Im Interview erklärt der Bielefelder Demokratie-Forscher, was die Demokratie bedroht - und welche Tendenzen ihm Hoffnung machen.
Konfliktforscher Andreas Zick„Donald Trump verhält sich wie ein autoritärer Führer, der macht, was er will“
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Prof. Andreas Zick leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. (Archivbild)
Copyright: Imago Images/Robert B. Fishman
Herr Zick, wie blicken Sie als Konflikt- und Demokratieforscher auf die Wahl am Sonntag?
Andreas Zick: Mit Sorge. Eine Demokratie lebt von einer Vielfalt an Stimmen, aber auch von einer funktionierenden Regierung. Im Moment weiß niemand: Was für Mehrheiten sind möglich? Demokratien zeichnen sich außerdem dadurch aus, dass sie Konflikte konstruktiv lösen anstatt destruktiv. Mit dieser Polarisierung im Wahlkampf um ein Thema – Migration – wird eine Demokratie eher schwächer, weil andere Themen nicht bearbeitet werden.
Welche Faktoren bedrohen unsere Demokratie gerade am meisten?
Wir sehen derzeit ein Misstrauen gegenüber der Demokratie als System. Das wiederum basiert auf einem massiven Misstrauen in die Politik. Das hat sich über Jahre aufgebaut. Es fehlt ihr momentan an Zukunftsideen, um das Misstrauen einzufangen. Studien zeigen, dass der Anteil der Jugendlichen, die Demokratie genauso gut finden wie andere Staatsformen, linear ansteigt. Ein entscheidender Faktor ist auch die schleichende Normalisierung von rechtsradikalen Positionen in der Mitte. Die Migrationsdebatte hat das gezeigt. Jetzt muss die nächste Regierung nicht nur Krisen bewältigen, sondern auch unsere Demokratie stabilisieren.
Woher kommt diese Skepsis gegen die Demokratie?
In Krisenzeiten sehnen sich Menschen mehr nach Kontrolle. Momentan spüren wir noch die Folgen der Corona-Krise, in der sich Menschen viel stärker Verschwörungsideen geöffnet haben. Die Corona-Krise ging wiederum in die Krise um die Inflation und den Ukraine-Krieg über. Also wenden sich einige Menschen jenen Parteien zu, die Kontrolle versprechen – auch durch autoritäre Ideen.
Wir führen die sogenannte Mitte-Studien durch. Da sehen wir: Acht Prozent der Menschen, die sich in der politischen Mitte verordnen, zeigen ein rechtsextremes Weltbild – ein deutlicher Anstieg. Gewalt zur Durchsetzung politischer Interessen billigen 13 Prozent der Menschen aus der politischen Mitte. Da bricht gerade etwas ein. Ich kann Ihnen jetzt nicht die eine Ursache dafür nennen, aber wir sehen, dass das Vertrauen in die Politik, Konflikte zu lösen, massiv gesunken ist. Das geht mit einem Demokratiepessimismus einher.
In der Mitte-Studie haben wir die Teilnehmer befragt, ob sie die Auswirkungen der derzeitigen Krisen auch persönlich erleben. Nur 30 Prozent stimmte zu. Als wir fragten, wie sie die Krise in Deutschland wahrnehmen, sagte jede zweite Person: Deutschland ist gefährdet. Diese Wahrnehmung führt zu einer Hinwendung zu nationalen, weniger demokratischen und toleranten Positionen.
„Die Verlockung autoritärer Regime und einer Ein-Parteien-Regierung ist für viele Menschen zu groß“
Drehen wir meine Frage mal um: Worin sehen Sie die größten Stabilisatoren unserer Demokratie?
Wir haben eine starke Zivilgesellschaft, ein starkes, kluges Bildungssystem und einen Konsens zur demokratischen Orientierung in der Wirtschaft. Darin sehe ich große Stabilisatoren. Über die Jahre haben wir es zudem geschafft, eine relativ stabile Einwanderungsgesellschaft zu schaffen, wir haben Mechanismen der Integration und Inklusion etabliert. Fast ein Drittel der Bevölkerung hat heute einen Migrationshintergrund.
Man sagt ja, keine Staatsform hält ewig. Glauben Sie, das gilt auch für unsere Demokratie?
