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„Achtung, Schulweg!“Rush Hour am Morgen gefährdet die Jüngsten – Wie Schülerlotsen sie schützen

Lesezeit 6 Minuten
Schülerlotsen der Peter-Ustinov-Gesamtschule in Monheim am Rhein. Koordinator ist Lehrer Tim Umlauf (mittlere Reihe, rechts). Schulwegsicherheit, Verkehrshelfer.

Schülerlotsen der Peter-Ustinov-Gesamtschule in Monheim am Rhein. Koordinator ist Lehrer Tim Umlauf (mittlere Reihe, rechts). Schulwegsicherheit, Verkehrshelfer.

Tausende Verkehrshelfer schützen morgens den Schulweg der Kinder in NRW. Wer sie sind, ausbildet und wie sie arbeiten.

Vor Schulen kann der Straßenverkehr morgens hektisch werden. Das ist besonders fatal, nehmen doch gerade hier viele junge, kleine, unerfahrene Menschen am Verkehr teil. Umso schöner, wenn Schülerinnen und Schülern und ihre Eltern sich gegenseitig helfen. Als Schülerlotsen stoppten vergangenes Schuljahr 1745 Jugendliche vor dem eigenen Unterrichten und noch einmal mehr Erwachsene in Nordrhein-Westfalen den Verkehr. Das hat Tradition, seit 70 Jahren sind Schülerlotsen in NRW im Dienst.

Polizistin Katrin Grastat bildet die ehrenamtlichen Verkehrshelfer, wie sie offiziell heißen, aus. Sie ist Verkehrssicherheitsberaterin in Solingen, seit neun Jahren. Wer mindestens 13 Jahre alt ist, kann von Grastat und ihren zwei Kollegen vom Verkehrserzieherteam der Polizei einen Tag lang ausgebildet werden. In Theorie und Praxis.

Polizistin Katrin Grastat bildet Schüler zu Verkehrshelfern aus

„Es ist schön, dass es viele Jugendliche gibt, die sich für ihre Mitschüler engagieren“, sagt die Polizistin. Sie zeigt angehenden Helfern, wie lang der Bremsweg eines Autos tatsächlich ist. Und wie man mit der Kelle – wie die echten Polizistinnen – in den Verkehr eingreift.

Meist hängt es von einem Lehrer ab, der sich seit Jahrzehnten darum kümmert.
Katrin Grastat, Polizistin und Ausbilderin der Schülerlotsen in Solingen

In Grastats Revier gibt es 200 Schülerlotsen an sieben Schulen. Einer von ihnen ist ihr Sohn Paul. Wie es ist, Schülerlotse zu sein, berichtete er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits: „Wir lotsen zum einen zur Sicherheit für die Jüngsten und für das Wohlgefühl der Eltern.“

Aber das Interesse der Jugendlichen sei rückläufig, beobachtet Katrin Grastat. „Es muss auch von der Schule gewünscht sein“, sagt sie. Und: „Meist hängt es von einem Lehrer ab, der sich seit Jahrzehnten darum kümmert.“

Lehrer Tim Umlauf koordiniert Schülerlotsen in Solingen

Wie Tim Umlauf. Er koordiniert seit 2008 Schülerlotsen an der Peter-Ustinov-Gesamtschule in Monheim. Ein Nachwuchsproblem gibt es an seiner Schule nicht, er konnte nun die Helferzahl von 29 auf 49 erhöhen. Dreiviertel seiner Siebtklässler überzeugte Umlauf, den diesjährigen Ausbildungstag mit Erfolg zu absolvieren. „Ich sehe, wie die Schüler reifen und wachsen durch solch ein Ehrenamt“, sagt Umlauf.

