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Nach Häme von Markus SöderWie viel Demütigung ertragen die Grünen?

Lesezeit 4 Minuten
Britta Haßelmann, Bundestags Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht neben Katharina Dröge (l), Bundestags Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann, Bundestags Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht neben Katharina Dröge (l), Bundestags Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.

Union und SPD haben sich auf Sonderschulden für die Infrastruktur und faktisch unbegrenzte Verteidigungsausgaben verständigt. Ob die Grünen dabei ihre  Zustimmung erteilen, ist ungewiss. 

Union und SPD machten auf dem Weg zur Regierungsbildung am Donnerstag einen weiteren Schritt vorwärts. Im Ältestenrat des Bundestages setzten sie durch, dass der alte Bundestag am 13. und 18. März zu zwei Sondersitzungen zusammenkommt, um eine Aufweichung der Schuldenbremse für höhere Verteidigungsausgaben und ein „Sondervermögen“ in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur – sprich: zusätzliche Sonderschulden – durchzusetzen. Beide Seiten hatten dies in ihren Sondierungsgesprächen am Dienstag vereinbart.

Ungewiss ist jedoch, ob Union und SPD es schaffen, die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen, die sie für die Änderungen des Grundgesetzes benötigen. Dabei sind sie nämlich zwingend auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Und die lassen bisher offen, ob sie Ja sagen. Die FDP hatte sich beim Punkt Verteidigung gesprächsbereit gezeigt, nicht aber beim Sondertopf zur Infrastruktur.

Habeck hatte recht

Das Zögern der Grünen hat mit inhaltlichen Bedenken zu tun. Zwar halten sie Schulden zur Ertüchtigung der Streitkräfte und der Infrastruktur für unabweisbar. Allerdings machten die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann klar, dass sie eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse zielführender fänden und sich zudem zusätzliches Geld für den Klimaschutz wünschen.

Was den Grünen sauer aufstößt, ist, dass ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck im Wahlkampf die Seriosität der Unions-Finanzpolitik stets in Zweifel gezogen hatte – und sich diese Zweifel voll bewahrheiten. Beim Wahlkampfauftakt in Lübeck sagte er etwa, die Behauptung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der gigantische Investitionsbedarf in Wirtschaft, Infrastruktur, Klimaschutz und Verteidigung lasse sich ohne neue Kredite decken, sei eine „Flunkerkanone“. Jetzt soll die Ökopartei die Folgen der Flunkerei tragen. Ein CDU-Politiker sagt: „Unter das Sondervermögen Infrastruktur werden viele Projekte des Netzausbaus, der Kraftwerkstrategie und des Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Die Grünen können sich doch glücklich schätzen, dass das nun kommt und sollten daher schon zustimmen.“

Noch saurer stoßen den Grünen die Angriffe des CSU-Vorsitzenden Markus Söder und seines Generalsekretärs Martin Huber beim Politischen Aschermittwoch auf. Söder hatte Habeck zugerufen: „Goodbye, gute Reise, auf Nimmerwiedersehen!“ Huber postete bei X: „Die Grünen wurden bei der Wahl abgewatscht: Robert Habeck kann wieder Kinderbücher schreiben, Annalena Baerbock über feministische Außenpolitik philosophieren und Cem Özdemir kann Tofu-Schnitzel essen – aber endlich auf der Oppositionsbank!“ Haßelmann sprach daraufhin von „Macker-Gehabe“ und fügte hinzu: „Das, was wir gerade an Tönen aus der CSU hören, insbesondere von Markus Söder, widert an.“

Ihr Parteifreund Anton Hofreiter sagte: „Die Äußerungen Söders zeigen, dass er den Ernst der Lage immer noch nicht verstanden hat oder nicht verstehen will. Die USA sind nicht mehr der Verbündete Europas. In einem Epochenbruch dieses Ausmaßes kommt es für Deutschland darauf an, Verantwortung zu übernehmen. Was es nicht braucht, sind nur dumme Sprüche.“

Prien kommt aus der Deckung

Habeck hatte Söder im Wahlkampf seinerseits immer wieder attackiert. So sagte er im Dezember der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Falls Friedrich Merz, in welcher Position auch immer, Mitglied einer Regierung wird, darf es kein Neben-Regierungsmitglied in Bayern geben, das immer alles torpediert.“ Im Januar legte Habeck nach: „Überzeugungen zu haben ist besser, als keine zu haben. Schöne Grüße nach Bayern!“

In der CDU schütteln sie trotzdem den Kopf über Söder. Zunächst kam die stellvertretende Vorsitzende Karin Prien aus der Deckung. Sie schrieb bei X: „Bin froh, dass der politische Aschermittwoch nicht überall politisches Kulturgut ist.“ Prien sondiert gemeinsam mit Söder die womöglich künftige Koalition und weiß, dass die Kompromissbereitschaft der Grünen mit Äußerungen wie jenen vom Aschermittwoch nicht wächst.

Später äußerte sich auch Schleswigs-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in Richtung Söder und forderte ein Ende der „Herabwürdigungen von politischen Mitbewerbern“. „Persönliches Nachtreten und Häme gehören sich für demokratische Parteien ohnehin nicht“, erklärte der CDU-Politiker in einem Statement bei Facebook.

Ohnehin richtet sich der Unmut unter den Christdemokraten regelmäßig gegen Söder. So auch jetzt. Ihm wird angelastet, die Finanz-Verhandlungen mit der SPD zu schnell abgeschlossen zu haben, obwohl es für das „Sondervermögen“ Infrastruktur und die neuen Schulden im Bereich Verteidigung keine Gegenleistung der SPD gegeben habe.

Tatsache ist, dass sich der Bayer vom bäume-umarmenden Ministerpräsidenten zum Grünen-Schreck gewandelt hat. Ende 2020 sprach er sich noch für ein Bündnis mit der Partei aus: „aktuell das interessanteste politische Angebot“. Vier Jahre später will der CSU-Mann davon nichts mehr wissen – im Gegenteil: Seine Partei greift die Grünen mitunter härter an als die AfD.

Blick Richtung 2029

Einigen in der Union geht das gegen den Strich, besonders in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein, wo Schwarze und Grüne geräuschlos miteinander koalieren. Manche vermuten, Söders Blick schweife bereits in Richtung Bundestagswahl 2029. Er wolle seinen möglichen Konkurrenten schwächen: den Düsseldorfer Ministerpräsidenten Hendrik Wüst – um anschließend selbst erneut nach der Kanzlerkandidatur zu greifen.

Die Grünen jedenfalls verhalten sich fürs Erste reserviert. Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic ließ am Donnerstagmittag eine Pressemitteilung verschicken. Darin steht, sie hätten zu den geplanten Sondersitzungen des Bundestages „kein Einvernehmen erteilt“.