Antisemitische Vorfälle auf Schulhöfen kommen immer noch zu häufig vor, so der Lehrer Florian Beer. Die Sensibilität dafür sei jedoch gestiegen.
Antisemitismus auf dem Schulhof„Das Wichtigste ist, dass Lehrer den Vorfall nicht ignorieren“
Die Debatte um ein antisemitisches Flugblatt, das zu Schulzeiten bei Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger gefunden wurde, beschäftigt derzeit ganz Deutschland. Aiwanger spricht von einer „Schmutzkampagne“, einzelne Politiker fordern seinen Rücktritt, in den sozialen Medien verteidigen manche Nutzer den bayrischen Wirtschaftsminister mehr schlecht als recht im Sinne von: Judenwitze auf dem Schulhof hätten ja viele Schüler früher gemacht.
So zeigt die Debatte auch, mal unfreiwillig, mal nicht, auf ein weiteres Problem neben der möglichen antisemitischen Vergangenheit von Aiwanger. Nämlich darauf, dass auch Jahrzehnte nach dem Fund des „Aufschwitz-Pamphlets“ noch immer das Wort „Jude“ als Beleidigung auf Schulhöfen genutzt wird.
Schulministerium ruft dazu auf, antisemitische Vorfälle zur Anzeige zu bringen
„Zwar ist die Sensibilität für das Thema in den letzten Jahren sehr gestiegen, aber dennoch kommen antisemitische Vorfälle unterschiedlicher Ausprägung an Schulen immer noch zu häufig vor, das zeigen auch aktuelle Studien“, sagt Florian Beer. „Jeder Fall ist einer zu viel.“ Der Lehrer für Geschichte und Pädagogik an einem Abendgymnasium arbeitet mit halber Stelle bei der Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit und Beratung bei Rassismus und Antisemitismus, kurz „Sabra“. „Wir registrieren zum Glück nicht so viele körperliche Angriffe, aber natürlich leiden jüdische Schüler auch unter verbalen Übergriffen“, so Beer. „Beispielsweise, wenn ‚Jude‘, was für sie ja eine Selbstbezeichnung ist, von anderen Schülern als Beleidigung benutzt wird.“
Das Schulministerium NRW ruft deshalb „alle am Schulleben Beteiligten“ dazu auf, Antisemitismus in jeder Form zur Anzeige zu bringen. „Um möglichst frühzeitig antisemitischen Vorfällen entgegenzuwirken, spielt die Vermittlung eines pluralen, lebendigen Judentums im Unterricht ebenso eine wichtige Rolle wie eine frühzeitige Prävention und Intervention“, schreibt das Ministerium auf Anfrage. Bei Vorfällen in ihrer Schule könnten sich Lehrerinnen und Lehrer bei „Sabra“ und der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen (RIAS NRW) beraten lassen.
Grundlage für die Bekämpfung von Antisemitismus sei ein Erlass von 2019, laut dem bei jedem Einzellfall zu prüfen sei, ob pädagogische Maßnahmen ausreichen oder weitere Schritte notwendig sind. „Der Erlass listet auf, wann eine Benachrichtigung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft in der Regel zu erfolgen hat“, so das Ministerium.
Antisemitismus in der Schule ist heute Thema in der Ausbildung von Lehrkräften
Das Wichtigste, sagt Beer, sei, dass Lehrer überhaupt reagieren und den Vorfall nicht ignorieren. „Ansonsten wird Antisemitismus normalisiert“, sagt Beer. „Man kann immer sagen: Ich habe das gerade gehört, das geht gar nicht, wir werden darüber reden. Dann ist ein klares Stoppsignal gesetzt.“ Für Betroffene von Antisemitismus sei es schließlich egal, ob hinter der Beleidigung eine Provokation oder tatsächlich extremistische Ansichten stecken. „Wenn ein jüdischer Schüler antisemitisch beleidigt wird, dann wird er antisemitisch beleidigt und in seiner Identität, in seinem Glauben angegriffen. Die Wirkung ist die Gleiche.“
Doch wieso kommt es scheinbar gerade auf Schulhöfen zu eindeutig antisemitischen Vorfällen? Florian Beer glaubt nicht, dass Antisemitismus unter Jugendlichen weiter verbreitet ist als bei Erwachsenen. „Er zeigt sich nur offener“, sagt er. Jugendliche würden weniger versuchen, den Antisemitismus zu verstecken als einige Erwachsene, die von „Zionisten“ und „Globalisten“ reden, aber Menschen jüdischen Glaubens meinen.
Auch wenn antisemitische Vorfälle auf dem Schulhof noch immer ein Problem darstellen, sei jedoch die Sensibilität für diese in den vergangenen Jahren sehr gestiegen, so Beer. Dies geschieht offenbar sowohl im Lehrerzimmer als auch an den Universitäten: „Mittlerweile steht Antisemitismus an Schulen im Curriculum für die Lehrerausbildung in NRW“, sagt Beer.