Der Chirurg Jan Wynands operierte im Oktober und November sechs Wochen lang Patienten im Gazastreifen.
Bonner Arzt über Einsatz in Gaza„Durch die Mangelernährung heilen Wunden schlechter“
Jan Wynands von der Uniklinik Bonn war zuletzt im Februar und März in Gaza. Drei Wochen lang stand der Mediziner im OP-Saal, und versorgte Menschen mit Kriegsverletzungen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete damals über den Einsatz. Im Oktober reiste Wynands erneut in Richtung Gaza-Streifen – diesmal für sechs Wochen. Das erzählt er heute:
„Ich habe sorgfältig abgewogen, ob ich das Risiko eingehe. Im Februar war ich im European Gaza Hospital eingesetzt, dieses Mal sollte ich im Feldkrankenhaus von Rafah arbeiten, umringt von Zelten, in denen Vertriebene wohnen. Die Zeltklinik befindet sich direkt am Strand, vor dem auch Kriegsschiffe Ziele im Gazastreifen beschießen. Diesen und anderen Beschuss bekommt man natürlich täglich mit. Am Ende überwog für mich das Vertrauen zum Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), welches die Sicherheit für Mitarbeiter an oberste Stelle setzt.
Also überquerte ich Anfang Oktober im Konvoi den Übergang zum Gazastreifen. Rafah liegt nur wenige Kilometer hinter der Grenze zu Israel, trotzdem dauerte es noch circa zwei Stunden bis wir zu unserem Einsatzort gelangten. Ein großer Teil der Infrastruktur wurde im Krieg zerstört.
Im Feldkrankenhaus in Rafah behandelten Ärzte zwischen Mai und November fast 42.000 Patientinnen und Patienten. Unser Team hat täglich circa zehn Operationen durchgeführt. Wenn es gerade keine Notfälle gab, begannen wir nach einer Frühbesprechung mit den geplanten Operationen. Muss allerdings plötzlich eine große Anzahl an Verletzten gleichzeitig versorgt werden, hat der Planbetrieb Pause. Jeder geht dann auf seine Position, wir triagieren die Patienten und leiten die Notfallversorgung ein.
Stand die Region unter Beschuss, mussten wir auf Notbetrieb umschalten, am OP-Tisch stehen dann nur noch der Chirurg und der Anästhesist.
Einmal mussten wir auf Notbetrieb schalten, obwohl gerade eine große Anzahl Verletzter gleichzeitig versorgt werden musste. Unser Abdominalchirurg musste sofort mit den anderen Mitarbeitern in den Schutzraum. Ich hatte einen Patienten mit Schrapnell-Verletzung am Bauch und massiven inneren Blutungen vor mir und wusste: Wir müssen sofort operieren. Ich bin eigentlich plastischer Chirurg, doch in dem Fall musste ich Schadensbegrenzung betreiben. Das bedeutete: Bauchhöhle öffnen, Blutungen stoppen, Milz herausnehmen. Das ist natürlich eine Stresssituation, zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Kollegen Schutz suchten. Aber sie ging zum Glück gut aus. Der Patient überlebte.
„Zuerst kommen mir meine Kollegen in den Kopf“
Neben den Verletzungen machte unseren Patienten die Mangelernährung zu schaffen. Explosionsverletzungen sind ein Mischbild aus Verbrennungen, Knochenbrüchen und Verletzungen von inneren Organen. Selbst unter idealen Bedingungen heilen sie kompliziert. Je kälter es wird, desto mehr Verbrennungspatienten sehen wir, weil die Menschen sich um offene Feuerstellen versammeln. Leider fehlt es uns oft an Material, um die Verbrennungen zu behandeln.
Wenn ich jetzt an meinen Einsatz in Rafah zurückdenke, kommen mir zuerst meine Kollegen aus Gaza in den Kopf. Es liegt ein Zauber darin, sich trotz des Elends, trotz der Not und trotz des Lärms der Kampfflugzeuge voller Wertschätzung über medizinisches Fachwissen auszutauschen und Patienten gemeinsam nach unserem besten Willen zu behandeln. Viele Ortskräfte wurden selbst vertrieben und kehren nach einem langen Arbeitstag in das Zelt ihrer Familie zurück. Trotzdem habe ich nie ein grummeliges Wort seitens der Kollegen hier gehört.
In der fünften Woche ließ bei mir die Kraft spürbar nach. Die Tage im Feldkrankenhaus sind lang, und bei dem Lärm und dem Beschuss schläft man keine Nacht durch.
Nach sechs Wochen in Gaza habe ich also meine lieben Kollegen im Feldkrankenhaus noch einmal gedrückt und bin nach Deutschland zurückgekehrt. Mit dem Wechsel zwischen diesen zwei Welten komme ich gut klar. Ich hoffe, dass ich im Frühjahr wieder in den Gazastreifen fahren kann. Das IKRK arbeitet mit den Ortskräften an einer Datenbank, in der wir Amputationsverletzte registrieren. Unser Ziel ist, die Stümpfe so zu operieren, dass die Patienten später eine Prothese tragen können.