- Viele der damaligen Prognosen zum Verlauf der Infektionswelle und den sich daraus ergebenden Problemen scheinen sich gut sieben Jahre später zu bewahrheiten.
- Risikoanalytiker machten auf mögliche Schwachstellen im Kampf gegen eine Virus-Epidemie aufmerksam, wie wir sie jetzt erleben.
- Doch wie es scheint, trauten die Verantwortlichen in Bund und Ländern den damaligen Gedankenspielen des RKI nicht.
- Warum mussten betroffene Gemeinden wie der Kreis Heinsberg mangels eines klaren Pandemieplans quasi im Learning-by-doing-Verfahren den Ernstfall meistern, um die Zahl der Infizierten in den Griff zu bekommen?
Köln – Die Schulen sind geschlossen, Kontaktbeschränkungen legen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben weitgehend lahm. Die Bevölkerung reagiert einerseits verständnisvoll, aber andererseits auch verunsichert auf den Ausbruch eines neuen Virus, das die Atemwege angreift. Die Infektions- und Todesraten schnellen hoch. Es fehlt an Schutzausrüstung für Ärzte und Pflegepersonal, den Krankenhäusern droht der Kollaps. Dieses Szenario, heute so nah an der Realität, hat das Robert-Koch-Institut (RKI) nebst etlichen Bundesbehörden bereits Ende 2012 durchgespielt.
Seinerzeit entwickelten führende staatliche Stellen eine Risikoanalyse zu einer Pandemie mit einem Modell-Virus namens „Modi-Sars“. Viele der damaligen Prognosen zum Verlauf der Infektionswelle und den sich daraus ergebenden Problemen scheinen sich gut sieben Jahre später zu bewahrheiten. Nur dass der fiktive Erreger von damals durch das reale Corona-Virus Sars-CoV-2 ersetzt wird und die anonyme Lungenkrankheit nun einen Namen hat: Covid-19.
„Es war ein großer Fehler, den Pandemieplan nicht konsequent umzusetzen“
Bereits 2012 machten die Risikoanalytiker auf mögliche Schwachstellen im Kampf gegen eine Virus-Epidemie aufmerksam, wie wir sie jetzt erleben. Bei ihren Einschätzungen orientierten sich die Forscher an den Erfahrungen mit dem Sars-Virus aus dem Jahr 2002/2003, das ebenfalls in China seinen Ursprung hatte und 800 Menschen weltweit an einer Atemwegskrankheit sterben ließ. Seinerzeit stufte die Weltgesundheitsorganisation den mit dem Corona-Virus verwandten Erreger als globale Bedrohung ein.
Doch wie es scheint, trauten die Verantwortlichen in Bund und Ländern den damaligen Gedankenspielen des RKI nicht. Inzwischen fragen sich Gesundheitsexperten, wieso es sonst zu Engpässen bei den professionellen Atemschutzmasken vom Typ FFP3, bei Schutzkitteln Desinfektionsmittel oder gar dem simplen Mund-Nase-Schutz kommen konnte. Warum musste der Bestand an Beatmungsgeräten und Intensivbetten erst mühsam aufgestockt werden?
Und warum sind Kapazitäten so bemessen, dass sie womöglich im schlimmsten Fall immer noch nicht reichen? Warum mussten betroffene Gemeinden wie der Kreis Heinsberg mangels eines klaren Pandemieplans quasi im Learning-by-doing-Verfahren den Ernstfall meistern, um die Zahl der Infizierten in den Griff zu bekommen? Wieso die wochenlange Ignoranz der hiesigen Politik, als das Virus in China schon zu Tausenden Toten geführt hatte?
„Es war ein großer Fehler, den Pandemieplan nicht konsequent umzusetzen“, sagt der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Man habe damit eine wichtige Chance vertan, „auf die explosionsartige Verbreitung des Coronavirus zu reagieren.“ Aus Sicht des SPD-Politikers hängt dieses Versagen auch mit der zersplitterten Zuständigkeit von Bund, Land und Kommunen zusammen: „Alle wollen Zuständigkeit, niemand will aber Kosten oder Verantwortung tragen.“
Wie eine Blaupause für die aktuellen Geschehnisse liest sich die sieben Jahre alte Risikoanalyse: Sie sagt massive wirtschaftliche Schäden durch den gesellschaftlichen „Lockdown“ voraus. Luftfahrt, Reise- und Schienenverkehr, ÖPNV – alle Bereich müssen immense Einbußen verkraften. Globale Lieferketten würden unterbrochen, so dass die Wirtschaft hierzulande nicht mehr produzieren könnte. Das Rettungs- und Sanitätswesen werde an seine Grenze stoßen.
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Die Industrie werde der Nachfragen nach Schutzausrüstung, Arzneimitteln und medizinischen Produkten nicht mehr Herr werden. Ältere Menschen, verunsichert durch Vorerkrankungen, trauten sich nicht mehr aus dem Haus. Auch Ausgangssperren, Kontakt- und Versammlungsverbote, Isolation von Risikogruppen – all diese Maßnahmen führt die Studie von 2012 an, um die Virus-Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Warum das Szenario auf Basis realistischer Annahmen nicht in einem bundesweit greifenden Pandemieplan endete, wird noch zu klären sein.
In einem Punkt lagen die Risikoanalytiker bisher – zum Glück – falsch: Die Fachleute gingen bei ihrem Modell-Virus „Modi-Sars“ von drei Infektionswellen aus, die insgesamt drei Jahre lang andauern würden. Solange bis sich ein Impfstoff gefunden hätte, rechneten sie die Sterberate auf etwa zehn Prozent der Bevölkerung (7,5 Millionen Menschen) hoch. Am Dienstag, 7. April, meldete das RKI für Deutschland knapp 100 000 bestätigte Infizierte und mehr als 1600 Todesfälle. Renommierte Virologen wie Christian Drosten von der Berliner Charité hoffen ferner, dass bereits im kommenden Jahr ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 vorliegt.
Auf das Szenario, dass im Falle überfüllter Krankenhäuser und überlasteter Intensivstationen Ärzte entscheiden müssen, welche Patienten sie behandeln und welche nicht, ging die Analyse damals ebenfalls ein. Es gebe bislang „keine Richtlinien, wie mit einem Massenanfall von Infizierten bei einer Pandemie umgegangen werden kann“, ist in dem Papier zu lesen. „Diese Problematik erfordert komplexe medizinische, aber auch ethische Überlegungen und sollte möglichst nicht erst in einer besonderen Krisensituation betrachtet werden.“
Auch dieser Ratschlag wurde nicht beherzigt. Dabei hatte das RKI bereits 2007 nach einer großangelegten Pandemie-Übung des Bundes und der Länder gewarnt: „Die Frage ist nicht, ob eine globale Grippe-Epidemie ausbricht, sondern nur, wann.“