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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage am Abend

Lesezeit 7 Minuten

Kiew/Lwiw – UN-Generalsekretär António Guterres hat bei einem Treffen mit den Präsidenten der Ukraine und der Türkei, Wolodymyr Selenskyj und Recep Tayyip Erdogan, in Lwiw ein Ende des Krieges angemahnt. Der UN-Generalsekretär sagte nach dem Gipfel im Westen des von Russland überfallenen Landes, der diplomatische Erfolg durch das Getreide-Abkommen im Juli sei „nur der Anfang” einer positiven Dynamik.

„Die Menschen brauchen Frieden”, so Guterres nach Angaben der Vereinten Nationen. Der Krieg habe unzählige Tote, massive Zerstörungen und Vertreibungen sowie dramatische Menschenrechtsverletzungen gebracht.

Erdogan setzt weiter auf eine diplomatische Lösung für den Krieg in der Ukraine. „Ich glaube weiter daran, dass der Krieg irgendwann am Verhandlungstisch enden wird. Tatsächlich sehen auch Herr Selenskyj und Herr Guterres das so”, sagte Erdogan laut dem türkischen Präsidialpalast . Man werde die Ergebnisse der Unterhaltungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auswerten, so Erdogan laut Mitteilung.

Das Treffen in Lwiw ist für die Vereinten Nationen und die Türkei eine Möglichkeit, knapp ein halbes Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine den Einstieg in eine Verhandlungslösung mit der Ukraine auszuloten. UN-Kreise halten Gespräche der Kriegsparteien über eine Waffenruhe nur dann für möglich, wenn Russland und die Ukraine keine Geländegewinne mehr erzielen können und vom Ziel eines Sieges Abstand nehmen. Die Ukraine will aber verlorene Gebiete zurückerobern, auch um Landsleute nicht in der Willkür der russischen Besatzer zu lassen.

Russland verlegt angeblich Kinschal-Raketen nach Kaliningrad

Als Drohgebärde gegen den Westen hat Russland nach eigenen Angaben Kampfflugzeuge mit den neuen Hyperschallraketen Kinschal (Dolch) in seine Ostsee-Exklave Kaliningrad verlegt. Drei Abfangjäger MiG-31 mit den Luft-Boden-Raketen seien als „zusätzliche Maßnahme zur strategischen Abschreckung” auf dem Luftwaffenstützpunkt Tschkalowsk stationiert worden. Das teilte das russische Verteidigungsministerium in Moskau der Agentur Interfax zufolge mit. Kaliningrad liegt zwischen den EU-Ländern Polen und Litauen rund 500 Kilometer von Berlin, aber mehr als 1000 Kilometer von Moskau entfernt.

Die Marschflugkörper Kinschal fliegen nach russischen Angaben bis zu zehn Mal schneller als der Schall, sind dabei trotzdem lenkbar und haben eine Reichweite von 2000 Kilometern. Sie können konventionell oder nuklar bestückt werden. Es ist eins von mehreren hochmodernen Waffensystemen, auf das Präsident Wladimir Putin besonders stolz ist. Im März hatte Russland nach eigenen Angaben eine Kinschal-Rakete gegen ein militärisches Ziel in der Westukraine abgeschossen.

Russisches Munitionslager an ukrainischer Grenze brennt

Ein russisches Munitionslager im Gebiet Belgorod dicht an der Grenze zur Ukraine ist nach örtlichen Behördenangaben in Flammen aufgegangen. Niemand sei verletzt worden, schrieb der Gouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, auf Telegram. Den Angaben nach lag das Depot bei dem Dorf Timonowo, etwa 4,5 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Die Bewohner der Dörfer Timonowo und Soloti seien in Sicherheit gebracht worden. „Nach der Brandursache wird gesucht”, schrieb Gladkow.

Über der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim wurde erneut eine dichte schwarze Rauchsäule gesichtet. Im Internet waren nicht verifizierte Videos davon zu sehen. Der Zivilschutz der Krim teilte der Agentur Ria Nowosti zufolge mit, bei dem Ort Meschwodnoje im Westen habe nur eine Fläche mit trockenem Gras gebrannt. In russischen Militäranlagen auf der Halbinsel war es in den vergangenen Tagen mehrmals zu schweren Explosionen gekommen. Die Ursache war unklar, ließ aber ukrainische Angriffe vermuten.

Mindestens 13 Tote nach russischen Raketenangriffen

Im Osten der Ukraine kamen bei massiven russischen Raketenangriffen auf die Stadt Charkiw nach offiziellen Angaben in der Nacht zum Donnerstag mindestens elf Menschen ums Leben. Dabei handele es sich ausschließlich um Zivilisten, teilte der ukrainische Militärgouverneur Oleh Synjehubow per Telegram mit. Weitere 35 Menschen seien verletzt worden. Angriffe gab es demnach auch in der rund 80 Kilometer südwestlich gelegenen Stadt Krasnohrad. Dort wurden nach Angaben der Behörden zwei Menschen getötet und zwei weitere verletzt. Die Informationen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

In Ortschaften des Nachbargebiets Donezk, die unter Kontrolle der Ukraine stehen, wurden nach Behördenangaben bereits am Mittwoch mindestens drei Zivilisten getötet und weitere sechs verletzt. Die prorussischen Separatisten im Gebiet Donezk melden ebenfalls fast täglich Tote und Verletzte durch Raketenangriffe.

