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Wissenswertes zum VogelzugKraniche überfliegen bald NRW – Spektakel am Himmel im Anmarsch

Lesezeit 6 Minuten
Kraniche (Grus grus) sind am Himmel zu sehen.

Kraniche ziehen jetzt nach Süden, genau wie arktische Gänse und viele kleinere Vögel.

Die Hochphase des Großvogelzugs über NRW steht bevor. Bald werden Kraniche und arktische Gänse in der Region zu sehen sein.

Noch ist es ruhig am Himmel über Nordrhein-Westfalen. Aber es lohnt sich, Augen und Ohren offenzuhalten. „Wir Ornithologen stehen in den Startlöchern, um die arktischen Gänse zu begrüßen“, sagt Christian Chwallek, Sprecher des Landesfachausschusses Ornithologie des Naturschutzbundes (Nabu) NRW: „Kraniche dürften in den nächsten 14 Tagen auch in größeren Mengen am Himmel zu sehen sein.“ Meist ist der majestätische Vogel mit der roten Kopfplatte allerdings erstmal zu hören, mit seinem durchdringenden, trompetenden Ruf kündigt er seinen Durchzug an. Wer dann in den Himmel blickt, wird bald ein großes, schwarzes V entdecken, das in Richtung Südwesten steuert.

„Aber nicht alles, was einen Keil am Himmel bildet, sind Kraniche“, betont Darius Stiels von der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO). Auch Gänse (deren Ruf schnatternd und nicht trompetend ist), Möwen oder Kormorane nutzen diese energiesparende Flug-Formation, um mit den Artgenossen für den Winter in wärmere Gefilde zu ziehen. „Und einen Großteil des Vogelzugs bekommen wir gar nicht mit, der findet im Verborgenen statt“, sagt Nabu-Experte Chwallek.

Ein Großteil des Vogelzugs findet im Verborgenen statt

All die Kleinvögel, die im Herbst in den Süden starten oder aus dem Norden bei uns ankommen, veranstalten weit weniger Getöse am Himmel als die großen Kraniche und Gänse. Viele ziehen nachts im Schutz der Dunkelheit, um nicht von Greifvögeln aus der Luft gepickt und aufgefressen zu werden. Etwa vom Eleonorenfalken, der seine Brutzeit auf den Inseln im Mittelmeer auf den Herbst verlegt hat, weil das die beste Zeit ist, seine Jungvögel mit durchziehenden Kleinvögeln zu füttern.

Experte Darius Stiels ist im Porträt in der Natur zu sehen, mit großem Fernglas um den Hals

„Nicht alles, was einen Keil am Himmel bildet, sind Kraniche“, sagt Darius Stiels von der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO).

Die wichtigsten Infos und spannendsten Fakten zum Vogelzug in NRW haben wir mit Unterstützung der beiden Experten vom Nabu und von der NWO zusammengefasst.

Kraniche – Erster Trupp in Bonn gesichtet

Die Kraniche, die NRW überqueren, kommen in aller Regel aus Brutgebieten in Skandinavien und ziehen über eine westliche Route in ihre Überwinterungsgebiete in Spanien und Portugal. Aktuell rasten sie noch in Niedersachsen am Dümmer See oder im Diepholzer Moor, aber wenn dort Bodenfrost einsetzt und die Nahrung knapp wird, ziehen sie weiter zum nächsten großen Rastplatz in Frankreich, zum Lac du Der-Chantecoq in der Champagne.

„Am Donnerstag wurde schon ein erster Trupp im Bonner Raum gesichtet“, erzählt Darius Stiels, „die Vögel haben den Nordostwind ausgenutzt.“ Auf dem Weg auf die Iberische Halbinsel müssen die Kraniche die Pyrenäen überfliegen, das kostet Kraft. Also müssen die Vögel auf ihren Rastplätzen unterwegs immer wieder viel Energie tanken. Und solange es Nahrung und sichere Schlafplätze gibt, bleiben sie.

Das hat dazu geführt, dass sich im Zuge des Klimawandels ihre Flugzeiten nach hinten verschoben und ihre Wegstrecken teilweise verkürzt haben. Mit seinen langen Beinen steht der Kranich in der Nacht im Wasser, so ist er sicher vor Fressfeinden wie dem Fuchs. Setzt der Frost an den großen Rastplätzen erst später ein, fliegt das Gros der Kraniche auch erst später los. Und wenn es den Winter über auf der französischen Seite der Pyrenäen warm genug bleibt, sparen sich die Vögel den anstrengenden Weg über die Berge. „Die versuchen, es so bequem wie möglich zu haben“, erklärt Chwallek.

Wer rechtsrheinisch wohnt, kann in der zweiten Oktoberhälfte und Anfang November oft eine große Zahl Kraniche beobachten, die laut trompetend am Himmel kreisen, ihre Formation auflösen und neu zusammensetzen. Das habe folgenden Grund, erklärt Stiels: Bevor sie den Rhein überqueren, über dem es keine Thermik gibt, wollen sie nochmal an Höhe gewinnen. Sie lösen sich also aus ihrer Formation und suchen nach Aufwinden, um sich in größerer Höhe neu zu formieren und dann den Rhein zu überfliegen.