Die neue Unterstützung kann Umlauf gut gebrauchen, er plant eine zweite Lotsenstelle einzurichten. Denn neben der Gesamtschule liegen auch eine Grundschule und eine Kindertagesstätte: An die 1800 Kinder, die teils so klein sind, dass sie gar nicht über eine Motorhaube sehen können, kreuzen hier um kurz vor acht die Straßen. Und die Elterntaxis stellen eine Gefahr für andere Kinder dar.

„Seitdem wir dort sichern, ist noch nie etwas passiert“, sagt Umlauf. An anderen Stellen in Schulnähe habe es hingegen leichte Verkehrsunfälle in den vergangenen Jahren gegeben. „Die Kinder sehen: Ich mache da etwas Wichtiges.“

Stadt Monheim schenkt Teilnehmern Ausflug ins Phantasialand

Die Stadt Monheim unterstützt die Aktion finanziell, sodass alle Verkehrshelfer einen Ausflug ins Phantasialand geschenkt bekommen. Umlauf sagt, das sei aber nicht die Motivation seiner Schüler: „Dafür stellt man sich nicht bei Regen und Schnee auf die Straße.“

Die Verkehrshelfer üben ihren Dienst in einer Art Uniform aus. In gelber Warnweste und mit Kelle stellen sie sich an den Bürgersteig. Damit tragen sie ihr Ehrenamt nach außen. Und es verleiht ihnen Autorität.

Denn zwischen den überwiegend verständnisvollen Autofahrenden, gibt es doch ein paar Aufmüpfige, ein bis zwei pro Jahr, sagt Umlauf. Dann setzt sich der Lehrer für seine „Mädels und Jungs in gelb“ ein. Die Lotsen sollen sich das Kennzeichen merken, wenn Fahrer an ihnen vorbeirasen oder ausfallend werden – die können mit einer Aufklärung durch die Polizei rechnen.

Nach wie vor gibt es viele Stellen, wo der Einsatz von Lotsen zu begrüßen ist.
Christina Görtz, Sprecherin der Landesverkehrswacht NRW

Die Koordination und Bereitstellung der Ausrüstung übernimmt die Verkehrswacht. „Nach wie vor gibt es viele Stellen, wo der Einsatz von Lotsen zu begrüßen ist“, sagt Christina Görtz, Sprecherin der Landesverkehrswacht NRW. „Gut ist, dass heute bei Baumaßnahmen auf eine entsprechende Infrastruktur vor Schulen geachtet wird.“ Schülerlotsen kommen dort zum Einsatz, wo es keinen geregelten Übergang gibt, etwa in kleinen Straßen oder an Verkehrsinseln ohne Zebrastreifen.

Und sie stärken die Schulgemeinschaft: „Für die Schüler, die gelotst werden, ist es toll, dass sie Unterstützung von Mitschülern bekommen. Sie lernen zu schätzen, dass sie sich auf ihre Mitschüler verlassen können“, so Görtz.

In Köln lotsen ausschließlich Eltern

In Köln gibt es zwar keine jugendlichen Lotsen, dafür sicherten im Schuljahr 2022/2023 knapp 300 erwachsene Lotsen, zum Teil im Wechsel, an sieben Schulen die Ankunft der Schülerinnen und Schüler. „Ein Lotsendienst kann in der Regel nur dann eingerichtet werden, wenn keine sonstigen Überquerungshilfen vorhanden sind und somit von einer potentiellen Gefährdung auszugehen ist“, schreibt die Stadt auf Anfrage. Dies werde im Rahmen einer Ortsbegehung geprüft. „Sobald der Lotsendienst seitens der Schule vorbereitet ist und das Amt für Straßen und Radwegebau den Antrag befürwortet hat, erfolgt eine Installation der erforderlichen Verkehrszeichen.“

Auch an der Albert-Schweizer-Schule in Köln-Weiden übernehmen Eltern den Lotsen-Dienst. Die Schule liegt an der Breslauer Straße, quer zur Aachener und direkt vor der Auffahrt zu Autobahn 1. Eigentlich gibt es hier eine Ampel, aber das reicht zur Hauptverkehrszeit, also dann, wenn auch die Kinder zur Schule gehen, nicht.