Die Vereinten Nationen haben mehr als 5500 zivile Todesopfer in dem Krieg registriert, gehen aber von weitaus höheren Opferzahlen aus.

Russische Luftabwehr bei Kertsch aktiv - Bewohner: Explosionen

Die russische Luftabwehr hat über der Stadt Kertsch auf der Krim auf nicht genannte Objekte geschossen. Das teilte ein Berater der Führung der 2014 von Russland annektierten Halbinsel nach ersten Einschätzungen mit. „Es besteht keine Gefahr für die Stadt und die Brücke”, schrieb Berater Oleg Krjutschkow auf Telegram. In sozialen Netzwerken berichteten Bewohner von Kertsch, dass sie zwei Explosionen gehört hätten.

In der Hafenstadt beginnt die 18 Kilometer lange Brücke zwischen der Krim und dem russischen Festland. Die Ukraine sieht das 2018 eröffnete Bauwerk als legitimes militärisches Ziel an. Russland hat für den Fall eines Angriffs auf die Eisenbahn- und Straßenbrücke mit massiver Vergeltung gedroht. Der Verkehr auf der Brücke laufe normal, teilte die zuständige Straßenverwaltung der Agentur Tass zufolge mit.

Guterres kündigt Aufklärungsmission zu bombardiertem Gefängnis an

Nach dem Angriff auf ein Lager mit ukrainischen Kriegsgefangenen Ende Juli hat Guterres eine Aufklärungsmission angekündigt. Der brasilianische General Carlos dos Santos Cruz soll die Operation demnach leiten. „Wir werden nun weiter daran arbeiten, die notwendigen Zusicherungen zu erhalten, um einen sicheren Zugriff auf die Stätte und alle anderen relevanten Orte zu gewährleisten”, sagte Guterres.

Die Ukraine hatte nach dem Tod von etwa 50 ukrainischen Kriegsgefangenen Ende Juli in dem Gefängnis Oleniwka bei Donezk den Zugang unabhängiger internationaler Experten verlangt, um den Fall aufzuklären. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, für den Tod der Gefangenen verantwortlich zu sein.

Russland berichtet von neuen Schüssen auf AKW Saporischschja

Zwischen den Vereinten Nationen, der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Russland und der Ukraine dauert das Tauziehen um einen Expertenbesuch im Atomkraftwerk Saporischschja an. Moskauer Diplomaten beteuerten, dass Russland den Besuch unterstütze. Allerdings geht die russische Seite davon aus, dass die IAEA-Experten über Russland und russisch kontrolliertes Gebiet in der Ukraine anreisen. Eine Reise über Kiew sei zu gefährlich.

Unterdessen hat Russland die Vorschläge der Vereinten Nationen für eine Entmilitarisierung der Zone um das besetzte Atomkraftwerk Saporischschja abgelehnt. Das sei inakzeptabel, weil dadurch die Anlage noch anfälliger werde für Angriffe, sagte ein Sprecher des russischen Außenministeriums in Moskau. UN-Generalsekretär António Guterres pochte weiterhin auf den Rückzug aller Truppen. „Das Gebiet muss entmilitarisiert werden”, sagte Guterres.

Die Anlage dürfe nicht im Rahmen militärischer Operationen genutzt werden, so Guterres. „Stattdessen ist dringend eine Einigung erforderlich, um Saporischschja als rein zivile Infrastruktur wiederherzustellen und die Sicherheit des Gebiets zu gewährleisten.” Jede mögliche Beschädigung des AKW sei „Selbstmord”.

Der Machtapparat in Moskau hatte immer wieder erklärt, dass sich die IAEA davon überzeugen könne, dass Russland lediglich für die Sicherheit des größten Kernkraftwerks in Europa sorge. Zuletzt hatten die Vereinten Nationen Vorwürfe Moskaus zurückgewiesen, die UN hätten eine IAEA-Mission verhindert.

Estland beschränkt Einreise für russische Staatsbürger

Estland will der Ukraine für den Kampf gegen Russland weitere Waffen wie etwa Mörser und Panzerabwehrwaffen liefern. Das beschloss die Regierung in Tallinn am Donnerstag. Auch will das baltische EU- und Nato-Land die Initiative Großbritannien zur Ausweitung der Ausbildung ukrainischer Streitkräfte unterstützen. Estland wolle zudem mit Deutschland ein weiteres Feldlazarett in die Ukraine schicken, teilte das Verteidigungsministerium mit.

Außerdem dürfen russische Staatsbürger von diesem Donnerstag an nicht mehr mit einem von Estland ausgestellten Schengen-Visum in das baltische EU- und Nato-Land einreisen.

Estland hatte als eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine die Vergabe von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen an Russen bereits weitgehend ausgesetzt. Mit einem gültigen Visum war es aber weiterhin möglich, per Bus oder Auto über die estnische Grenze in den Schengenraum einzureisen. Dies ist künftig nicht mehr möglich.

Weiter einreisen dürfen auch russische Bürger mit von anderen EU-Mitgliedern ausgestellten Visa, die für den gesamten Schengen-Raum mit seinen 26 europäischen Ländern gilt. Zusammen mit seinen ebenfalls an Russland grenzenden Nachbarländern Finnland und Lettland macht sich Estland daher für einen grundsätzlichen Stopp von Touristenvisa stark. Deutschland und die EU-Kommission in Brüssel lehnen dies ab.

© dpa-infocom, dpa:220818-99-425206/16 (dpa)