Die vergangenen Tage sind nicht gut gelaufen für die freie Welt, wenn man auf die USA oder den Kosovo blickt. Für Putin ist das erst der Anfang.
Kommentar zur Destabilisierung des WestensPlötzlich steht es drei zu null für Putin
Wird der Westen wieder weich? An manchen Tagen sieht es so aus. Nach dem vergangenen Wochenende konnte man sogar den erschreckenden Eindruck haben, im großen geopolitischen Machtspiel stehe es plötzlich drei zu null für Putin.
In den USA wurde ein weltpolitisch schädlicher Deal verabredet. Um im Haushaltsstreit mit den Republikanern einen „government shutdown“ zu vermeiden, die komplette Stilllegung der Regierungsaktivitäten, stimmten Präsident Joe Biden und seine Demokraten zähneknirschend einem Übergangshaushalt zu, der in den kommenden 45 Tagen keine weiteren Hilfen für die von Russland angegriffene Ukraine zulässt. Die praktischen Auswirkungen werden zwar, wenn anschließend die Hilfen weitergehen, gering sein. Doch das politische Signal, das jetzt um die Welt geht, ist eins der Schwäche: Die immer wieder beschworene „unerschütterliche Solidarität“ der westlichen Führungsmacht mit Kiew hat einen Knacks bekommen, den ersten seit Kriegsbeginn. Und es wird möglicherweise nicht der letzte sein.
In der Slowakei kam bei den Wahlen am Wochenende der prorussische Linkspopulist Robert Fico an die Macht. Er wird eine Regierung bilden, die sich möglicherweise auch auf Rechtsradikale stützt. Das einigende Band liegt in der Verehrung des starken Mannes in Moskau, Wladimir Putin. Neben Ungarn wird die Slowakei dann das zweite EU-Land sein, das gegen Russland-Sanktionen stimmen wird und für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine. Die manipulative russische Einwirkung auf die Wahl in der Slowakei durch Nutzung sozialer Netzwerke wurde in den vergangenen Wochen immer wieder ausführlich beschrieben – aber nicht verhindert.
Im Kosovo sind in den vergangenen Tagen die größten Spannungen seit Ende des Kriegs von 1999 entstanden. Die serbische Regierung ließ am Wochenende Panzer auffahren. In Washington sprach das Weiße Haus von einer „noch nie da gewesenen Massierung serbischer Artillerie und Infanterie an der Grenze“. Die Nato will jetzt im Rahmen des bestehenden UN-Mandats ihre Truppen im Kosovo verstärken – und hat es plötzlich mit einem irritierenden zweiten Krisenherd in Europa zu tun.
Das wahre Ziel von Putins Kampf
Mit Blick auf den Kosovo brüten die westlichen Staatskanzleien derzeit über einem zentralen Rätsel: Wer war der Auftraggeber der Privatkrieger, die die jüngste Balkankrise in Gang brachten? Ohne Abzeichen an den Uniformen drangen die schwer Bewaffneten in den Kosovo ein, blockierten eine Brücke und erschossen einen kosovarischen Polizisten. Kenner der Szenerie vermuten die Drahtzieher in Belgrad und Moskau.
Der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic spricht von einem „brandgefährlichen Spiel der Destabilisierung in Europa“. Für den Bundestagsabgeordneten aus Hannover hängen die Themen Ukraine und Kosovo eng zusammen: „Das eine Einfallstor in Osteuropa mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat Putin durchquert. Mit dem zeitgleichen Versuch, alte Konflikte im Westbalkan wieder zu verstärken, wird der Westen auf eine weitere Probe gestellt.“
Der Militärexperte Nico Lange, ehemals Chef des Leitungsstabs im Bundesministerium der Verteidigung, rät schon seit Langem dazu, den unschönen Gedanken zuzulassen, „dass Putin allein schon deswegen Krieg führt, damit Krieg ist“. Dem russischen Präsidenten gehe es gar nicht um diesen oder jenen militärischen Erfolg. Sein eigentliches Ziel liege im Politischen, in der Desorientierung und Spaltung der westlichen Gesellschaften.
Wer in diesem Sinne Bilanz zieht, kommt zu bitteren Resultaten. Zwar konnte Putins Armee in der Ukraine bis auf Weiteres militärisch aufgehalten werden. Parallel dazu aber lässt der politische Rückhalt vieler Regierungen in demokratischen Staaten nach. Überall im Westen wachsen Unruhe und Unzufriedenheit. Das Ende dieser Machtprobe ist offen.
Für Putin ist dies alles nur der Anfang
Der Clou von Putins Kampf, viele haben das immer noch nicht durchschaut, liegt in dessen Mehrdimensionalität. Der Kriegsherr im Kreml lässt eben nicht nur Panzer rollen, er setzt auch Flüchtlingswellen in Gang, er treibt Lebensmittelpreise hoch, er schürt Angst,. wo es nur geht. Zufrieden blickt er jetzt auf die Stärke der Republikaner in den USA und die der AfD in Deutschland.
Die Ermüdungssignale aus dem Westen beflügeln Putin. Für 2024 ließ er dieser Tage satte sechs Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben einplanen, einen höheren Anteil denn je - während die Deutschen seit Jahren mit ihrer Zwei-Prozent-Zusage hadern.
Im Gegensatz zum Westen hat der russische Präsident eine Strategie. Und im Gegensatz zum Westen denkt er langfristig. Für Putin ist alles, was wir bislang gesehen haben, nur der Anfang.