Gänse und Weißstörche

Vor allem Blässgänse kommen zum Überwintern aus Nord-Sibirien an den Niederrhein, bis zu 280.000 Tiere pro Winter wurden in den vergangenen Jahren in Nordrhein-Westfalen und im angrenzenden holländischen Naturschutzgebiet Millingerwaard gezählt. Anders als Störche, die bereits aus NRW gen Süden abgezogen sind, bekommen Gänse ihre Zugrouten nicht genetisch überliefert. Jungvögel müssen den Weg einmal von ihren Eltern gezeigt bekommen. Schon den Rückweg schaffen sie dann allein.

Die Weißstörche, deren Überwinterungsgebiete traditionell in Afrika südlich der Sahara liegen, haben wie die Kraniche in den letzten Jahren entdeckt, dass es auch bequemer geht: „Es gibt immer mehr Exemplare, die in Spanien überwintern und dort auf den Mülldeponien Essensreste und Ratten als Nahrung finden“, sagt Chwallek.

Christian Chwallek vom Nabu NRW im Porträt. Er lacht in die Kamera.

Zugvögel mögen es auch bequem, erklärt Christian Chwallek vom Nabu NRW.

In den 80er-Jahren war der Weißstorch kurz vor dem Aussterben, damals gab es nur noch drei Brutpaare in NRW. „Heute haben wir wieder eine solide Bestandsgröße“, so der Nabu-Fachmann. Das hat auch mit einer Umstellung in der Ernährungsstrategie zu tun: Der Storch habe sein Nahrungsspektrum erweitert und sei nicht mehr ausschließlich auf Amphibien angewiesen. Heute kann man unzählige Störche beobachten, wie sie hinter pflügenden Landmaschinen alles Lebendige fressen, das aus dem Acker ans Licht kommt. „Die haben ein internes Whatsapp-System und kommen dann teilweise aus 50 Kilometern Entfernung dazu“, sagt Chwallek.

Die Gänse werden an ihren Rastplätzen im Osten, etwa in Polen oder an der Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern, üblicherweise vom Schnee vertrieben. Bei einer geschlossenen Schneedecke auf den Wiesen äsen sie kein Gras mehr (Blässgänse); auf den Äckern finden sie keine Saat mehr (Saatgänse). Bleibt der Schnee aus, gibt es für sie keinen Grund, weiterzuziehen. „Irgendwann kommen die wahrscheinlich gar nicht mehr bis an den Niederrhein“, prophezeit der Nabu-Experte.

Blassgänse landen im Vogelschutzgebiet Unterer Niederrhein.

Blassgänse am Niederrhein

Krähen und Dohlen

Während der Brutzeit haben viele Vögel ihr eigenes Revier und grenzen sich von Artgenossen ab. Außerhalb der Brutzeit dagegen schließen sie sich zu Trupps zusammen, um besser vor Feinden geschützt zu sein. Besonders auffällig ist das bei Krähen und Dohlen, beide aus der Familie der Rabenvögel. Sie bilden teilweise große, schwarze, laute Wolken, denn sie bekommen im Herbst und Winter noch Zuwachs von Artgenossen aus dem Nordosten – die im Gegensatz zu unseren heimischen Krähen klassische Zugvögel sind. Diese Trupps würden zum Informationsaustausch genutzt, erklärt Stiels. Wer wirkt, als habe er gut gefressen und fühle sich wohl? Dem kann man ja mal hinterherfliegen.

Kleine Zugvögel, Standvögel und Teilzieher

Jene Vogelarten, die ihre Nahrung nicht von Insekten auf Körner umstellen können, müssen im Winter in wärmere Gebiete ziehen, um noch an Nahrung zu gelangen. Im Zuge des Klimawandels schaffen es einige Vögel inzwischen aber vor allem in städtischen (und damit noch wärmeren) Gebieten, auch im Winter noch genug Insekten zu finden.

Die Mönchsgrasmücke singt in einem Baum.

Die Mönchsgrasmücke: Sie schafft es mittlerweile auch im Winter vor allem in städtischen Gebieten genug Nahrung zu finden.

Als Beispiele nennt Christian Chwallek vom Nabu die Mönchsgrasmücke oder den Hausrotschwanz. Die meisten Insektenfresser, etwa Schwalben oder Grasmücken, seien aktuell aber schon abgezogen. Ans Futterhaus im Garten kommen im Winter die Körner fressenden Standvögel, etwa das Rotkehlchen, Meisen, Amseln, Drosseln oder Finken. Letztere bekommen wie die Krähen im Winter Besuch von den nordischen Kollegen, die wie etwa Stare zu den Teilziehern gehören und sich nur auf den Weg machen, wenn die Wetterbedingungen ungünstig sind.