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Grünen-Chef Omid Nouripour„Die Innenminister müssen die Integrität von Wahlen gewährleisten“

Lesezeit 7 Minuten
Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesvorsitzender, spricht während der Landesmitgliederversammlung der Grünen Hamburg auf der Bühne.

Der Vorsitzende der Grünen Omid Nouripour, ist mit den Beschlüssen der Innenminister zum Schutz von Politikern nicht einverstanden. Er kritisiert außerdem die CDU und will von einem schwarz-grünen Bündnis erst mal nichts wissen.

Nouripour ist mit den Beschlüssen der Innenminister zum Schutz von Politikern nicht einverstanden. Er kritisiert außerdem die CDU und will von einem schwarz-grünen Bündnis erst mal nichts wissen.

Herr Nouripour, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist bereit, nach der Europawahl mit teilweise sehr weit rechts stehenden Parteien zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig wollen auch die Grünen nach der Wahl in der Kommission mitmischen. Passt beides unter einen Hut?

Die Haltung der CDU ist unklar. In Deutschland stellen sie sich mit uns zusammen auf die Bühne und rufen den Kampf gegen die Feinde der Demokratie aus, AfD eingeschlossen. In Europa schließt gleichzeitig niemand in der CDU aus, nach der Wahl mit der EKR-Fraktion zusammenzugehen. In der EKR tummeln sich Parteien wie das spanische Gegenstück der AfD. Wir wollen eine demokratische Mehrheit im Europäischen Parlament und stehen dafür bereit. CDU und CSU müssen aufhören, um diese Frage herumzueiern. Die Frage an Frau von der Leyen ist doch: Will die Union in Brüssel tatsächlich mit Rechtsextremen koalieren? Die Wähler haben das Recht zu wissen, was sie bekommen.

Sie gehen nicht mit rechten Parteien zusammen?

Die Zusammenarbeit mit Demokratiefeinden im Europaparlament schließe ich aus, ja. Es ist nicht Sinn der Sache, Wahlkampf für Demokratie und Freiheit in Europa zu machen, um hinterher mit ihren Feinden zu koalieren. Die Union muss aber auch inhaltlich aufhören, herumzueiern. Das betrifft auch den Green Deal – das Herzstück von fünf Jahren Arbeit ihrer Parteikollegin Ursula von der Leyen. Der Green Deal ist entscheidend für den Weg zur Klimaneutralität und damit zu Europas Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.

Wir stehen in einem globalen Wettbewerb, in dem in den USA und Asien Milliarden in Klimatechnologien investiert werden. Es geht darum, wo sich Zukunftstechnologien ansiedeln, wo Jobs erhalten bleiben und neue entstehen. Wenn CDU und CSU jetzt dennoch gegen die Arbeit von Frau von der Leyen Wahlkampf machen, dann fragt man sich: Was kriegt man eigentlich, wenn man CDU und CSU wählt?

Wenn es dabei bleibt, läuft mit den Grünen nichts?

Wir wollen, dass Europa auch in Zukunft ein Kontinent ist, auf dem Innovation und gute Arbeitsplätze entstehen. Dafür braucht es kluge Antworten und keine Ideen aus der Mottenkiste. Ich hoffe, dass die Union sich da nach der Wahl besinnt.

Haben die Grünen denn überhaupt eine Chance, mit ihren Themen im Europawahlkampf durchzudringen? Der Klimaschutz ist generell in Verruf geraten.

Mein Eindruck ist ein anderer: Über allem steht doch die Frage, ob Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt. Und dabei wird es ganz entscheidend sein, dass wir durch den Ausbau der Erneuerbaren, durch gute Infrastruktur, durch Bürokratieabbau weiterhin ein guter Standort für die Wirtschaft bleiben. Das sind alles grüne Themen. Um die Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, braucht es eine Politik, die nicht in Silos denkt, sondern vorsorgt.

Dafür stehen wir. Und zum Klima: Ich war gerade im Klein-Gerauer Wald bei Büttelborn in Südhessen. Die Förster dort sind nur noch damit beschäftigt, totes Holz einzusammeln. Wer das nicht ernst nimmt und glaubt, die Klimakrise sei nicht so groß, der ist aufgerufen, sich das nächste Waldstück um die Ecke anzugucken. Klimaschutz ist kein Thema der Grünen, sondern eine Menschheitsaufgabe.

Ein anderes Thema sind die jüngsten Angriffe auf Politiker. Haben Sie selbst schon mal einen Angriff erlebt?

Ich habe oft erlebt, dass es sehr laut wurde. Da kommen Leute und versuchen, Diskussionen durch Schreie zu stören. Aber ich bin in einer privilegierten Lage, denn im Zweifel erhalte ich den Schutz des Bundeskriminalamts. Ehrenamtliche, die es gerade in besonderem Maße trifft, haben weniger Schutz. Und Studien belegen, dass eine Mehrheit von Kommunalpolitikern schon Gewalt erlebt hat. Hinzu kommt, dass politische Arbeit und das Privatleben auf kommunaler Ebene enger beieinander liegen.

Der BKA-Präsident selbst spricht davon, dass Angriffe auf Kommunalpolitiker die größte Gefahr für unsere Demokratie seien. Die Ehrenamtlichen in diesem Land sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Sie brauchen unseren Schutz und unsere Unterstützung, damit sie ihre Arbeit machen können.

Sie haben die Innenminister aufgefordert, jetzt mehr Polizei auf die Straße zu schicken. Die sagen aber mehr oder weniger alle: Das können wir gar nicht.

