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Kommentar

Kommentar zu Iran-Protesten
Die Politik darf nicht länger nur zusehen

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Lesezeit 3 Minuten
Demonstrierende in Köln

Demonstrierende bei einer Solidaritäts-Veranstaltung für die Proteste im Iran in Köln

Die Menschen im Iran, allen voran die Frauen riskieren ihr Leben bei den Protesten gegen das Mullah-Regime. Doch ihr Momentum ist stark gefährdet, weil die internationale Hilfe ausbleibt. Warum auch wir als Zivilgesellschaft mehr tun müssen.

Es gibt nichts Mutigeres, als sein Leben für die Freiheit auf Spiel zu setzen. Heroismus lautet unser gängiges Narrativ dafür. Doch als Heldinnen und Helden fühlen sich die Frauen und Männer im Iran, die seit Wochen aufbegehren, bestimmt nicht. Sie sind verzweifelt, sie leiden, nicht zuletzt an Armut und Hunger, und viele haben buchstäblich nichts mehr zu verlieren.

Sarah Brasack

Sarah Brasack

Stellvertretende Chefredakteurin des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sie wurde 1979 in Bonn geboren. Nach dem Studium der Musikwissenschaften, Germanistik und Erziehungswissenschaften in Bonn und St. Andrews...

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Noch nie waren die Protestierenden, allen voran die Frauen, im Iran geeinter und entschlossener in ihrem Willen, das Mullah-Regime zu stürzen, das seine Macht mit brutalster Gewalt aufrechterhält. Doch ihr Momentum ist stark gefährdet durch die weitgehende Untätigkeit der internationalen Politik. So hat die EU bislang gerade einmal elf iranische Offizielle und vier Organisationen mit Sanktionen belegt.

Die Menschen im Iran warten auf politische Solidarität

Wo bleibt die überfällige entschlossene Positionierung des Bundeskanzlers, zumindest eine große Geste der Solidarität? Auch von der „feministischen Außenpolitik“ Annalena Baerbocks ist wenig zu merken. Zwei Monate nach dem Tod von Mahsa Amini am 16. September wird nun hoffentlich – endlich – nachgelegt.

In der kommenden Woche könnten Baerbock und ihre EU-Kollegen eine erweiterte Sanktionsliste beschließen. Für alle, die morgens nicht wissen, ob sie abends wieder nach Hause kommen, bedeutet das aber nicht nur eine weitere quälend lange Zeit des Wartens auf Solidarität. Es ist auch nach wie vor zu wenig.

Vielen mag der Iran weit weg und fremd erscheinen: Doch der Kampf der Demonstrierenden muss auch unser Kampf sein. Aus der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert mit Diktatur und Unterdrückung und aus dem Vermächtnis des Widerstands erwächst gerade uns Deutschen eine besondere Verantwortung für den Freiheitskampf der Menschen im Iran. Es sei auch daran erinnert, dass Deutschland heute der wichtigste Handelspartner des Iran in der EU ist.

Je länger wir zusehen, wie die theokratischen Schreckensherrscher ihr Land ruinieren, ihre Region mit Terror destabilisieren und Russland im Krieg gegen die Ukraine ausrüsten, desto gravierender werden die Folgen sein. Ganz zu schweigen davon, dass die Mullahs ihr Atommacht-Streben – gegen alle Abkommen – unverfroren weiterverfolgen.

Nun will die Bundesregierung, dass alle Deutschen aus dem Iran ausreisen, solange sie noch können. Die Sorge, dass das Regime Ausländer als Geiseln nehmen könnte, ist absolut berechtigt. Wer aber nicht ausreisen kann, sind die Iranerinnen und Iraner. Sie sind darauf angewiesen, dass der Westen sie jetzt entschlossen darin unterstützt, ihre Unterdrücker zu stürzen.

Solidarität sichtbar machen

Weil politisch nicht genug passiert, müssen wir als Zivilgesellschaft aktiv werden. Indem wir für die Menschen im Iran mitdemonstrieren, Petitionen unterschreiben, Nachrichten aus dem Iran in unseren sozialen Netzwerken teilen.

Zu oft sind es noch vor allem die Exil-Iranerinnen und -Iraner in Deutschland, die für ihre Landsleute demonstrieren. Es ist ein Glück unserer vernetzten Welt, dass das Schreckensregime seine Bevölkerung nicht völlig abschotten kann, obwohl es die Isolation anstrebt. Die Menschen im Iran sehen, dass wir sie sehen. Wenn wir sie sehen. Darum müssen wir unsere Solidarität mit ihnen sichtbar machen. Möglichst jeden Tag.