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Amoklauf in WuppertalAngreifer wollte sich von der Polizei erschießen lassen

Lesezeit 6 Minuten
Polizeibeamte stehen vor dem Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium. In Wuppertal sind an einem Gymnasium mehrere Schüler verletzt worden. Ein Verdächtiger sei festgenommen worden, sagte ein Polizeisprecher in Düsseldorf.

Polizeibeamte stehen vor dem Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal.

Der 17-Jährige Angreifer wurde offenbar von einem Lehrer entwaffnet. Einen politischen oder religiösen Hintergrund schließen die Ermittler derzeit aus.

Auf den ersten Blick scheint auf dem Schulhof des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal der Alltag zurück. Dort, wo einen Tag zuvor Rettungskräfte und Polizisten mit Maschinengewehren standen, jagen Kinder und Jugendliche Fußbällen hinterher, andere schwingen Badmintonschläger, stehen in Grüppchen zusammen, reden, rennen, rufen. Wenige Meter weiter endet diese vermeintliche Normalität: Vor dem Hintereingang weht rot-weißes Flatterband im Wind, auf der anderen Straßenseite parkt ein Auto der Polizeinotfallseelsorge.

Ein 17-jähriger Schüler hat am Donnerstagmorgen im Schulgebäude mehrere Mitschüler mit einem Messer angegriffen und verletzt. Anschließend fügte er sich selbst schwere Stichverletzungen zu, die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Am Freitagmittag äußerten sich Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft im Polizeipräsidium Wuppertal zum aktuellen Stand der Ermittlungen.

Bekennerschreiben an Lehrer gegeben

Die Tat geschah während einer Pause, berichtet Colin Nierenz, Kriminaldirektor der Polizei Düsseldorf. Ein 17-Jähriger deutsch-türkischer Abstammung zog im Oberstufenraum plötzlich ein Klappmesser, stach damit auf seine Mitschüler ein und verletzte vier Jungen, zwei von ihnen erlitten schwerere Verletzungen.

Die Schüler konnten fliehen, ein Lehrer, der durch Rufe auf die Situation aufmerksam wurde, eilte zum Tatort, er forderte den 17-Jährigen auf, das Messer niederzulegen, konnte ihm schließlich die Waffe abnehmen und ihn beruhigen. Anschließend blieb er mit dem Täter im Oberstufenraum, während im Schulgebäude Amokalarm ausgelöst wurde. Um 9.52 Uhr ging ein Notruf aus dem Sekretariat bei der Polizei ein. Ein Teil der Verletzten wurden im Sanitätsraum versorgt, bevor die Rettungskräfte eintrafen.

Schüler wollte von Polizei erschossen werden

Die Polizei fuhr mit einem Großaufgebot zu dem Gymnasium im Stadtzentrum. Als die Polizisten den Pausenraum betraten, schlug die Stimmung bei dem 17-Jährigen wieder um, der bis dahin ruhig auf einem Stuhl saß: Nach dem Bericht der Ermittler ging er auf die Einsatzkräfte zu, griff sie an und sagte, er wolle von ihnen erschossen werden. Ein Messer trug er zu dem Zeitpunkt nicht mehr bei sich.

Spezialkräfte sind an einer Schule im Einsatz. In Wuppertal sind an einer Schule mehrere Schüler verletzt worden. Ein Verdächtiger sei festgenommen worden, sagte ein Polizeisprecher in Düsseldorf. Die Polizei sei mit starken Kräften vor Ort.

Am Tag der Tat war die Polizei mit einem Großaufgebot am Gymnasium, konnte den Einsatz aber ohne Waffengewalt beenden.

Die Polizisten überwältigen den jungen Mann und legten ihm Handschellen an. Schon bevor der Schüler von seinem Lehrer entwaffnet wurde, hatte er sich selbst schwere Verletzungen zugefügt. Die Polizei stellte ein Bekennerschreiben sicher, das der 17-Jährige dem Lehrer übergeben hatte.

16 Schüler und eine Lehrkraft informierten die Einsatzkräfte über das Erlebte

Polizisten evakuierten das gesamte Schulgebäude, die Schüler wurden in Räume der benachbarten Sparkasse gebracht, wo sie von der Feuerwehr, dem Deutschen Roten Kreuz und einer Schulpsychologin betreut wurden. „Wir müssen in solchen Lagen den Menschen helfen, die eine bedrohliche Situation erlebten“, sagt Nierenz. „Und wir müssen wissen, welche Menschen uns wichtige Informationen zur Einsatzbewältigung geben können.“ 16 Schüler und eine Lehrkraft konnten diese „wichtigen Informationen“ liefern und wurden polizeilich vernommen.

