Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei berichtet im Interview von Hochrisikospielen und welche Anschlagsszenarien durchgespielt werden.
21 Spiele in NRW„Schutz der EM genießt höchste Priorität bei Sicherheitsbehörden“
Herr Mertens, nach dem Terroranschlag in Moskau mit 143 Toten geht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) gerade auch mit Blick auf die Fußballeuropameisterschaft im Sommer von einer abstrakt hohen Anschlagsgefahr insbesondere durch die Terror-Miliz „Islamischer Stadt“ und deren afghanischen Ableger in der Provinz Khorasan (ISPK) aus, teilen Sie diese Prognose?
Michael Mertens: Da bin ich ganz beim Innenminister, der Anschlag in Moskau hat nochmals gezeigt, dass gerade der ISPK den Terror nach Europa und auch nach Deutschland tragen will. In den vergangenen Jahren machten zahlreiche Festnahmen von Terrorverdächtigen der Organisation hierzulande Schlagzeilen. Die Anschlagszenarien reichten vom Bau einer Giftbombe in Castrop-Rauxel über eine mutmaßliche Lkw-Attacke auf eine pro israelische Kundgebung im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt bis hin zum Terroralarm rund um den Kölner Dom an Weihnachten und Silvester. Nach den Verhaftungen zweier tadschikischer ISPK-Zellen gehen Sicherheitsbehörden und Polizei bei der EM von einer erhöhten Bedrohungslage aus.
Michael Mertens (60) ist seit 2018 Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW und stellvertretender Bundesvorsitzender. Seit 1979 ist er im Polizeidienst.
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Bei den Fanprotesten gegen das Investorenmodell der DFL warfen Ultras Tennisbälle aufs Spielfeld, in Köln fuhren ferngesteuerte Spielzeugautos durch den Strafraum. Die Staatsschützer spielen Bombenanschläge mit Drohnen durch. Wie konkret sind solche Szenarien?
Zunächst einmal sollte man jede Möglichkeit miteinbeziehen. Spätestens bei ferngesteuerten Fahrzeugen oder Flugobjekten besteht eine erhöhte Terrorgefahr. Die Sicherheitsbehörden gehen alle mögliche Anschlagsszenarien durch. Ich denke da nur an jenen Greenpeace-Aktivisten, der beim EM-Vorrundenspiel zwischen Deutschland und Frankreich 2021 in mit einem motorisierten Gleitschirm auf dem Spielfeld landete. Zum Glück war der Mann harmlos. Allerdings muss man auch feststellen, dass die Behörden mit einer Landung in der Allianz-Arena nicht gerechnet hatten. Das ist dieses Mal anders.
Was kommt da auf die Polizei zu?
21 der 51 Spiele finden in NRW statt. Das heißt, die Polizei an Rhein und Ruhr ist besonders gefordert. Auch sitzt das polizeiliche Lage- und Informationszentrum für die EM in Neuss. Gerade in Zeiten, in denen die Terrorgefahr wächst, steht die Polizei vor einer großen Herausforderung.
Wie viele ihrer Kollegen werden im Einsatz sein?
Das hängt vom Spiel und der Beurteilung der Lage ab. Bei Hochrisikopartien wird das Aufgebot sicherlich im vierstelligen Bereich liegen. Das gilt etwa für Spiele der Ukraine, die die Qualifikation für die Euro geschafft hat und ein Vorrunden-Spiel in Düsseldorf austragen wird. Eines ist mal klar: In allen Bundesländern, in denen EM-Spiele ausgetragen werden, ist die gesamte Polizei in irgendeiner Form im Einsatz. In NRW haben wir zumindest für die ersten zwei Turnierwochen eine komplette Urlaubssperre.
Wo liegen die Unterschiede bei den Sicherheitsmaßnahmen zwischen EM- und Bundesliga-Partien?
Da besteht ein Riesenunterschied. Die Uefa fährt ein weitaus strengeres Sicherheitskonzept als die Bundesliga. Alle Stadien werden von ihr abgenommen. Alle Räume werden kontrolliert, damit haben die lokalen Ultragruppen in der Zeit auch keinen Zugang zu ihren Lagern oder anderen Räumen. Zudem erhöhen sich Einlasskontrollen kolossal. Bereits vor den Zugängen wird es mindestens zwei Kontrollringe geben. Anders als in der Bundesliga sind die Euro-Tickets personifiziert. Das heißt, die Besucher können weitaus besser überprüft werden. Auch sorgen die Sicherheitsvorkehrungen dafür, dass in den Zuschauerrängen weniger Pyrotechnik gezündet wird oder Krawall in den Fanblöcken eskaliert. Es wird also friedlicher in den Stadien zugehen.
Und wie sieht es draußen auf den Fanmeilen aus?
Hier ist die Gefahr, dass verfeindete Fangruppen aufeinander stoßen, diese Event-Bereiche halten wir ebenfalls im Auge. In der Vergangenheit gab es auch immer wieder einen konzertierten Massensturm durch Klub-Anhänger auf die Kassenhäuser, um sich gewaltsam Einlass zu verschaffen, das werden die beiden Außenkontrollringe vor den Stadien zu verhindern wissen.
Das klingt aber sehr optimistisch.
Nein, das glaube ich nicht. Der Schutz der EM – und auch der Olympischen Spiele in Paris – genießt höchste Priorität bei den deutschen, aber auch den europäischen Sicherheitsbehörden. Das hat eine ganz andere Qualität als bei einem normalen Bundesligaspieltag. Sollte meine Prognose am Ende der EM sich bewahrheiten, müssen sich allerdings die Bundesligaklubs fragen, warum sie diesen hohen Schutzfaktor in ihren Arenen nicht gewährleisten können. Denn aktuell ist es doch so, dass sich etliche Vereine durch gewaltbereite Ultra-Gruppen auf der Nase herumtanzen lassen. Da hat sich ein Machtkampf entwickelt. Nach dem Motto: Wem gehört der Verein, wer hat das Sagen, wir halten uns nicht an die Klubregeln, sondern hängen Hetzbanner auf. Polizei-Bashing gilt als normal. Die Einlasskontrollen sind so lax, dass man beinahe alles reinschmuggeln kann. Hilflos schauen etliche Vereine nur zu. Vehement wehren sie sich gegen personalisierte Eintrittskarten. Im Gegenteil, Ultra-Gruppen erhalten noch subventionierte Tickets. Das ist absurd.