AboAbonnieren

Kommentar

Kontrollen an allen deutschen Außengrenzen
Zeitenwende in der Flüchtlingspolitik?

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, spricht bei einem Pressestatement zu aktuellen Maßnahmen in der Migrationspolitik und zum Sicherheitspaket der Bundesregierung im Bundesministerium des Inneren.

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, spricht bei einem Pressestatement zu aktuellen Maßnahmen in der Migrationspolitik und zum Sicherheitspaket der Bundesregierung im Bundesministerium des Inneren.

Die Ankündigung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser klingt wuchtig, dabei sind viele Fragen noch völlig offen, kommentiert Andreas Niesmann.

Es war ein Paukenschlag, zumindest ein rhetorischer. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat vorübergehende Kontrollen an sämtlichen deutschen Außengrenzen angekündigt, zunächst für ein halbes Jahr. Auch Zurückweisungen solle es geben, man habe dazu ein „europarechtskonformes“ und „effektives“ Modell entwickelt, ließ die SPD-Ministerin am Montagabend wissen.

Es klang wie ein Paradigmenwechsel. Wie eine Zeitenwende in der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Neun Jahre nachdem CDU-Kanzlerin Angela Merkel die deutschen Grenzen um jeden Preis offen gehalten hatte, würde SPD-Kanzler Olaf Scholz sie wieder schließen.

Oder vielleicht doch nicht?

Angesichts der potenziellen Tragweite des Vorgangs irritierte es von Beginn an, dass Sozialdemokratin Faeser der Öffentlichkeit am Montag keinen fertigen Plan präsentierte, sondern zunächst den „vertraulichen“ Austausch mit der Union suchen wollte. Die wiederum musste sich erst einmal überlegen, ob sie dazu überhaupt bereit wäre. Zwei Wochen, nachdem Oppositionsführer Friedrich Merz der SPD mit großem Tamtam eine Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Migrationsfrage angeboten hatte, benötigte der Oppositionsführer einen ganzen Abend, eine ganze Nacht und einen ganzen Morgen, um sich zu einem Gespräch durchzuringen.

Ihre treuherzigen Bekundungen, dass es nach dem Terror-Anschlag von Solingen einzig um die innere Sicherheit gehe, auf gar keinen Fall aber um den parteitaktischen Vorteil, hätten Konservative wie Sozialdemokraten kaum eindrucksvoller widerlegen können.

Stationäre Grenzkontrollen nicht einheitlich

Dabei wissen sowohl Faeser als auch Merz, wie kompliziert die rechtliche Lage ist. Bislang finden stationäre Kontrollen nur an den Grenzen zu Polen, Tschechien, der Schweiz und Österreich statt. Zurückweisungen gibt es nur, wenn Migranten mit einer Einreisesperre belegt sind oder kein Asyl beantragen. Rund 30.000 Mal ist das seit dem Oktober des vergangenen Jahres passiert.

Eine restriktivere Praxis – da sind sich Experten bislang einig – ließe sich europarechtlich nur mit einer nationalen Notlage rechtfertigen, die angesichts sinkender Zuwanderungszahlen schwer zu begründen wäre. Zwar ist die Terror-Gefahr nach den jüngsten Anschlägen präsent wie lange nicht mehr, neu aber ist sie keineswegs.

Regierung in Österreich läuft bereits Sturm

Auch andere Fragen sind offen. Müssen Reisende, Pendler und Spediteure mit kilometerlangen Staus rechnen? Wird die EU-Kommission der Bundesregierung einen Sonderweg erlauben? Und hat die Bundespolizei überhaupt genügend Personal für monatelange Kontrollen?

Schon jetzt begehren Wirtschaftsvertreter, Polizeigewerkschafter und Nachbarländer auf. Die österreichische Regierung ließ gleich wissen, dass sie bei Zurückweisungen an der Grenze zu Deutschland nicht mitmachen werde. In der Alpenrepublik wird in drei Wochen gewählt, die Debatte ist letzte, was die demokratischen Parteien in der heißen Wahlkampphase gebrauchen können. Auch in anderen Hauptstädten hält sich die Begeisterung in Grenzen. Sollte die Bundesregierung ernst machen, wird es eine Menge diplomatischen Geschicks benötigen, um die europäischen Partnerländer bei Laune zu halten.

Dass die SPD nach Wochen des Zögerns dazu offenbar bereit ist, zeigt den hohen Druck, unter dem die Kanzlerpartei inzwischen steht. Die Genossen wollen den abtrünnigen Wählerinnen und Wählern beweisen, dass sie deren Sorgen vor ungeregelter Migration ernst nehmen.

Innenministerin Faeser wird nun zeigen müssen, dass sie die Zuwanderungszahlen tatsächlich in den Griff bekommt. Ob das reicht, um skeptische Wählerinnen und Wähler vor der Bundestagswahl zurückzugewinnen, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt.