Nobelpreisträger über Pressefreiheit„Propaganda ist der Koch des Krieges!“
Während die russische Regierung am Internationalen Tag der Pressefreiheit mit der unbelegten Behauptung Schlagzeilen produziert, Israels Regierung würde das „Neonazi-Regime in Kiew“ unterstützen, äußert sich einer der bekanntesten russischen Journalisten, Nobelpreisträger Dmitri Andrejewitsch Muratow, zur Lage der Medien in seiner russischen Heimat.
Der Chefredakteur der Kreml-kritischen Zeitung „Novaya Gaseta“ prangert darin nicht nur die Propaganda-Maschinerie an, sondern bezieht auch Stellung zum Krieg in der Ukraine.
Muratow: „Wie konnte es passieren?“
„Wie konnte es passieren, dass – zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit – die Menschheit selbst und das Leben auf dem Planeten vom Wollen und Willen eines einzelnen Menschen abhängt? Nämlich vom russischen Präsidenten, der den roten Atomknopf besitzt - immer dabei, entweder in seiner Jackentasche oder in einem Köfferchen unter seinem Tisch. Wie sind wir dahin gekommen?“, fragt er zu Beginn seines Statements, dass der NDR vor der Ausstrahlung der Rede in der Sendung „Medien im Krieg – Pressefreiheit unter Druck“ veröffentlichte.
Laut Muratow liegt die Antwort auf der Hand. „Die Vernichtung der vom Staat unabhängigen Medien, Repressalien gegen politische Opponenten und - das Wichtigste - die allumfassende Propaganda“, so der 60-Jährige. Er selbst sei Zeuge davon geworden, „wie ein ganzes Volk - unser Volk - im 21. Jahrhundert einem geglückten Experiment unterzogen wurde: der Bestrahlung mit Propaganda.“
Für Muratow ist Propaganda der Krieg selbst
Würde unabhängige Berichterstattung fehlen, sei die Grundlage für einen Kriegsbeginn geschaffen. „Propaganda ist der Koch des Krieges! Propaganda ist der Krieg selbst“, so Muratow. In der Folge geht er auf Methoden von Propaganda ein und erklärt wie sie seiner Meinung nach funktioniere.
„Dadurch entsteht eine These: dass die Wahrheit etwas ist, das dem Staat nutzt und den Interessen des Staates dient. Wenn du deine Heimat liebst, bedeutet das, du liebst seine Machthaber. Dieser These schließt sich die Kirche an. Sie proklamiert an jeder Ecke, dass jede Macht von Gott bestimmt sei“, so Muratow.
Klimax der Propaganda-Maschinerie
Propaganda-Shows im Fernsehen, Proklamation der eigenen Stärke – das alles seien nur Vorboten vor dem „eigentlichen Höhepunkt: die allmähliche Gewöhnung daran, dass Atomwaffen an sich nicht so schlecht seien. Man könne manchmal über ihren Einsatz nachdenken. Ich fürchte, wir haben mittlerweile viele willige Kandidaten für eine Talkshow, bei der der Gewinner das Recht erhält, den roten Knopf zu drücken“, schildert der aus der Industriestadt Samara im europäischen Teil des Landes stammende Journalist ein düsteres Szenario.
Er bedauere die Feindseligkeit zwischen Russland und vielen Ländern dieser Welt, vor allem aber die zur Ukraine. Der Krieg sei bis zum Ende der Menschheit im Internet sichtbar und könne niemals vergessen werden.
Muratow versteigert Friedensnobelpreis-Medaille
Zum Ende seines Statement ruft Muratow dazu auf, „denjenigen, die noch schlechter dran sind als man selbst“ Hilfe zu leisten. Er selbst wolle seine Goldmedaille des Friedensnobelpreisträgers 2021 versteigern und das Geld Geflüchteten und Kindern zukommen lassen.
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Wie wichtig eine freie Presse für Muratow, der am 7. April Opfer eines vermutlich politisch motivierten Farbanschlages wurde, ist, macht er in seiner Schlussbemerkung deutlich. „Man muss sich dessen bewusst sein: Wenn es keine freie Presse gibt, gibt es keine Zukunft. Deshalb ist der Tag der Pressefreiheit kein Branchen- oder Firmen-Feiertag mehr. Dies ist ein Tag für die ganze Menschheit, wenn sie überleben möchte.“ (pst)