Die Ukraine darf nun auch mit Waffen aus den USA und Deutschland Ziele auf russischem Staatsgebiet angreifen – allerdings begrenzt.
Militärexperte verteidigt ScholzWestliche Waffen auf russischem Staatsgebiet „kein Gamechanger“
Die USA legten vor, Deutschland zog am Freitag nach. Die Bundesregierung erlaubt der Ukraine nun ebenfalls, gelieferte Waffen auch gegen militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet einzusetzen. Es ist ein Kurswechsel und eine Reaktion auf die Angriffe Russlands auf die ostukrainische Großstadt Charkiw, die aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus vorbereitet und ausgeführt werden.
„Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren. Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten“, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin.
Militärexperte Richter glaubt nicht an Gamechanger
Ist diese Entscheidung ein Gamechanger im Abwehrkampf an der Grenze? Oberst a.D. Wolfgang Richter, ehemals Teil von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), glaubt das nicht. „Die USA haben die Erlaubnis nur für die Verteidigung des Frontverlaufs bei Charkiw erteilt. Es bleibt also erstmal bei der Restriktion von Langstrecken-Systemen gegen Ziele auf russischem Boden“, sagte der Militärexperte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Das heißt: Nur wenn ein Gefecht so grenznah stattfindet, dass die erste Staffel eines russischen Reglements schon auf ukrainischer Seite steht, die zweite Staffel aber noch auf russischer Seite, dürfe dort angegriffen werden. Strategische militärische Ziele in Russland, wie Abschussrampen für Raketen, darf die Ukraine mit westlichen Waffen weiterhin nicht angreifen.
Einfluss der westlichen Waffen an der Grenze nicht groß
Diese Aufweichung werde nach Ansicht von Richter deshalb nicht so entscheidend sein, da nur etwa die Hälfte der Artilleriesysteme und Mehrfach-Raketenwerfer westliche Waffen seien. Dazu zählen die deutsche Panzerhaubitze 2000 und der Mehrfachraketenwerfer MARS-II. „Ein großer Teil sind aber ukrainische Nationalwaffen, mit denen sie sowieso auf russisches Gebiet schießen dürfen“, sagt der Militärexperte. „Keine einzelne Waffe und auch nicht diese kleine Ausdehnung im taktischen Bereich ist ein Gamechanger, weil sich an der Rolle dieser einzelnen Waffensysteme im Gefecht verbundener Waffen nichts ändert.“
Für die Kritik an der zögerlichen Ukraine-Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz hat Richter wenig Verständnis. Dass Deutschland eine vorsichtigere Haltung zu Einsätzen auf russischem Staatsgebiet habe als andere Nato-Staaten wie Frankreich oder Großbritannien, sei nachvollziehbar, sagt der Experte. „Die Franzosen und Briten sind als Nuklearmächte in einer besseren Position, wenn es um Risikoabdeckung geht, als das nicht nukleare Deutschland in der Mitte Europas“, sagt er.
Zudem gehe zu oft unter, dass Deutschland in Europa der größte Unterstützer der Ukraine sei. Mit Investitionen von 19 Milliarden Euro für militärische Zwecke liegt die Bundesrepublik auf dem zweiten Platz hinter den USA (43 Milliarden Euro). Die Entscheidung, Langstreckenwaffen wie den Marschflugkörper Taurus nicht zu liefern, kann Richter nachvollziehen. „Aus meiner Sicht ist es abenteuerlich, jetzt in einen größeren Krieg hineinzugehen, der ganz Europa betrifft und am Ende nuklear eskaliert. Natürlich muss der Kanzler da vorsichtig agieren.“
Ukraine fordert mehr Einsatzmöglichkeiten für westliche Waffen
Die Sorge, ob die Nato zur Kriegspartei wird, wenn vom Westen gelieferte Waffen in Russland genutzt werden, wird unter Nato-Staaten kontrovers diskutiert. Die Ukraine fordert seit längerem, auch mit westlichen Waffen strategische militärische Ziele in Russland angreifen zu können. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein.
Entscheidend ist aus Sicht von Militärexperte Richter ohnehin nicht nur die Frage, welche Waffen die Ukraine wie einsetzen darf. „Was im Moment kaum diskutiert wird, ist, dass die Ukrainer vor allen Dingen unter einem Personalmangel leiden. Das ist ja auch die Krux der ausgedehnten Frontlinie bei Charkiw.“ Die Ukraine muss deshalb Reserven aus anderen Gebieten abziehen. Russland hofft, die Frontlinie auf diese Weise ausdünnen zu können.