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Kommentar

Kommentar zur Amokfahrt in Magdeburg
Entsetzen im Advent

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Lesezeit 3 Minuten
21.12.2024, Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Eine Frau legt Blumen am offiziellen Gedenkort an der Johanniskirche nieder. Am Vorabend war ein Autofahrer auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt in eine Menschengruppe gefahren. Foto: Jan Woitas/dpa

Eine Frau legt Blumen am offiziellen Gedenkort an der Johanniskirche nieder. Am Vorabend war ein Autofahrer auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt in eine Menschengruppe gefahren.

Die Bluttat von Magdeburg folgt keinem Muster. Was jetzt zählt, ist Solidarität mit den Opfern. Auf manche Fragen gibt es ohnehin keine Antwort, kommentiert Imre Grimm.

Niemand will diese Bilder sehen. Niemand will diese Nachrichten hören. Nicht zur Weihnachtszeit, nicht zu jeder anderen Zeit im Jahr. Aber es ist passiert. Wie ein zerstörerischer Blitz schlug die grausame Terrortat von Magdeburg in dieses Land ein, das sich auf ruhige Adventstage eingestellt hatte. Ein mordender Autofahrer. Tote. Verletzte. Entsetzen. Unendlich leidende Familien. Und viele, sehr viele offene Fragen.

Warum tut ein Mensch so etwas? Hätte das Attentat verhindert werden können? Standen die Schutzpoller zu weit auseinander? Gab es zu wenig Polizei auf dem Weihnachtsmarkt? War das Sicherheitskonzept lückenhaft? War der Mann nicht auf dem Radar der Behörden? Stimmte die Balance nicht zwischen Sicherheit und Freiheit? Es ist zutiefst menschlich, nach einer so tiefen Erschütterung Antworten zu verlangen. Aber: Das wird verdammt schwer.

Diesmal gibt es kein trauriges Muster

Als Anis Amri vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, am Steuer eines gestohlenen Sattelzuges über den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz raste und 13 Menschen tötete, zeichnete sich bald ein Bild ab: Ein illegaler eingereister Tunesier – den die deutsche Behörden in Freiburg als „Anis Amir“ registriert und wegen dieser falschen Angabe Italiens Warnung vor dem gefährlichen Gewalttäter verpasst hatten – radikalisiert sich und wird am Ende voller Hass auf die freie Gesellschaft zum Massenmörder.

Amris Tat schien in ihrer blutigen Sinnlosigkeit wenigstens einem traurigen Muster zu folgen. In Magdeburg gibt es kein Muster. Die Motivlage ist maximal verwirrend. Taleb A., der Täter vom Freitagabend, ist fast 20 Jahre älter als Amri. Er hatte einen Beruf. Er hatte eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Und er denkt, nach allem, was bisher bekannt ist, nicht wie ein Islamist, sondern wie ein Rechtspopulist. Er fürchtete nicht die westliche Freiheitskultur, sondern die Islamisierung des Abendlandes.

Niemand wird eine solche Tat jemals verstehen

Möglich, dass sich der Mann im eigenen Gemüt krankhaft verrannt hat. Niemand weiß es. Es nützt in dieser Phase auch wenig, sich das Hirn des Täters zu zerbrechen. Anders als Amri aber, der vier Tage nach der Tat erschossen wurde, sitzt Taleb A. in Haft. Er wird sich vor einem Richter verantworten müssen.

Was jetzt hilft, sind nicht vorschnelle Erklärungen, sondern Mitgefühl und Trost für die Opfer. Auch wäre es ein Fehler, jetzt die 3200 Weihnachtsmärkte im Land zu schließen. Es sind Orte der Liebe, sie stehen für „Weltoffenheit, für Toleranz und Lebensfreude“, schrieb der Schaustellerverband am Sonnabend. Richtig so.

So ehrlich müssen wir sein: Auf bestimmte Fragen gibt es keine Antwort. Kein Mensch von Herz und Verstand wird jemals verstehen können, warum ein Mann zwischen Glühweinständen und Karussells Menschen totfährt.