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Einstein-Teleskop bei Aachen geplantWie ein Auge vom Dreiländereck ins Weltall gucken soll

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild ist eine Grafik, die den geplanten Bau des Einstein-Teleskops zeigt. Durch einen Querschnitt sieht man die Tunnel, die unterirdisch im Dreieck angeordnet sind. Oberirdisch ist die ländliche Region des Dreiländerecks sowie ein Institutsgebäude zu sehen.

Wissenschaftler planen den Bau eines Einstein-Teleskops im Dreiländereck.

Es ist ein Milliardenprojekt, was bald im Dreiländereck entstehen könnte: Das Einstein-Teleskop. Die Beobachtungen über dieses Teleskop könnten die Astrophysik revolutionieren.

Für Achim Stahl geht es um die ganz großen Fragen. Wie entstehen schwarze Löcher? Wie sah unser Universum aus, bevor die ersten Sterne entstanden? „Wir möchten verstehen, wie das Universum funktioniert“, sagt Stahl, Professor für Experimentalphysik an der RWTH Aachen. Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, planen Wissenschaftler den Bau eines Einstein-Teleskops nahe Aachen.

Das Einstein-Teleskop soll ein Auge aus dem Dreiländereck hinaus ins Weltall sein. „Mit einem klassischen Teleskop beobachtet es das Licht, das von den Sternen kommt“, erklärt Stahl. „Mit dem Einstein-Teleskop beobachten wir die Gravitationswellen, die Sterne aussenden. Wenn die Wellen hier auf der Erde ankommen, können wir sie mit dem Einstein-Teleskop nachweisen.“ Gravitationswellen werden zum Beispiel von Schwarzen Löchern ausgelöst, auch Neutronensterne und explodierende Sterne senden sie durch das Universum. Diese Wellen lassen sich mithilfe des Einstein-Teleskops in Tunneln unter der Erde messen.

Anstatt hoch in den Nachthimmel guckt man mit dem Teleskop also gewissermaßen nach unten; Man könnte das Teleskop vielleicht eher mit einem Seismographen ins All vergleichen. Weltweit messen bisher nur drei Gravitationswellen-Teleskope: Zwei in den USA, eines in Italien, in Japan wird gerade ein viertes in Betrieb genommen.

Teleskop schafft rund 3000 Arbeitsplätze

Am 13. Dezember kam das Projekt Weltraumforschung im Dreiländereck einen Schritt weiter: Auf Einladung von Nordrhein-Westfalens Europaminister Nathanael Liminski trafen sich politische Vertreter und Wissenschaftler aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland im Bonner Rathaus zu einem Runden Tisch. Sie beschlossen die Einrichtung einer „Taskforce Einstein-Teleskop“, der auch Achim Stahl angehört. „Das Einstein-Teleskop bietet großes wissenschaftliches und wirtschaftliches Potential, das den Menschen in der Region zugutekommen und den Standort Nordrhein-Westfalen stärken würde“, sagt Liminski. Das Dreiländereck biete mit seiner „Vielzahl an Unternehmen mit Expertise im High-Tech-Bereich“ ideale Voraussetzungen. „Grenzüberschreitend würden wir ein Zeichen setzen dafür, dass Europa den Anspruch hat, zu den weltweit führenden Regionen für Grundlagenforschung zu gehören“, so Liminski.

Auch Stahl argumentiert mit dem wirtschaftlichen Einfluss, den das Teleskop auf die Region hätte. Die drei Staaten wollen ein europäisches Institut nahe des Teleskops mit über tausend Mitarbeitern errichten – diese wiederum bräuchten Handwerker, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants. „Wir rechnen damit, dass rund 3000 Arbeitsplätze in der Region durch das Einstein-Teleskop entstehen“, sagt Stahl.

Achim Stahl guckt für ein Porträtfoto in die Kamera. Er trägt eine schwarze Hornbrille und ein pinkfarbenes Hemd.

Achim Stahl, Professor für Experimentalphysik an der RWTH Aachen

Mit der Idee eines besonders sensiblen Gravitationswellen-Teleskops mitten in Europa spielen Wissenschaftler schon seit 2007. Viele Jahre wurde der Plan jedoch nur stiefmütterlich verfolgt, denn es gab ein Problem: Man wusste damals nicht, ob es Gravitationswellen wirklich gibt. Sie waren nicht mehr als eine Theorie, die Albert Einstein aufgestellt hatte und für die keinerlei Nachweise existierten. Bis Wissenschaftler in den USA es 2015 schafften mit einem solchen Teleskop Gravitationswellen aus dem All auf der Erde nachzuweisen: Kleinste Verzerrungen von Raum und Zeit, die über hundert Jahre nur eine Vermutung waren.

