohl des iranischen Volkes. Zugleich bewiesen damals auch die USA, dass selbst in demokratischen Staaten Völkerrecht und Diplomatie oft genug anderen Erwägungen untergeordnet werden.

Und man muss auch das fragen: Welche demokratische Regierung würde wiedergewählt, wenn sie trotz nuklearer Drohungen aus Ländern wie Russland einseitig den eigenen Schutz der Abschreckung aufgibt? Die Ukraine - mit dem seinerzeit drittgrößten Atomarsenal der Welt - hat es 1994 getan, es ist ihr nicht gut bekommen.

Respekt vor dem menschlichen Leben

So bleibt „die Bombe“ aus genau jenem Grund in der Welt, aus dem sie einst in sie kam: 1945 fürchteten die USA, die Nazis würden mit nuklearer Hilfe ihren Wahn von Weltherrschaft und Völkermord umsetzen können. Heute weiß man, dass solcher Wahn vielleicht nie verschwinden und es deshalb womöglich nie eine atomwaffenfreie Welt geben wird. Was es aber gerade deshalb geben muss, sind Gesprächskanäle, um eine Eskalation abzuwenden, und genug Respekt vor dem menschlichen Leben an sich, um diese Waffe zumindest nicht als Erster einzusetzen.