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MigrationsdebatteWissenschaftler warnen: Kriminalität „keine Folge der Staatsangehörigkeit“

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ADie Mitglieder des Deutschen Bundestages stimmen über die Tagesordnung zur Zulassung der Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz der Union ab. Das Gesetz fand später keine Mehrheit.

Die Mitglieder des Deutschen Bundestages stimmen über die Tagesordnung zur Zulassung der Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz der Union ab. Das Gesetz fand später keine Mehrheit.

68 Strafrechtswissenschaftler haben eine Stellungnahme unterzeichnet. In der kritisieren sie, die Migrationsdebatte sei verzerrt und emotional aufgeladen.

„Für eine evidenzbasierte, rationale Kriminalpolitik“ ist die Stellungnahme überschrieben, die jetzt veröffentlicht wurde. 68 Strafrechtwissenschaftlerinnen und Strafrechtswissenschaftler haben sie unterzeichnet. Als Reaktion auf die politischen Diskussionen und Entscheidungen der vergangenen Wochen fordern sie, die Debatte solle sich von populistischen Verzerrungen lösen – und wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen.

Die „KriPoZ “ ist ein kriminalpolitisches Onlineportal, das auch eine gleichnamige Zeitschrift veröffentlicht. Dort ist die Stellungnahme am 3. Februar (Montag) erschienen. Gründungsmitglied und Herausgeberin der „KriPoZ“ ist unter anderem Prof. Dr. Anja Schiemann von der Universität zu Köln, die den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik leitet. Sie hat den Brief ebenfalls unterzeichnet.

Wissenschaftliche Ergebnisse statt Populismus und Verzerrung

Auch wenn der Diskurs nach der Tat von Aschaffenburg „verständlicherweise emotional aufgeladen“ sei, stellen die Unterzeichnenden eine Prägung durch „populistische Instrumentalisierungen und verzerrte mediale Darstellungen“ fest. Aus ihrer Sicht sei ein sachlicher, wissenschaftlich fundierter Umgang mit Kriminalität essenziell, „um wirksame, nachhaltige und verfassungskonforme Lösungen zu entwickeln“.

So zeige die wissenschaftliche Forschung, „dass soziale Integration eine der wichtigsten Präventivmaßnahmen gegen Kriminalität“ sei. Doch aus der Politik werde im Gegensatz dazu der Familiennachzug für Geflüchtete infrage gestellt. Das hatte die Union mit ihrem „Zustrombegrenzungsgesetz“ vorgeschlagen, welches im Bundestag keine Mehrheit fand.

Straftrechtswissenschaftler sehen Missbrauch von Kriminalstatistiken

Auf Kritik aus der Strafrechtswissenschaft stößt auch die Forderung, Personen mit Aufenthaltsberechtigung nach der Begehung von zwei Straftaten abzuschieben. Bei den Straftaten könne es sich auch um Bagatelldelikte wie Schwarzfahren handeln, deren Strafwürdigkeit ohnehin umstritten sei, heißt es weiter. Demnach sei eine Abschiebung als Sanktion „auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fragwürdig“. Unter anderem hatte Hendrik Wüst (SPD) in einer Talkshow mit Caren Miosga gesagt, Straftat sei Straftat.

Dann gehen die Verfasser der Stellungnahme auf den Missbrauch von Kriminalstatistiken ein. Häufig würden registrierte Straftaten mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt, was aus Sicht der Expertinnen und Experten grundlegend falsch sei: „Polizeiliche Kontrollmechanismen und veränderte Anzeigebereitschaft, aber auch andere Faktoren, beeinflussen die Zahlen oft stärker als eine reale Zunahme der Kriminalität oder eine subjektive Wahrnehmung von Kriminalität.“

Migrationsdebatte: Unterzeichner wollen Rückkehr zur Rationalität

In der Stellungnahme heißt es dazu ganz deutlich: „Kriminalität ist keine Folge der Staatsangehörigkeit.“ Um Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, brauche es eine evidenzbasierte, verfassungskonforme Kriminalpolitik. Deshalb sollten kriminologische Erkenntnisse bei Gesetzesvorhaben berücksichtigt werden. Außerdem müsse die Verhältnismäßigkeit im Strafrecht gewährt werden.

Prof. Dr. Susanne Beck von der Leibniz Universität Hannover sagte auf Anfrage unserer Redaktion, dass es erfreulich sei, wie viele Kolleginnen und Kollegen die Stellungnahme unterzeichnet hätten. In Deutschland gebe es nur rund 300 Strafrechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Die Instrumentalisierung von Einzeltaten und die Art und Weise, wie aktuell über Gesetzesvorschläge diskutiert werde, hätten sie zu dem Schreiben veranlasst. Damit wolle man Rationalität in die Debatte einbringen.