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Für Juden „Teil ihres Alltags“Neuer Bericht zu Antisemitismus in NRW liefert keinen Grund zur Entwarnung

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, steht in Essen am ehemaligen Rabbinerhaus an der Alten Synagoge vor einer Glastür mit Einschusslöchern.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, steht in Essen am ehemaligen Rabbinerhaus an der Alten Synagoge vor einer Glastür mit Einschusslöchern.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antisemitismus-Beauftragte in NRW, will vor allem die Aufklärung in Schulen stärken.

Im Vergleich zum Vorjahr ist in Nordrhein-Westfalen zwar ein Rückgang antisemitischer Straftaten zu verzeichnen, doch nach den Worten von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sollte dies kein Anlass zur Beruhigung sein. „Wir sehen das nicht als Entwarnung“, sagte die Antisemitismusbeauftragte des Landes bei der Vorstellung ihres Berichts für das Jahr 2022. Wenn auch die Zahl der 331 Straftaten geringer ausfalle als im Jahr 2021, scheine die Intensität von Hass und Gewalt zuzunehmen. Als Beispiel nannte Leutheusser-Schnarrenberger die Schüsse auf die Synagoge in Essen, die im November des vergangenen Jahres auf das Rabbinerhaus abgegeben und von NRW-Innenminister Heribert Reul als Anschlag verurteilt wurden. „Für Jüdinnen und Juden in Deutschland“, so stellte die frühere Bundesjustizministerin (FDP) fest, sei Antisemitismus nach wie vor „Teil ihres Alltags“.

Zufrieden konstatierte Leutheusser-Schnarrenberger, dass es in Nordrhein-Westfalen zu einer Strukturverbesserung bei der Bekämpfung von antisemitischen Ausfällen diesseits und jenseits der Strafbarkeitsgrenze gekommen sei. Über ihre eigene Arbeit hinaus gebe es nun eine höhere Präsenz von fest etablierten Antisemitismus-Beauftragten in der Justiz; zudem können sich Betroffene an die Meldestelle Antisemitismus wenden, die im vergangenen Jahr ihre Arbeit aufgenommen hat und gerade auch für strafrechtlich nicht relevante Fälle sensibel sein soll. Von diesem Netzwerk, das Kontakt zu einer großen Anzahl von Initiativen wie der schulischen Aufklärungskampagne „Sabra“ pflegt, erhofft sich Leutheusser-Schnarrenberger eine „Erhellung des Dunkelfelds“. Die Zahl der Straftaten spiegele nicht das tatsächliche Ausmaß von antisemitischen Einstellungen in der Bevölkerung wider – dazu hat sie gemeinsam mit dem NRW-Innenministerium eine Dunkelfeldstudie in Auftrag gegeben.

An den Schulen in NRW soll es Meldeformulare geben

Als einen zentralen Bereich beim Kampf gegen Antisemitismus und bei der Aufklärung über aktuellen und historischen Judenhass nannte Leutheusser-Schnarrenberger Schule und Bildung. Das Thema müsse in der Lehramtsausbildung verankert werden, und zwar nicht als freiwillige Fortbildung, sondern als obligatorisches Modul. Auch soll es Meldeformulare an den Schulen geben, mit denen antisemitische Vorkommnisse öffentlich gemacht werden können. Als Konsequenz aus einer Studie, die auf judenfeindliche Stereotype in Schulbüchern aufmerksam gemacht hat, spreche man nun mit den Verlagen – in all diesen Punkten sichere die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) die Unterstützung zu.

Als Rückschlag bei der Bekämpfung des Antisemitismus nannte Leutheusser-Schnarrenberger die documenta 15, in deren Rahmen es zu antisemitischen und antiisraelischen Darstellungen gekommen war. Bei den Verantwortlichen habe es an Distanzierung und klarer Haltung gefehlt – die notwendige Debatte über Kunstfreiheit und deren Grenzen dürfte sich allerdings nicht allein auf die Kasseler Kunstschau beschränken, sondern müsse den gesamten Kulturbereich sowie den Umgang mit Unterstützern der BDS-Bewegung umfassen. Einen Anhänger dieser Boykott-Bewegung gegen Israel wie Roger Waters mit Auftrittsverbot zu belegen, sei unterdessen schwierig. Hier sei die Zivilgesellschaft gefragt, eine kritische Position zu beziehen.


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