Volle Durchfahrtsstraßen, genervte Eltern und teilweise gefährliche Situationen: Mit den Elterntaxis an Schulen könnte bald Schluss sein.
„Die Nachfrage in Köln ist riesig“Neuer Erlass könnte Schulstraßen in NRW ermöglichen
Der Start in den Tag war für viele Schulkinder in Nordrhein-Westfalen bislang mit großen Risiken verbunden, die sich direkt vor den Schultoren mitunter zur echten Gefahrenlage auftürmten. Große Autos kurz vor acht Uhr, in Schlangen, mitunter in zweiter Reihe parkend, aus denen die Kinder sprangen, die von ihren Eltern mit dem Auto heran kutschiert wurden, dazwischen teilweise gerade mal 1,20 Meter hohe Erstklässler.
Eine unübersichtliche Gemengelage, der das Landesverkehrsministerium nun ein Ende bereiten könnte. Ein aktueller Erlass schafft Rechtssicherheit für Schulen, die Straßen in der Umgebung zeitweise sperren wollen. Straßen vor Schultoren können sich auf diese Weise für 30 bis 45 Minuten zur Zeit des Unterrichtsbeginns und des Unterrichtsendes in sogenannte Schulstraßen verwandeln. Auf diesen könnten zwar Anlieger weiter verkehren, Elterntaxis und Durchgangsverkehr würden aber für diese Zeit am Vorbeifahren gehindert.
„Vor manchen Schulen kommt es neben dem Durchgangsverkehr gerade zu Beginn und Ende des Unterrichts regelmäßig zu kritischen Situationen, auch durch den intensiven Bring- und Abholverkehr“, sagte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) zur Begründung. NRW sei das erste Bundesland, das für die Kommunen eine solche über befristete Pilotprojekte hinausgehende Möglichkeit geschaffen habe, meldete das Landesverkehrsministerium.
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Bislang drohte Rückbau der Schulstraßen zu Ostern
In Köln macht sich nach der Nachricht aus Düsseldorf allenthalben Erleichterung breit. Zwar hatte sich die Stadt beim Thema Schulwegsicherheit eigentlich schon einen Vorsprung erarbeitet. Als das Aktionsbündnis „Kidical Mass“ das Thema Schulstraßen ins Rollen brachte, sprang man zügig auf. Schon im vergangenen Sommer hat die Stadt als eine der ersten deutschen Städte als Pilotprojekt an vier Grundschulen sogenannte Schulstraßen eingerichtet. Befristet auf ein Jahr wurden die Straßen vor der Schule vor dem Unterrichtsbeginn und -schluss jeweils für eine halbe Stunde gesperrt. Ausgenommen waren Taxen, Rollstuhltransporte, Schulbusse, Lehrkräfte und Anwohner.
Ein Erfolgsmodell. Städte wie Berlin, Bonn, Essen, Ulm und Dresden folgten dem Kölner Beispiel. Die rechtliche Basis für eine dauerhafte Fortführung der Schulstraßen nach Ende des Pilotprojekts fehlte allerdings bis jetzt. Ein Rückbau schon zu Ostern drohte.
Düsseldorf könnte für den Kölner Weg nun Rechtssicherheit schaffen. Auch dank eines Rechtsgutachtens, das „Kidical Mass“ gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk und dem ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Auftrag gegeben hat und das dem Ministerium als Vorlage für den Erlass diente. Kommunen könnten nun präventiv vorgehen, ohne eine konkrete Gefahrenlage nachweisen zu müssen, so ein Ministeriumssprecher. Eine Änderung der bundesweiten Straßenverkehrsordnung (StVO) müsse damit nicht abgewartet werden.
Die Stadt Köln schreibt auf Anfrage dieser Zeitung zumindest, man sehe im neuen Erlass eine „gute Grundlage für die Möglichkeit, in Zukunft Schulstraßen in Köln etablieren zu können“. Derzeit prüfe die Stadtverwaltung, ob mithilfe des gleichen Erlasses die laufenden Pilotprojekte verlängert werden können, „um ein nahtloses Fortbestehen der aktuell erprobten Schulstraßen zu ermöglichen“.
Schulleiterin: „Es ist eine Win-Win-Situation“
Aufgeatmet hat daraufhin auch Simone Schmolke, Leiterin der Maria-Montessori-Grundschule in Ossendorf, die schon seit Sommer Erfahrungen mit dem Pilotprojekt sammeln konnte. Seit der Sperrung verspüre man eine deutliche Verbesserung bei der Verkehrssituation.