Ich bin erst mal froh, dass es überhaupt eine Innenministerkonferenz gegeben hat. Sie war überfällig. Ich habe auch nichts dagegen, dass wir darüber reden, wie wir die Gesetzeslage verbessern können. Aber wir reden ja derzeit über eine akute Gefahr. Und dafür braucht es jetzt Lösungen. Täglich stehen Tausende Wahlkämpfer aller Parteien auf den Straßen und werben für ihre Überzeugung. Und wer heute sagt, er habe kein Personal, der wird auch morgen dasselbe sagen, wenn es um die Umsetzung neuer Gesetze geht.

Alle 17 Innenminister in Bund und Ländern sind verantwortlich für die Integrität von Wahlen. Und zur Integrität von Wahlen gehört, dass ungehindert Wahlkampf gemacht werden kann. Das müssen die Innenminister jetzt und nicht irgendwann gewährleisten und dafür die nötigen Ressourcen bereitstellen.

Da kommen wir zum Thema Geld. Vorher aber noch eine andere Frage: Wir haben auch zunehmende Spionage aus Russland und aus China. Was lässt sich denn dagegen machen?

Wir müssen bei der Abwehr ausländischer Agententätigkeit besser werden. Bekanntes Beispiel war der Tiergartenmord 2019, wo der russische Geheimdienst jemanden auf offener Straße erschossen hat. Die Einflüsse von Autokratien wie Russland, aber auch China reichen aber viel weiter. Dabei wird vor allem versucht, Einfluss auf die öffentliche Debatte zu nehmen. Es gibt ja immer wieder Berichte, dass Russland und China teils ranghohe Funktionäre der AfD bezahlt haben. Damit Sicherheitsbehörden besser dagegen vorgehen können, müssen Finanzströme besser ausgeleuchtet werden.

Hier fehlen unseren Sicherheitsbehörden die nötigen Werkzeuge, um das transparent zu machen. Da braucht es mehr Handlungsfähigkeit. Dem Anschein nach haben wir es mit der AfD mit einer Partei zu tun, die kein Problem damit hat, die Interessen von Russland und China zu vertreten – auf Kosten deutscher Interessen. Die AfD schadet Deutschland.

Brauchen die Sicherheitsbehörden bei Cyberattacken auch das Recht zu Hackbacks, also zu Gegenangriffen?

Nein. Wir brauchen eine vertiefte europäische Zusammenarbeit – etwa in Form einer europäischen Nachrichtendienstagentur. Dass wir über russische Zahlungen an einen AfD-Europaabgeordneten vom tschechischen Nachrichtendienst erfahren haben, ist gut. Aber das muss systematisiert werden. Es ist bekannt, dass die Feinde unserer Demokratie sich international vernetzen. Entsprechend sollten wir Europäer unsere Stärken bündeln. Das gilt auch für den Umgang mit der islamistischen Terrorgefahr.

Jetzt komme ich wie angekündigt auf das Geld zurück. Die Bundesinnenministerin sagt, dass sie für mehr Sicherheit auch mehr Geld brauche. Der Verteidigungsminister sagt das Gleiche. Der Finanzminister will aber sparen. Wie passt denn das zusammen?

Die Haushaltsverhandlungen sind immer ein Aushandlungsprozess, das ist erst mal nicht ungewöhnlich. Und es ist ja klar, dass wir zwei scheinbare Gegensätze zusammenbringen müssen: Wir müssen auf der einen Seite mit knapperen Mitteln umgehen und auf der anderen Seite investieren, weil es einen gigantischen Investitions- und Modernisierungsstau in diesem Land gibt. Dazu gehört die innere Sicherheit wie auch Zivil- und Katastrophenschutz. Wir werden dafür in der Regierung Lösungen finden.

Christian Lindner hat stattdessen gerade erst das Rentenpaket blockiert, offenbar um seinem Sparappell Nachdruck zu verleihen. Wäre es nicht höchste Zeit, dass sich die Ampelspitzen jetzt mal zusammensetzen und die Sache grundsätzlich besprechen? Wenn SPD und Grüne Milliardensummen mehr wollen und die FDP genau das nicht will, dann kann doch gar keine Einigung zustande kommen.

Wir werden zu einer Lösung kommen. Ich bin da guten Mutes.

Ein letztes Thema: der CDU-Parteitag. Was hat Ihnen denn da gefallen – und was nicht?

Gefreut habe ich mich, am Sonntagabend vor Parteitagsbeginn zwei Ministerpräsidenten der CDU aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen zu sehen. Und zwar bei der Solidaritätsdemonstration vor dem Brandenburger Tor anlässlich der Angriffe auf Politiker von SPD und Grünen. Hendrik Wüst hat da eine starke Rede gehalten. Und dass auch Michael Kretschmer gekommen ist, war ein gutes Signal dafür, dass Demokraten zusammenstehen.

Ich muss gestehen, vom Parteitag selbst habe ich nicht so viel mitbekommen, dazu war im Weltgeschehen zu viel los. Mir wurden nur einige Ausschnitte von Reden in den sozialen Medien angezeigt. Erstaunlich fand ich, dass es sehr viel um Grüne ging. Es freut mich natürlich, dass die Union sich selbst auf ihrem Parteitag so viel mit uns beschäftigt. Hoffentlich haben sie darüber nicht den Programmprozess vergessen.

Nach jetzigem Stand gehen alle davon aus, dass die Union nach der nächsten Bundestagswahl zwischen der SPD und den Grünen als Koalitionspartner wählen und so die Preise drücken kann, wie zuletzt in Hessen. Ist das auch Ihre Erwartung?

Ich habe schon viele Umfragen in meinem Leben gelesen, die sich im Nachhinein als pure Momentaufnahmen herausgestellt haben. Bis zur Bundestagswahl ist es noch weit. (rnd)