Ja. Als Deutsche wissen wir das, denn auch der Nationalsozialismus ist unter demokratischen Verhältnissen entstanden. Das sollte uns lehren, niemals zu denken: Nur weil wir eine Gewaltenteilung und Institutionen zum Schutz der Demokratie haben, bleibt sie ewig. Die Demokratie ist ein Konfliktgebilde, um das man immer ringen muss. Und der Anteil derer, die um sie ringen möchte, sinkt. Die Verlockung autoritärer Regime und einer Ein-Parteien-Regierung ist für viele Menschen zu groß.
Würde die Demokratie mit einem Knall verloren gehen oder langsam und schleichend?
Langsam und schleichend. Den Knall gibt es meist nur, wenn ein Krieg ausbricht.
Wonach sehnen sich Menschen, die die Demokratie als Staatsform missbilligen?
Sie hoffen auf eine starke nationale Identifikation, auf Zugehörigkeit und Bindung. Und sie erhoffen sich Vorteile, die durch eine Fokussierung auf Herkunft für sie entstehen würden.
AfD-Politiker sprechen gerne von undemokratischen Tendenzen in Deutschland. Wie ordnen Sie solche Statements ein?
Die AfD behauptet auch, es gibt keine Meinungsfreiheit und ich sehe AfD-Politiker trotzdem in fast allen etablierten Medien ihre Meinung darlegen. Sie sind wie andere Parteien auch in den letzten Jahren vielfach von etablierten Medien eingeladen worden, selbst wenn sie diese als Systemmedien bezeichnen. Aber wer radikale und populistische Ideen verbreiten möchte, stellt sich gerne als Opfer dar. Eigentlich würde ich gerne eine Frage zurückgeben: Wenn AfD-Politiker menschenfeindliche Aussagen tätigen, bezeichnet die Parteispitze das gerne als Einzelmeinung. Doch das Sprachrohr und Parteilogo kriegen diese Leute ja von der AfD. Welche Kontrollmechanismen hat die Partei, um die Würde anderer Menschen zu garantieren – etwas, das ein demokratischer Diskurs zwingend fordert? Das gilt im Übrigen für alle Parteien, die sich als demokratisch bezeichnen wollen.
Zick über Trump: „Demokratie bemisst sich an Taten, nicht an Selbstbildern“
Die USA gelten als älteste Demokratie der Welt. Seit Ende Januar ist dort wieder Donald Trump Präsident. Halten Sie ihn für einen Demokraten?
Nein. Er sagt zwar, er wäre einer, aber Demokratie bemisst sich an Taten, nicht an Selbstbildern. Trump hat gesagt, wenn er Präsident ist, macht er einen Tag Diktatur. Nun erlässt er Dekrete, die die Gewaltenteilung aushebeln und Diversität, Gleichheit und Inklusion – also eine integrative Gesellschaft – auflösen. Er versucht nicht, in einen Dialog zu gehen und an einem Konsens, an einer konstruktiven Konfliktlösung, zu arbeiten. Somit verhält er sich undemokratisch, wie ein autoritärer Führer, der macht, was er will.
Einige Mechanismen der amerikanischen Demokratie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auch bei uns implementiert. Was bedeutet die Entwicklung in den USA für unsere Demokratie?
Auch bei uns verschwinden alte politische Machtverhältnisse. Wir haben eine schwache Sozialdemokratie, der Liberalismus wird gerade bei vier Prozent durch die FDP vertreten, gleichzeitig nimmt der Einfluss von autoritären Regimen aus dem Ausland zu. Aber im Gegensatz zu den USA haben wir beispielsweise Mechanismen zur Kontrolle des Lobbyismus. Diese Art von Trumpismus wie in den USA wird im Moment nur durch die AfD vertreten. Möglich ist aber, dass auch bei uns die Blockkonstellationen zunehmen: Das Spektrum an politischen Vorstellungen wird kleiner und nur noch durch zwei Blöcke vertreten. Das sehen wir zum Beispiel in Belgien, Großbritannien und Schweden. Dadurch wird die Konsensfindung natürlich schwieriger und es würde bedeuten, dass die Polarisierung eine Zeit lang massiv zunimmt.
Was macht Ihnen Hoffnung, wenn Sie an die Wahl am Sonntag denken?
Nach allem, was im Parlament geschehen ist – die Abstimmung mit einer Mehrheit durch die AfD und die Polarisierung – mäßigen sich viele Parteien derzeit. Deshalb hoffe ich, dass die Frage, wer mit wem koalieren könnte, durchaus auf der Agenda steht. Jugendstudien zeigen zudem, dass das Interesse an Politik enorm steigt. Schon bei der Europawahl war das Interesse an der Wahl besonders groß.