Das Vorhaben der Ampel, in einem Nachtragshaushalt erneut die Schuldenbremse auszusetzen, stößt bei Michael Bertrams, ehemaliger Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs, auf Bedenken.
Kommentar zum NachtragshaushaltDie Notlage des Olaf Scholz
Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP erlebt in diesen Tagen ihre bislang schwerste Belastungsprobe. Eine Haushaltskrise nie dagewesener Größenordnung. Auslöser war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November, das die Umwidmung nicht benötigter Corona-Hilfsgelder in Höhe von 60 Milliarden Euro in einen Klima- und Transformationsfonds für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung am 28. November in einer Regierungserklärung angekündigt, seine Regierung werde die durch das Urteil entstandene Haushaltslücke wieder schließen. In der Aussprache hat Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) den Kanzler einen „Klempner der Macht“ gescholten. Das war abschätzig gemeint, ist aber ein Eigentor für Merz. Klempner verstehen etwas von ihrem Handwerk und sind gern gesehen, wenn es im eigenen Haushalt etwas zu reparieren gibt. Doch Merz ließ seiner misslungenen Etikettierung des Regierungschefs die Bewertung folgen: „Sie können es nicht!“
Die nächste außergewöhnliche Notsituation
Ob Scholz und seine Koalitionspartner es „können“, ob sie also in der Lage sind, das riesige Haushaltsloch von 60 Milliarden Euro zu stopfen, das allerdings ist in der Tat fraglich. Nach intensiver Beratung hat sich die Ampel dazu durchgerungen, die im laufenden Haushaltsjahr 2023 vorrangig zu schließende Finanzierungslücke mit Hilfe eines Nachtragshaushalts und einer erneuten Aussetzung der Schuldenbremse zu stopfen. Dementsprechend hat sie dem Bundestag den Entwurf eines Nachtragshaushaltsgesetzes 2023 vorgelegt und dies mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP verbunden, der Bundestag möge erneut eine außergewöhnliche Notsituation nach Artikel 115 des Grundgesetzes feststellen.
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Über beide Vorlagen – den Nachtragshaushalt und den Notlagenbeschluss – hat der Bundestag am 1. Dezember in erster Lesung beraten. Dabei hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) betont, mit dem Nachtragsentwurf passe die Regierung den Haushalt an die höchstrichterlichen Vorgaben an. Daran sind jedoch Zweifel erlaubt. Die von der Ampelregierung angestrebte rückwirkende Legitimation des Haushalts 2023 durch einen Nachtragshaushalt und einen Notlagenbeschluss ist nämlich mit dem verfassungsrechtlichen Budgetrecht des Parlaments nicht vereinbar.
Der Bundesrechnungshof widerspricht
Ein Nachtragshaushalt ist dann aufzustellen, wenn nicht veranschlagte Ausgaben oder weitreichende Mindereinnahmen absehbar sind, Positionen im Haushaltsetat also erheblich hinter den ursprünglichen Ansätzen zurückbleiben, so dass diese nicht durch kurzfristige Sparmaßnahmen an anderen Stellen wieder ausgeglichen werden können.
Ein wesentlicher Unterschied gegenüber solchen üblichen Nachtragshaushalten und dem bisherigen Aussetzen der Schuldenbremse besteht hier darin, dass mit den jetzt vorgelegten Entwürfen der Ampel eine bereits weitgehend vollzogene Haushaltsbewirtschaftung nachträglich legitimiert werden soll. Im Rahmen einer am 5. Dezember erfolgten Anhörung von elf Sachverständigen hat eine Mehrheit der Experten darin kein Problem gesehen. Insbesondere der Bundesrechnungshof hat diesem Mehrheitsvotum jedoch widersprochen. Zu Recht, wie ich meine.
Das Problem mit dem „nachträglichen Absegnen“
In seiner schriftlichen Stellungnahme hat der Rechnungshof zutreffend auf das Budgetrecht des Parlaments und das Wesen eines vom Parlament beschlossenen Haushalts als Planungsinstrument des Parlaments hingewiesen (Artikel 110 Absatz 2 Grundgesetz). Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Nur das Parlament entscheidet darüber, wofür Steuergelder und die sonstigen Einnahmen des Staats ausgegeben werden. Im Zentrum des parlamentarischen Budgetrechts steht also die Planungsfunktion des Haushalts.
Dessen Kern, so der Rechnungshof, „besteht in der Lenkungs- und Kontrollfunktion des Parlaments“. Ein solches Budgetrecht kann das Parlament aber naturgemäß nur im Vorhinein wahrnehmen. Bei diesem Recht geht es mit anderen Worten nicht um ein bloßes nachträgliches „Absegnen“ der bereits durch die Regierung geschaffenen Fakten, sondern um die verbindliche Gestaltungshoheit. Diese ist dahin, wenn die Exekutive ihre Entscheidungen bereits getroffen hat.
Der von der Ampel angedachte Beschluss über eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse trifft auf ähnliche Bedenken. Nach dem erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird der Öffentlichkeit mit einer genauen Bezeichnung der Notlage transparent verdeutlicht, welcher Krisenbewältigung die Aussetzung der Schuldenbremse dienen soll. Der Notlagenbeschluss hat deshalb neben seiner Klarstellungs- auch eine Warn- und Kontrollfunktion. Diese beiden Funktionen aber stehen einer rückwirkenden Erklärung der Notlage und einer nachträglichen Legitimation bereits aufgenommener Kredite entgegen. Denn „vor bereits geschaffenen Fakten kann nicht mehr gewarnt werden“. Eine Prüfung der Erforderlichkeit der Kreditaufnahme durch das Parlament liefe deshalb von vornherein ins Leere.
Die CDU/CSU-Opposition hat angekündigt, von einem erneuten Gang nach Karlsruhe abzusehen, um die Handlungsfähigkeit des Staats nicht zu gefährden. Der Haushalt 2023 ist allerdings Grundlage für den derzeit heftig umkämpften Haushalt 2024. Dessen Verfassungsmäßigkeit ist von daher schon jetzt zweifelhaft. Olaf Scholz bleibt mithin in der von seiner Regierung zu verantwortenden Notlage stecken. Er muss deshalb auch 2024 mit einer Attacke von Friedrich Merz rechnen.