AboAbonnieren

VerteidigungsministeriumChristine Lambrecht hinterlässt Boris Pistorius viele Baustellen

Lesezeit 4 Minuten
Boris Pistorius (SPD)

Boris Pistorius (SPD)

Der SPD-Politiker Pistorius ist derzeit Innenminister in Niedersachsen. Mit dem 62-Jährigen hebelt Scholz seinen eigenen Anspruch an Parität aus.

Nach dem Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wird der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (beide SPD) ihr Nachfolger. Er soll am Donnerstag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Ernennungsurkunde erhalten und im Bundestag seinen Amtseid leisten, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Dienstag mitteilte.

Pistorius sei ein „herausragender Politiker“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Pistorius ist ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen“, erklärte er weiter.

Christine Lambrecht hat Amt aufgegeben

Lambrecht hatte am Montag nach gut einem Jahr im Amt ihren Rücktritt erklärt. In den vergangenen Tagen waren mehrere andere Namen als mögliche Nachfolger genannt worden, darunter Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, SPD-Chef Lars Klingbeil und die Wehrbeauftragte Eva Högl.

Pistorius war nun eine Überraschung. Der niedersächsische Innenminister gilt als erfahrener Polit-Manager. Im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern hat sich Pistorius in den vergangenen Jahren einen Ruf als kenntnisreicher Fachpolitiker erworben. Auch wenn er stets in Niedersachsen blieb, war er auch an der innenpolitischen Positionierung der Bundes-SPD in Wahlkämpfen und an Koalitionsverhandlungen beteiligt. Bei den Innenministerkonferenzen machte es dem als pragmatisch geltenden Pistorius immer sichtlich Freude, sich mit Konservativen wie dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf offener Bühne zu streiten, schlagfertig, mit spitzen Bemerkungen, aber nie respektlos.

Amt des Verteidigungsministers gilt als Schleudersitz – Boris Pistorius kann entspannt sein

Zur Idealbesetzung für den Posten des Verteidigungsministers macht Pistorius vielleicht auch sein Alter. Mit 62 Jahren kann ein Politiker schließlich ganz entspannt das Chefbüro im Bendlerblock beziehen, das gemeinhin als Schleudersitz und damit auch als potenzieller Karrierekiller gilt. Die Partner der SPD in der Ampel-Koalition lobten die Personalie. Finanzminister Christian Lindner gratulierte Pistorius umgehend. In einem Tweet sprach der FDP-Chef von seinem „neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius“. „Vor allem mit der Umsetzung des Sondervermögens liegt eine große Aufgabe vor uns“, schrieb er. Er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit von Finanz- und Verteidigungsministerium.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr lobte die Entscheidung ebenfalls. „Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist“, sagte er dem Nachrichtenportal t-online. Er kenne ihn aus seiner Zeit im niedersächsischen Landtag und habe ihn als Innenminister dort stets geschätzt. „Herr Pistorius hat langjährige Erfahrung mit der Struktur unserer Sicherheitsbehörden, zudem war er selbst bei der Bundeswehr. Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist und die Zeitenwende mit Leben füllen kann“, sagte Dürr.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) begrüßte die Ernennung des Niedersachsen. „Boris Pistorius ist ein sehr erfahrener Politiker, der in schwierigen Situationen über die nötige Nervenstärke verfügt.“ Pistorius übernehme das Verteidigungsressort „in sehr entscheidenden Zeiten“. „Es sind auch kurzfristig wichtige Entscheidungen zu treffen, insbesondere die drängende Frage, wie wir die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung weiter unterstützen. Deutschland trägt hier eine Verantwortung und muss große Aufgaben bewältigen“, erklärte Habeck.

Unions-Kritik an Boris Pistorius

Aus der Union wiederum kam Kritik an der Personalie. „Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), der Deutschen Presse-Agentur. „Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle“, kritisierte Wadephul. Bei der Personalie handle es sich um eine „Besetzung aus der B-Mannschaft“. Damit sei Kanzler Scholz „eine echte Überraschung gelungen. Nur leider keine gute.“ Um die Bundeswehr voranzubringen, brauche es nicht nur Geld, sondern auch Sachverstand. „Angesichts der Lage wird Boris Pistorius keine 100 Tage Einarbeitung haben können“, betonte Wadephul.

Christine Lambrecht hinterlässt Boris Pistorius viele Baustellen

Lambrecht hinterlässt Pistorius eine ganze Reihe von Baustellen. So steht die Modernisierung der Bundeswehr unter anderem mit Hilfe des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens erst am Beginn. Bisher wurden erst Verträge über gut zehn Milliarden Euro geschlossen. Die Aufrüstung hatte Kanzler Scholz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar vergangenen Jahres verkündet. Unklar ist auch noch, wie es mit den Waffenlieferungen an die Ukraine weitergeht.

Nachdem die Bundesregierung zuletzt die Lieferung von Marder-Schützenpanzern beschlossen hatte, drehen sich die aktuellen Debatten darum, dem angegriffenen Land Leopard-Kampfpanzer bereitzustellen. Bereits am Freitag steht für den neuen Minister ein Treffen mit den westlichen Verbündeten der Ukraine auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz an, bei dem es um die weitere Unterstützung für Kiew gehen soll.

Pistorius wurden immer wieder Ambitionen für ein politisches Amt auf Bundesebene nachgesagt. Es gab beispielsweise Gerüchte, er könnte Bundesinnenminister werden, falls Nancy Faeser bei der Landtagswahl in Hessen als Spitzenkandidatin für die SPD antreten sollte. Mit der Entscheidung für Pistorius hebelt Scholz seinen eigenen Anspruch aus, seine Ministerriege paritätisch zu besetzen. Bisher waren es acht Männer und acht Frauen, nun werden es neun Männer und sieben Frauen sein - der Kanzler selbst nicht mitgezählt. (dpa)