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„Unser Staat ist unser Feind“Einstiger Kölner Neonazi kämpft für die Ukraine – und spricht über Kampf gegen Putin

Lesezeit 4 Minuten
Der russische Neonazi Denis Nikitin (M., schwarze Kleidung) im Gespräch mit Pressevertretern. Im „Guardian“ hat er sich nun zu den Einsätzen seines „Russischen Freiwilligenkorps“ in russischen Grenzregionen geäußert.

Der russische Neonazi Denis Nikitin (M., schwarze Kleidung) im Gespräch mit Pressevertretern. Im „Guardian“ hat er sich nun zu den Einsätzen seines „Russischen Freiwilligenkorps“ in russischen Grenzregionen geäußert.

Denis Nikitin und sein „Freiwilligenkorps“ sind Russen, kämpfen aber für die Ukraine. Der Rechtsextreme lebte früher in Köln.

Der einst in der Kölner Hooliganszene aktiv gewesene Anführer des „Russischen Freiwilligenkorps“ und bekannte Neonazi, Denis Nikitin, hat sich in einem seltenen Interview zum Kampf seiner rechtsextremen Einheit gegen die russische Regierung um Kremlchef Wladimir Putin geäußert. „Unser Staat ist unser Feind. Uns wurde klar, dass wir gegen den Staat kämpfen müssen“, sagte Nikitin, der auch als Denis Kapustin bekannt ist, im Gespräch mit der britischen Zeitung „The Guardian“. Seine Mitstreiter und er hätten erkannt, „dass Einwanderer nicht das ultimative Übel sind“.

Nikitin gilt als gesichert rechtsextrem. Die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen erwirkten bereits 2019 ein Einreiseverbot in den Schengenraum für den ehemaligen Hooligan, der sich in seinem Telegram-Kanal weiterhin regelmäßig abfällig über Migranten äußert.

Russisches Freiwilligenkorps greift mehrfach Grenzregionen an

Als Neonazi werde er nur bezeichnet, weil er gegen „LGBTQ-Propaganda und kulturellen Marxismus“ sei, behauptete Nikitin nun, bekundete dann jedoch prompt, dass er „Kultur, Stil und das Militär“ Nazideutschlands bewundere.

Das Russische Freiwilligenkorps (RDK, so die russischsprachige Abkürzung) wird von Nikitin, der eine Zeit lang in Köln ansässig war, geleitet. Zusammen mit der „Legion Freiheit Russlands“ hat die Kampfeinheit bereits mehrere Angriffe auf russische Grenzgebiete durchgeführt, erstmals im März in der Region Brjansk.

Gegen Wladimir Putin: Denis Nikitin spricht über Kampf gegen „Mutterland“

„Es war ein berauschendes Gefühl, als wir zum ersten Mal die Grenze überquerten“, kommentierte Nikitin. „Es war, als wäre dies einerseits das Mutterland, andererseits aber auch das Land des Feindes.“ Um sich für den Fall einer Gefangennahme in Russland vor drohender Folter zu schützen, hätte jeder seine Kämpfer „eine zusätzliche Granate als letztes Mittel“ mitgenommen, behauptete Nikitin zudem.

Zuletzt war das RDK nach dem Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin in Erscheinung getreten – und hatte die verbliebenen Wagner-Söldner dazu aufgefordert, sich ihrem Kampf gegen Putin anzuschließen.

In der Ukraine werden die beiden Freiwilligeneinheiten, die sich mitunter aus russischen Rechtsextremen und Nationalisten zusammensetzen, toleriert. Die ukrainischen Behörden bestreiten jedoch offiziell alle Verbindungen zu den russischen Kämpfern.

Ukraine bestreitet offizielle alle Verbindungen zu russischen Freiwilligeneinheiten

Laut Nikitin könne sich das RDK jedoch „auf den ukrainischen Geheimdienst und die militärische Infrastruktur verlassen“, solange sich seine Kämpfer in der Ukraine befänden. Bei Angriffen in Russland seien die Freiwilligeneinheiten allerdings auf sich allein gestellt.

Insbesondere zu Nikitins Freiwilligenkorps scheut man in der Ukraine offizielle Kontakte. „Es ist bedauerlich, dass sie diese Ansichten haben“, zitierte der „Guardian“ nun eine Quelle aus dem Umfeld des ukrainischen Geheimdienstes.

Nikitin und seine Truppe seien jedoch „die einzigen Leute, die eine Kalaschnikow in die Hand nehmen und die Grenze nach Russland überqueren“, hieß es weiter zur Rechtfertigung der Toleranz für die Rechtsextremen. In Kiew pflegt man lieber Kontakte zur „Legion Freiheit Russlands“, die sich nicht derartig offenkundig rechtsradikal präsentiert.

Nikitin im Kampf gegen Putin: „Wir sind die Bösen, aber wir tun Gutes“

Sobald Russland den Krieg verloren habe, werde die Legion in der Lage sein, die „Zeit des Chaos“ auszunutzen und „eine oder mehrere russische Regionen unter Kontrolle bringen“, sagte Mykhailo Podolyak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem „Guardian“. Nikitin leugnet seine rechtsextreme Gesinnung derweil nicht. „Betrachten Sie es so: Wir sind die Bösen, aber wir tun Gutes“, rechtfertigte er die ukrainische Duldung seiner nationalistischen Einheit.

Wie einflussreich die russischen Freiwilligeneinheiten im Krieg sind, bleibt offen. „Es handelt sich größtenteils um eine rechtsextreme Gruppe von Neonazi-Exilanten, denen es mehr darum zu gehen scheint, Inhalte für die sozialen Medien zu erstellen, als um alles andere“, hatte Michael Colborne, Analyst bei der Investigativplattform Bellingcat, der „New York Times“ bereits Ende Mai erklärt.

Der letzte dokumentierte Kampfeinsatz bei den Freiwilligeneinheiten datiert auf Anfang Juni. Damals drangen sowohl das RDK als auch die „Legion Freiheit Russlands“ in die russische Grenzregion Belgorod vor.

Es kam zu Gefechten mit russischen Soldaten, kurzzeitig sei die Ortschaft Nowaja Tawolschanka in unmittelbarer Grenznähe eingenommen worden, hieß es damals. Für den Kreml gelten die Neonazi-Kämpfer als „Saboteure“. Anführer Kapustin wird von Moskau des „Terrorismus“ beschuldigt. (das)