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Kommentar

Kommentar zu Sahra Wagenknecht
Für die Linke ist dieser Abgang eine Befreiung

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Lesezeit 3 Minuten
Sahra Wagenknecht will eine neue Partei anführen.

Sahra Wagenknecht will eine neue Partei anführen.

Der vorletzte Akt in einem jahrelangen Scheidungsdrama steht bevor: Sahra Wagenknecht wird eine neue politische Liebe vorstellen. Wird sie damit Erfolg haben?

Scheidungen sind oft eine langwierige und für beiden Seiten quälende Angelegenheit. Parteispaltungen können es auch sein. Sahra Wagenknecht und die Linkspartei haben sich schon lange auseinandergelebt. Die frühere Fraktionschefin zieht durch die Säle und Talkshows, um schlecht über ihre frühere politische Liebe zu reden und flirtet auch noch allzu offensichtlich mit Putin und Populisten jeder Couleur. Zugleich weigert sie sich seit mehr als einem Jahr, auszuziehen und reinen Tisch zu machen.

Damit ist es nun vorbei, die Fronten scheinen geklärt. Wagenknecht wird am Montag einen neuen Verein vorstellen, dessen einziges Ziel ist, Geld und Strukturen für eine eigene Liste aufzubauen. Es ist der vorletzte Akt im Scheidungsdrama. Im Hollywoodfilm entspricht das ungefähr der Szene, in dem einer der Partner mit dem Vorschlaghammer das gemeinsame Wohnzimmer zertrümmert.

Wie immer bei solchen Dramen leiden die Kinder am meisten, hier also die Fraktion. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden reihenweise ihre Jobs verlieren, wenn die nach Schätzungen acht bis zehn Sahra-Anhänger austreten – oder in einem weiteren quälenden Prozess hinausgeworfen werden, und die Fraktion damit implodiert.

Völlig unklar aber ist, für wen nach dem Ende des linken Nelkenkriegs ein zweiter Frühling anbricht. Wagenknecht hofft auf einen Siegeszug, der mit der Europawahl und ostdeutschen Kommunalwahlen im Frühjahr beginnt, sich bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg fortsetzt und bei der Bundestagswahl 2025 kulminiert.

Dafür spricht Wagenknechts Charisma und der allgemeine Unmut. Mit einem Angebot, das linke Wirtschaftspolitik, Kritik an Einwanderung und Friedensbewegung zu einem einigermaßen schmackhaften populistischen Mus vermengt, sind zweistellige Ergebnisse zu holen.

Dagegen spricht allerdings die bisherige Struktur der neuen Wagenknecht-Truppe: Sowohl der Vorstand ihres Unterstützervereins BSW als auch die wechselwilligen Bundestagsabgeordneten kommen alle aus dem Westen. Es scheint sich eine Neuauflage der WASG aufzutun, westdeutsch und gewerkschaftsnah geprägt.

Eher konservative Kader aus den ostdeutschen Bundesländern stehen zwar ideologisch Wagenknecht nahe, sehen „die Partei“ aber seit SED-Zeiten als ihre Heimat an. Von ihnen wird niemand den Vorschlaghammer schwingen. Kein einziger Bundestagsabgeordneter aus dem Osten ist wechselwillig.

Die Wahlkämpfe werden also fast allein an Wagenknecht hängen, die natürlich Marktplätze füllen, aber nicht monatelang an ihre Belastungsgrenze gehen kann.

Viele links denkende Menschen nehmen Wagenknechts Populismus in Kauf, ihren Kulturkampf gegen ein Zerrbild gendernder, woker Großstadt-Linker, ihr Anbiedern beim AfD-Klientel. Ihr Kalkül: Alles, was gegen den Faschismus eines Björn Höcke hilft, ist gut.

Und Wagenknecht versprüht auf ihren Veranstaltungen zumindest keinen Hass, redet keiner Ausgrenzung von Minderheiten das Wort. Sie könnte ein abgehängtes Nichtwähler-Potenzial mobilisieren und damit der Demokratie einen Dienst erweisen, sagen ihre Unterstützer. Das mag so sein, antworten Kritiker - aber damit nutze sie vor allem sich selbst und ihrem Marktwert, keiner lösungsorientierten Politik.

Manchmal ist es auch der gedemütigte und verlassene Partner, der nach einer schmerzhaften Trennung besser auf die Beine kommt. Die Linkspartei könnte mit Gloria Gaynors unsterblichen Worten singen: „I will survive“, ich werde überleben und mich von den Fesseln des Scheidungskrieges befreien. Der Vorwurf des Wagenknecht-Lagers, die Linke kümmere sich nur um woke Identitätspolitik, war ja immer schon falsch. Die Linkspartei ohne Wagenknecht – es könnte eine Befreiung sein.