Ich erlebe vielleicht 40 Ampelphasen pro Schicht und in der Hälfte von ihnen bleiben Autos auf der Kreuzung stehen.
Tobias Kreimer, Vater und Verkehrshelfer in Köln

Tobias Kreimer hat eine Tochter auf der Grundschule und koordiniert seit zwei Jahren die Eltern, die hier die Schüler lotsen. Er sagt, die Gefahren seien der Rückstau und die Autos, die versuchten, bei Dunkelgelb noch schnell die Kreuzung zu queren. Dann zeige die Fußgängerampel schon grün und die Autos blieben auf dem Überweg, dem Schulweg der Kinder, stehen. „Ich erlebe vielleicht 40 Ampelphasen pro Schicht und in der Hälfte von ihnen bleiben Autos auf der Kreuzung stehen“, sagt der Vater.

Zehn Eltern der Schule teilen sich die Dienste auf. Kreimer will mit seinem Einsatz auch erreichen, dass mehr Eltern ihre älteren Grundschüler allein zur Schule gehen lassen. Die Vorteile, die er sieht, sind die Erfahrungen der eigenständigen Verkehrsteilnahme der Kinder, mehr Zeit für die Eltern und weniger Autofahrten auf dem begrenzten Straßennetz Kölns.


Tipps, wie Eltern den Schulweg sicher gestalten können, gibt Christina Görtz, Sprecherin der Landesverkehrswacht NRW:

„Eltern rate ich, sich den Schulweg im Vorfeld genau anzuschauen. Nicht immer ist der kürzeste Weg auch der sicherste. Sind Bürgersteige vorhanden? Wie viele Ausfahrten liegen auf dem Weg? Wie oft muss mein Kind eine Straße queren? Das sind Dinge, die ich im Vorfeld checken kann und unter Umständen mit einem kleinen Umweg umgehen kann.

Als Elternteil sollte man mit dem Kind den Weg abgehen und es auf mögliche Gefahren hinweisen. Gleichzeitig kann man dann auch noch daran erinnern, dass immer am Bordstein gestoppt werden und nach links, rechts, links geschaut wird, bevor man die Straße überquert. Unübersichtliche Stellen sollten per se vermieden werden.

Noch haben wir Sommer, aber mit Beginn der dunklen Jahreszeit sollte das Thema Sichtbarkeit nicht vergessen werden. Heute haben viele Tornister reflektierende Elemente. Das Kind sollte für den Autofahrer aber von allen Seiten gut zu sehen sein. Da gibt inzwischen viele tolle Möglichkeiten, von reflektierenden Kleidungsstücken über Blinkies und Anhänger bis hin zur Warnweste.“


Aktion Schulwegsicherheit: Melden Sie uns Gefahrenstellen

Montage

Montage

Wir möchten eine möglichst umfassende Dokumentation der Gefahrenstellen auf Schulwegen in Köln und der Region erstellen und rufen daher mit dem Automobil-Club Verkehr dazu auf, Gefahrenstellen zu melden und zu dokumentieren.

So wollen wir konstruktiv dazu beitragen, Gefährdungen von Schülerinnen und Schülern zu erkennen und zu reduzieren. Das geschieht über den CrowdNewsroom, eine Online-Plattform des investigativen Recherchenetzwerks Correctiv.

Grundschulen können sich bei den regionalen Radiosendern wie Radio Bonn/Rhein-Sieg an einer Verlosung beteiligen, um Sicherheitswesten zu gewinnen.

Ein vergleichbares Projekt hatte erstmals die Schweizer Zeitschrift „Beobachter“ gemeinsam mit Correctiv organisiert.

Alle Infos zur Aktion gibt es auf www.ksta.de/schulweg und www.rundschau-online.de/schulweg.