Die Einsatzkräfte durchkämmten das gesamte Schulgebäude auf der Suche nach weiteren bewaffneten Personen. Über dem Gelände flog ein Polizeihubschrauber, um auszuschließen, dass sich auch auf dem Dach gefährliche Personen oder Gegenstände befinden. Auch die Wohnung des 17-Jährigen wurde durchsucht. Derzeit gehen die Ermittler von einem Einzeltäter aus.

Täter vermutlich psychisch krank

Insgesamt zählt die Polizei acht Verletzte. Der Täter befindet sich noch immer mit schweren Verletzungen im Krankenhaus, die vier von ihm verletzten Jugendlichen zwischen 16 und 17 Jahren wurden noch am selben Tag wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Am Donnerstag hatte die Staatsanwaltschaft noch berichtet, dass sich insgesamt drei Schüler auf der Intensivstation befänden. Drei Schülerinnen hatten einen Schock erlitten, zwei von ihnen kamen ins Krankenhaus.

23.02.2024, Nordrhein-Westfalen, Wuppertal: Patrick Penders, Staatsanwalt in Wuppertal, berichtet über den Stand der Ermittlungen. Bei der Amoktat in einem Wuppertaler Gymnasium am 22. Februar wurde der 17-jährige Tatverdächtige nach neuen Angaben der Ermittler ohne den Einsatz von Schusswaffen festgenommen.

Staatsanwalt Patrick Penders berichtet über den Stand der Ermittlungen nach der Amoktat an einem Gymnasium: „Das Bekennerschreiben lässt vermuten, dass bei dem 17-Jährigen eine psychische Erkrankung vorliegt“

Ein Richter hat am Nachmittag Haftbefehl gegen den Schüler erlassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen zweifachen versuchten Mordes und zweifacher gefährlichen Körperverletzung. „Das Bekennerschreiben lässt vermuten, dass bei dem 17-Jährigen eine psychische Erkrankung vorliegt“, so Staatsanwalt Patrick Penders. Einen politischen oder religiösen Hintergrund schließen die Ermittler derzeit aus. Der Schüler ist vor der Tat nicht strafrechtlich oder kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. In der Schule galt er als Musterschüler mit sehr guten Noten.

Gregor Golland: „Das Mitführen von Messern durch Schüler muss streng untersagt werden“

Politiker und Politikerinnen aus NRW zeigten sich nach Bekanntwerden der Tat betroffen und schockiert. Maßnahmen zur Gewaltprävention wurden vielfach gefordert. „Dieser Fall zeigt, wie gefährlich der Alltagsgegenstand Messer ist. An Schulen haben Messer generell nichts zu suchen. Das Mitführen von Messern durch Schüler muss daher streng untersagt werden“, sagte Gregor Golland, Vize-Fraktionsschef der CDU im Landtag, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der innenpolitische Sprecher der FDP im Landtag, Marc Lürbke, forderte die Landesregierung auf, ein Sofortprogramm gegen Messergewalt zu initiieren und „viel stärker auf die tödlichen Gefahren von Messern aufmerksam zu machen“.

Sicherheit an Schulen hebt auch die Innenexpertin der Grünen, Julia Höller, auf Anfrage hervor: „Es braucht kluge Präventionskonzepte und Unterstützung für Kinder und Jugendliche in psychischen Ausnahmesituationen. Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte müssen sich an Schulen sicher fühlen können.“ Und die grüne Expertin für Schule und Bildung, Lena Zingsheim-Zobel, mahnte: „Vorschnelle Forderungen nach Scheinlösungen wie Metalldetektoren an Schuleingängen helfen niemandem. Schulen sollen Orte des Lernens und der Begegnung bleiben und keine Hochsicherheitsanstalten werden.“

Die Lösung liege in mehr Schulsozialarbeit, mehr Prävention und mehr psychologische Betreuung für die Schülerinnen und Schüler, sagte Dilek Engin, Schulexpertin der SPD. „Wir sind es den Opfern schuldig, aus dieser schlimmen Tat jetzt die richtigen Schlüsse zu ziehen.“


Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter: Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.

Telefonseelsorge – Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon – Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an.

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de

Beratung und Hilfe für Frauen – Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr anonym und kostenfrei unterstützt.

Psychische Gesundheit – Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen.