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Kommentar

Leitartikel zum Trump-Attentat
Die Gespaltenen Staaten von Amerika

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Eine Anhängerin Donald Trumps vor dessen Anwesen in Mar-a-Lago, Florida, am Tag nach dem gescheiterten Attentat auf den früheren US-Präsidenten und wahrscheinlichen Herausforderer seines Nachfolgers Joe Biden.

Eine Anhängerin Donald Trumps vor dessen Anwesen in Mar-a-Lago, Florida, am Tag nach dem gescheiterten Attentat auf den früheren US-Präsidenten und wahrscheinlichen Herausforderer seines Nachfolgers Joe Biden.

Die Schüsse auf den früheren US-Präsidenten Donald Trump haben eine fast gespenstische Folgerichtigkeit.

Donald Trumps staatsmännischer Aufruf zur Versöhnung geht mit dem „Fight!“-Appell an seine Anhänger direkt nach den Schüssen von Butler so gut zusammen wie Vollgas an der gelben Ampel. Wenn der mutmaßliche Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner und gnadenlose Egomane eines aus dem „Schwarzen Mittwoch“ mit der Erstürmung des Kapitols durch einen enthemmten, gewalttätigen Mob am 6. Januar 2021 gelernt hat, dann sind es „Doublebind-Botschaften“: Man sagt das eine, vermittelt aber etwas ganz anderes – bis hin zum Gegenteil.

Wie unmittelbar diese Strategie der Doppelzüngigkeit aufgeht, lässt sich an den Schuldzuweisungen prominenter Republikaner ablesen, die in Joe Boden als dem amtierenden Präsidenten und Rivalen Trumps den geistigen Vater des Attentäters sehen. Da gibt es keinen Raum für Gemeinsamkeit, für Versöhnung gar. Da gibt es nur den „Fight“, den Kampf mit dem (politischen) Feind, in dem jedes Mittel recht ist.

Trump muss für eine zweite Amtszeit als Präsident auf Polarisierung setzen

Weniger als ein halbes Jahr vor dem Wahltag kann Trump selbst nicht das geringste Interesse daran haben, die Gespaltenen Staaten von Amerika zusammenzuführen, Menschen neu miteinander zu verbinden, den demokratischen Konsens zu stärken oder – wo er schon gestorben ist – wiederzubeleben. Trump muss für eine zweite Amtszeit als Präsident auf Polarisierung setzen. Aus einer demokratisch gesinnten Mitte der Gesellschaft werden die Wählerinnen und Wähler nicht kommen, die einem Populisten, notorischen Lügner, Verächter der demokratischen Institutionen und Straftäter mehrheitlich ins höchste Staatsamt verhelfen.

Die fast gespenstische Folgerichtigkeit des Mordanschlags auf Trump besteht darin, dass es mit dem denkbar unpolitischsten aller Mittel, der Anwendung brutaler Gewalt, die Zerstörung des Politischen als Basis des Gemeinwesens weiter vorantreibt. Was immer der Schütze Thomas Matthew Crooks im Sinn gehabt haben mag, als er die Waffe auf den früheren US-Präsidenten richtete: Das Verfehlen seines Ziels ist nicht das Scheitern eines politischen Attentats, sondern paradoxerweise sein vielleicht größtmöglicher Erfolg.

Joe Bidens Ausfallerscheinungen wirken fast schon nebensächlich

Es bedeutet eine Katastrophe – nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für ihre Verbündeten, für die westliche Welt und für die Demokratie. Joe Biden und mit ihm alles, wofür er nach Trumps furchtbaren ersten vier Jahren angetreten war, geraten noch weiter ins Hintertreffen als ohnehin schon. Bidens – augenscheinlich altersbedingte – Ausfallerscheinungen wirken fast schon nebensächlich angesichts der zwangsläufig und nicht ohne Berechtigung aufbrechenden Debatte, ob der Präsident das Ruder der Regierung noch fest in der Hand hat, im eigenen Land für Sicherheit garantieren kann und es sicher zu lenken vermag. Es ist, als geriete das Staatsgefüge durch ein paar verirrte Schüsse eines womöglich verwirrten jungen Mannes ins Wanken.

Noch haben wir in Deutschland keine so tiefen gesellschaftlichen Gräben wie in den USA, keine so fanatisierten, feindseligen, hasserfüllten Lager, nicht die Zuspitzung der politischen Auseinandersetzung auf einzelne Führungsfiguren vom Schlage Trumps. Aber wie bei vielen Entwicklungen – ob technologisch, ökonomisch, kulturell oder mental – ist es nicht ausgeschlossen, dass die „Führungsnation“ des Westens uns auch hier lediglich um ein paar Jahre voraus ist. Dann jedoch wäre der besorgte und zugleich distanzierte Beobachterposten der schlechteste aller Standpunkte. Wir sind längst Teil des Geschehens. Wie steuern wir gegen? Wie bewahren oder regenerieren wir das Vertrauen in die Kraft des Politischen?

Die Schüsse von Butler müssen auch uns aufrütteln.