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Nord-Stream-ErmittlungenSpuren führen in die Ukraine – Deutsche Justiz ließ Schiff durchsuchen

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Gas-Pipeline: Das Foto zeigt das Leck in Nord Stream 2 im September 2022.

Gas-Pipeline: Das Foto zeigt das Leck in Nord Stream 2 im September 2022. Neue Erkenntnisse des US-Geheimdienstes sehen mögliche Verbindungen zu einer pro-ukrainischen Gruppe zu den Explosionen an den Pipelines. (Archivbild)

Eine Gruppe mit ukrainischem Hintergrund könnte für die Explosionen an den Pipelines verantwortlich sein. Die Bundesanwaltschaft ließ ein Schiff durchsuchen.

Die Hinweise verdichten sich offenbar, dass pro-ukrainische Kreise für die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines im September 2022 verantwortlich sein könnten. Die Bundesanwaltschaft bestätigte, dass sie im Januar ein verdächtiges Schiff durchsuchen ließ.

Zunächst hatte die „New York Times“ am Dienstag unter Berufung auf US-Beamte berichtet. Demnach gebe es neue Hinweise zu den mutmaßlichen Anschlägen. Die US-Beamten, die nicht namentlich genannt werden, sollen mit Informationen des Geheimdienstes vertraut worden sein. Die „New York Times“ betonte, dass es derzeit keine Hinweise darauf gibt, dass die ukrainische Regierung oder Regierungsvertraute einen Anschlag oder Sabotage in Auftrag gegeben haben.

Boot für Anschlag auf Nord-Stream-Pipelines soll von Firma im Besitz von Ukrainern angemietet worden sein

Noch konkreter waren dann die Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios, des ARD-Politikmagazins „Kontraste“, des SWR und der „Zeit“. Deutsche Ermittlungsbehörden hätten demnach weitgehend rekonstruiert, wie und wann der Anschlag vorbereitet wurde. Dem Bericht zufolge identifizierten sie das Boot, das mutmaßlich für die Geheimoperation in der Nacht zum 26. September 2022 genutzt wurde. Dieses sei von einer polnischen Firma im Besitz zweier Ukrainer angemietet worden.

Am Mittwochmorgen bestätigte die Bundesanwaltschaft die Recherchen von ARD und „Zeit“. Man habe im Januar ein verdächtiges Schiff durchsuchen lassen, heißt es aus Karlsruhe. Es bestehe der Verdacht, dass es zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, teilte die Karlsruher Behörde am Mittwoch auf Anfrage mit. Belastbare Aussagen zu Tätern, Motiven und einer staatlichen Steuerung könnten derzeit nicht getroffen werden.

An der Sprengung seien fünf Männer und eine Frau beteiligt gewesen, berichteten ARD und „Zeit“. Die Gruppe habe sich zusammengesetzt aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin. Das Team verfügte über professionell gefälschte Reisepässe, die unter anderem für die Anmietung des Bootes genutzt worden sein sollen. Das Kommando sei am 6. September 2022 von Rostock aus in See gestochen. Die Ausrüstung für die Geheimoperation sei vorher mit einem Lieferwagen in den Hafen gebracht worden.

So verlaufen die Gas-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 von Russland bis nach Deutschland.

So verlaufen die Gas-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 von Russland bis nach Deutschland.

Im weiteren Verlauf gelang es den Ermittlern den Medienrecherchen zufolge, das Boot am folgenden Tag in Wieck am Darß und später an der dänischen Insel Christiansö zu orten. Nachdem die Jacht in ungereinigtem Zustand zurückgegeben worden sei, hätten Ermittler auf dem Tisch in der Kabine Spuren von Sprengstoff nachgewiesen.

Ukraine weist Beteiligung an Sprengung von Nord-Stream-Pipeline zurück

Die Erkenntnisse bedeuten aber laut ARD und „Zeit“ ebenfalls nicht, dass die ukrainische Regierung den Anschlag in Auftrag gegeben haben muss. In internationalen Sicherheitskreisen werde nicht ausgeschlossen, dass bewusst Spuren gelegt worden sein könnten, um die Ukraine als Urheber hinzustellen. Hinweise auf eine solche sogenannte False-Flag-Aktion lägen den Ermittlern aber offenbar nicht vor.

Die Ukraine wies die Berichte über eine mögliche Beteiligung unterdessen zurück. Die Ukraine habe „nichts mit dem Vorfall in der Ostsee zu tun und hat keine Informationen über ‚pro-ukrainische Sabotagegruppen‘“, schrieb der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Boris Pistorius äußerte sich zu Nord-Stream-Sabotage

Verteidigungsminister Boris Pistorius reagierte zurückhaltend auf die Medienberichte. Er nehme die Rechercheergebnisse mit großem Interesse zur Kenntnis, sagte der SPD-Politiker am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk. „Aber wir müssen jetzt mal abwarten, was sich davon wirklich bestätigt. Jetzt hypothetisch zu kommentieren, was wäre wenn, halte ich jetzt für nicht zielführend. Das muss geklärt werden.“

Wichtig sei es, die Infrastruktur unter Wasser besser zu schützen. Auf die Unterstützung der Ukraine durch den Westen hätten die „bestimmt akribischen“ Recherchen keine Auswirkungen. Es sei immer noch möglich, dass die Intention sei, die Sabotage ukrainischen Gruppierungen in die Schuhe zu schieben.

Nord Stream 1 und 2: Lecks in Pipelines geben Ermittlern weiter Rätsel auf

Die Explosionen an den Pipelines Nord-Stream-1 und Nord-Stream-2 waren in Folge der russischen Invasion in der Ukraine in hochbrisantes Thema. Es folgten Schuldzuweisungen zwischen Moskau und Washington, für Deutschland bedeutete es einen drohenden Versorgungsengpass und massiven Preisanstieg für Erdgas. Auch weiterhin untersuchen Ermittlerinnen und Ermittler die Hintergründe des Anschlags auf die Pipelines.

Insgesamt vier Explosionen hatten im September 2022 in den Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks in der Ostsee mehrere Lecks in die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 gerissen, die für den Transport von russischem Gas nach Deutschland gebaut worden waren. Die Pipelines waren zum Zeitpunkt der Explosionen nicht in Betrieb, enthielten aber Gas.

Die EU und die USA hatten zuvor eine Schuld Moskaus für die Explosionen in Betracht gezogen. Diese Möglichkeit sei auch durch die neuen Informationen noch nicht ausgeschlossen. Die neuen Erkenntnisse müssten zunächst weiter überprüft werden, hieß es, voreilige Schlüsse zu ziehen, sei nicht ratsam. (mab, cme, mit dpa und afp)