Aus den Messungen konnten die Physiker sogar ablesen, dass die Wellen durch die Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern entstanden. Für diese Entdeckung der Gravitationswellen wurden die Forscher 2017 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.

Kleinste Verzerrungen von Raum und Zeit

Das Teleskop, das im Dreiländereck entstehen könnte, soll noch um ein vielfaches empfindlicher sein als die amerikanischen Modelle. Die Kosten für ein solches Teleskop liegen vermutlich bei zirka 1,8 Milliarden Euro, die Hälfte des Geldes wird für den Bau der Tunnel benötigt. Das Teleskop ist aufgebaut wie ein gleichseitiges Dreieck: An drei Ecken sind Detektorstationen angebracht mit einem überirdischen Betriebsgebäude. 100 bis 200 Meter weiter unten befinden sich die Messinstrumente, alle Detektorstationen sind durch einen je zehn Kilometer langen Tunnel verbunden.

Zwei der Detektorstationen sollen womöglich in Belgien gebaut werden, nahe der niederländischen Grenze. Die dritte Station wird voraussichtlich in den Niederlanden stehen. Alle drei Stationen sollen sich jedoch sehr nah an der deutschen Grenze befinden, sodass auch die Region um Aachen von der Forschungsstation profitiert. Wenn eine Gravitationswelle auf die Erde trifft, wird der Raum zwischen den Stationen für einen winzigen Moment länger und dann wieder kürzer; Laserstrahlen, die durch die Tunnel flitzen, messen stets die Abstände und können diese leichten Veränderungen von Raum und Zeit messen.

Die Grafik zeigt Gravitationswellen aus dem Weltall, die auf das dreieckige Einstein-Teleskop treffen.

Gravitationswellen treffen auf das geplante Teleskop.

Kleinste Erschütterungen können die Ergebnisse verfälschen. Das ist der Grund, wieso die Messstationen unterirdisch sind – und auch, weshalb die Wissenschaftler gerne im Dreiländereck bauen würden. „Die Region ist an der Oberfläche vom Mergelgestein bedeckt, einem ganz, ganz weichen Sedimentstein“, erklärt Stahl. „Der wirkt wie ein Schwamm und absorbiert die Vibration.“ Darunter liegt wiederum ein sehr harter Sandstein, der sich gut für den Bau von Tunneln eignet.

Erste Beobachtungen in 15 Jahren

Wann genau der Bau beginnen kann, steht noch nicht fest. „Unser Projekt wurde noch nicht von allen Seiten genehmigt“, sagt Stahl. Die Niederlande gaben als erster Staat grünes Licht für den Bau des Teleskops, auch Belgien signalisierte Zustimmung. Die deutsche Zusage steht jedoch noch aus. „Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt das Projekt sehr stark, aber es fehlt noch die Zusage vom Bundesforschungsministerium.“ Stahl rechnet mit einer deutschen Genehmigung in circa einem Jahr; danach vergehen vermutlich noch sechs Jahre bis alle Sicherheitsprüfungen abgeschlossen und die Baugenehmigungen ausgestellt sind. Sechs Jahre Tunnelbau später könnten die Laser und Messgeräte installiert werden. „Ich denke, dass wir in frühestens 15 Jahren unsere ersten Beobachtungen machen können“, so Stahl.

Diese Beobachtungen, hoffen die Wissenschaftler, könnten unser Verständnis für das Universum grundlegend verändern. Bisherige Messungen hätten bereits gezeigt, wie durch die Explosion eines Neutronensterns mutmaßlich Gold und Silber auf unsere Erde kam. Im Jahr 2020, sagt Stahl, wurde der Münchener Physiker Reinhard Genzel mit zwei weiteren Wissenschaftlern für die Entdeckung eines supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie geehrt. „Dieses schwarze Loch ist so schwer wie hundertmillionen Sonnen und wir haben keine Ahnung, wie so etwas entstehen konnte“, sagt Stahl. „Mithilfe des Einstein-Teleskops können wir es herausfinden.“