„Vorher sind in die Sackgasse morgens gefühlt 150 Autos rein- und rückwärts wieder rausgefahren oder haben riskante Wendemanöver vollzogen. Das war eine große Gefährdung für alle die Kinder, die mit dem Roller oder zu Fuß zur Schule gefahren sind.“ Seit man morgens eine Bake aufstellen könne, sei das Problem gelöst. Anders als die mündlichen Appelle an die Eltern und die Einbeziehung der Polizei vor Ort werde die neue Schulstraße auch von hartnäckigen Elterntaxi-Nutzern akzeptiert. „Es ist eine Win-Win-Situation. Sogar auch für die Anwohner, denn die können jetzt besser aus- und einfahren, da die Straße nicht durch Elterntaxis verstopft ist. Unsere Hoffnung ist jetzt, dass durch den Erlass möglich wird, dass wir das Pilotprojekt zu einer Dauereinrichtung machen können.“
Auch Simone Kraus von „Kidical Mass“ Köln freut sich über die Nachricht aus Düsseldorf. Man sei optimistisch, dass nun noch mehr Schulstraßen eingerichtet werden könnten. „So viele Schulen warten darauf, um die schwierige und gefährliche Situation mit den Elterntaxis zu entschärfen.“ Die Hoffnung sei nun, dass sich das Ratsbündnis im nächsten Verkehrsausschuss mit einer Beschlussvorlage sowohl für die Weiterführung der Pilotstraßen als auch weitere Schulstraßen starkmache.
„Die Nachfrage danach in Köln ist riesig.“ Kraus hat aber auch mahnende Worte. Der Erlass sei kein Selbstläufer, weil die fehlende Bereitschaft einer Kommune der Sicherheit immer noch im Wege stehen könnte. „Negativbeispiel ist die Stadt Pulheim, wo sich trotz des Erlasses weiter nichts bewegen will.“ Kidical Mass fordert deshalb, die Schulstraßen auch im Bundesrecht in der Straßenverkehrsordnung zu verankern.
Automobilclub: Sperrungen schaffen Elterntaxis nicht ab
Aber nicht jeder bricht gleich in Jubel aus beim Gedanken daran, dass sich künftig in der ganzen Stadt die „Durchfahrt verboten“-Verkehrszeichen vor den Schulen ausbreiten könnten. Wer Philipp Mathey, Sprecher vom Automobilclub ACV in Köln, anruft, dem wird zwar zunächst einmal versichert, der ACV befürworte selbstverständlich alles, was die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr steigere. „Das ist uns ein großes Anliegen“, sagt Mathey. Ob die Straßensperren vor den Schulen allerdings als Allheilmittel gepriesen werden können, bezweifle man.
Wer die Straße vor der Schule einfach nur sperre, der schaffe damit ja das Problem der Elterntaxis nicht ab. „Es ist zu befürchten, dass die Eltern dann einfach 100 Meter weiter und dort ebenfalls an unübersichtlichen Stellen, möglicherweise in zweiter Reihe, parken“, sagte Mathey auf Anfrage gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Es bräuchte ein „ganzheitliches Mobilitätskonzept“ mit einer genauen Analyse der Verkehrsströme und beispielsweise sicheren Parkplätzen in Schulnähe, auf denen Eltern ihre Kinder absetzen könnten. Im Zentrum steht für den ACV außerdem die Idee, die Kinder zu selbständigen und umsichtigen Verkehrsteilnehmern zu erziehen. Mobilitätstraining, sagt Mathey: „Kinder müssen ermutigt werden, ihren Schulweg auf eigene Faust zu bewältigen. So lernen sie, die Gefahren richtig einzuschätzen.“ Dazu brauche es spielerisches Üben auch in Schulen und Kitas. Der ACV wolle sich hier im Laufe des Jahres mit einem eigenen Konzept einbringen.
Die FDP im Landtag geht auf die Straßensperrungen auf Anfrage nicht ein, sieht die Lösung aber eher in einer besseren Schulplatzvergabe nach dem Motto „kurze Beine, kurze Wege“. Franziska Müller-Rech, schulpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion NRW, fordert von der Landesregierung ausreichend wohnortnahe Grundschulplätze „dann brauchen wir auch keine Elterntaxis quer durch die Stadt“.
Darauf, dass nicht nur Autos eine Gefahr für Schülerinnen und Schüler darstellen können, legt Kölner Ratsmitglied Teresa de Bellis-Olinger (CDU) auf Anfrage wert. Beim Thema Elterntaxis müssten unbedingt auch die Lastenfahrräder mitbrachtet werden. „Konflikte zwischen diesen schweren, meist akkubetriebenen Rädern und Fußgängern sind immer wieder zu beobachten. Daher sollte auch für Lastenräder gelten, dass sie die Schulstraße nicht anfahren dürfen.“