Jahrelang soll der Kölner Sportwettenanbieter Tipster Millionen am Finanzamt vorbei geschleust haben. Wie das System funktionierte.
Verfahren gegen TipsterSo entdeckten Ermittler den Millionenbetrug des Kölner Wettanbieters
Der Informant zögerte lange. Er hatte sich über das Whistleblower-Portal der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schon vor drei Jahren an die Strafverfolgungsbehörden mit brisanten Hinweisen zu einem großangelegten Steuerschwindel in der Sportwetten-Branche gemeldet, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfahren hat.
Die Düsseldorfer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Organisierte Kriminalität (ZeOs) schaltete sich ein. Allerdings dauerte es einige Zeit, ehe die Strafverfolger den Whistleblower überreden konnten, sich zu outen und alle Unterlagen aus dem Geschäftsbetrieb der vergangenen zehn Jahre auszuhändigen.
Die Masse buchhalterischer Belege legte nahe, dass einer der größten Sportwetten-Anbieter, die Tipster Service GmbH mit Sitz in Köln, zwischen 2014 und 2020 rund 700 Millionen Euro am Fiskus vorbeigeschleust und einen Steuerschaden in Höhe von 35 Millionen Euro verursacht haben könnte. Dabei soll die Firmenspitze um den mutmaßlichen Chef Michael F. mittels zweier zentraler Server einen legalen und einen schwarzen Geldkanal bedient haben. Über dieses System liefen die Sportwetten aus den etwa 350 Büros ein.
Kölner Sportwettenanbieter Tipster: Schwarzmarkt für Sportzockerei
Fünf Prozent von jeder Wette kassiert der Staat üblicherweise über die Wettsteuer. Bei Tipster aber sollen die Drahtzieher irgendwann auf die Idee gekommen sein, neben der ohnehin bereits lukrativen offiziellen Sparte eine noch größere „Cash-Cow“ auf die Wiese zu schicken: Sie etablierten einen Schwarzmarkt für Sportwetten, bei denen Tipster die fünf Prozent Wettsteuer in der Firmenkasse behielt.
Teilweise soll die Abzocke auch über illegale Wettbüros bis hin zu Kiosken gelaufen sein. Wenn der Kunde die installierten Spielautomaten bediente, wusste er nicht, ob er seine Wette im legalen oder illegalen Geldkreislauf platzierte. Ein lukratives System, das laut Staatsanwaltschaft jahrzehntelang funktioniert haben soll.
Köln: LKA ermittelt drei Jahre lang gegen Tipster – System mit Hintermännern
Knapp drei Jahren lang hat eine Ermittlungskommission des Landeskriminalamts NRW das Firmengeflecht samt dem riesigen Datenkonvolut durchforstet. Der juristische Hauptsitz von Tipster befindet sich in Malta. Im Steuerparadies sorgte man auch für den nötigen legalen Überbau, um eine Glücksspiellizenz zu erlangen. Ein gewinnbringendes Geschäft und doch nur die seriöse Fassade für ein noch lukrativeres, illegales Modell, bei dem laut den Ermittlungen die Beschuldigten über die Kölner Tipster Service GmbH in Köln-Braunsfeld die Fäden zogen.
Im Franchisesystem wurden bundesweit Wettbüros eröffnet. Sogenannte Distributoren verwalteten beispielsweise jeweils zehn Standorte, um die Schwarzeinnahmen abzukassieren und an die Hintermänner weiterzuleiten.
Die Strafverfolger zapften nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Telefone der rheinischen Manager an – ein Glückstreffer, der die Beweislage unterfütterte. Offen diskutierten die Bosse da über ihre Pläne, das gesamte Geschäft zu veräußern. Einziges Problem: Wie sollte man den Steuerschwindel verschleiern? Am Ende kam es nicht zum Verkauf.
Kölner Sportwettenanbieter Tipster: Sechs Hauptbeschuldigte in Untersuchungshaft
Am 20. April veranlasste der zuständige Oberstaatsanwalt Stefan Willkomm eine großangelegte Razzia. Tausend Beamte schwärmten bundesweit aus. In der Tipster-Zentrale an der Hildegard-von-Bingen-Allee wurden alle Datenträger und Akten beschlagnahmt. Sechs Hauptbeschuldigte, darunter der Firmen-Chef Michael F., 42, gingen in Untersuchungshaft. Auch seine Schwester steht auf der Beschuldigtenliste, da sie lange Zeit als Geschäftsführerin fungierte.
Die Vorwürfe lauten: Bildung einer kriminellen Vereinigung und Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall. Die Durchsuchung verlief dem Vernehmen nach äußerst friedlich. Obschon den Tatverdächtigen der Gang ins Gefängnis drohte, boten sie den Beamten zunächst noch Kaffee an.
Bis heute fragen sich die Ermittler, warum die Tipster-Chefs den Schwarzgeld-Kanal überhaupt eingerichtet hatten. Die Einnahmen aus den sauberen Wettgeschäften bescherten den Beteiligten bereits horrende Gewinne. Offenbar, so der Verdacht, wurden einige Hauptakteure gierig und versuchten über Steuerbetrügereien weitere Millionen Euro in die eigene Tasche zu wirtschaften.
Wie seine Komplizen auch lebte der Kölner Tipster-Chef Michael F. auf großem Fuß. Der Geschäftsmann wohnte mit seiner Familie in einem Nobelviertel im Kölner Westen in einem großzügigen Haus. Den Ermittlungen zufolge sollen der Unternehmer und seine Geschäftspartner aus der rheinischen Zocker-Szene stammen.
Beschuldigte haben Tatvorwürfe eingeräumt
Inzwischen wurden die Haftbefehle gegen die Beschuldigten außer Vollzug gesetzt. Der Tipster-Chef und seine Komplizen kamen teils gegen Zahlung einer sechsstelligen Kaution wieder frei. Zuvor hatten sie die Tatvorwürfe in ersten Verhören teils eingeräumt. Die Verteidiger haben weitere geständige Einlassungen angekündigt. Mathias Sartorius, Verteidiger des ehemaligen Tipster-Chefs, bestätigte auf Anfrage, dass „wir eine Erklärung abgegeben haben und mein Mandant das Verfahren kooperativ begleiten wird“.
Angesichts der dichten Beweislage und der Schwere der Strafvorwürfe winkt den Schlüsselfiguren bei Tipster eine Haftstrafe. Konfliktverteidigung wäre in diesem Fall eher kontraproduktiv.
Zumal Oberstaatsanwalt Willkomm davon ausgeht, dass „der Steuerschaden weit über die geschätzten 35 Millionen Euro hinausgehen wird, genau beziffern lässt sich die Zahl derzeit noch nicht, da die Ermittlungen noch laufen“.
Bereits im Jahr 2012 hatte der Bundesgerichtshof festgelegt, dass bei einem Steuerbetrug von mehr als einer Million Euro eine Freiheitsstrafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Mittlerweile läuft in Köln das Insolvenzverfahren gegen die Tipster Limited. Nachdem die Behörden die Wettlizenz eingezogen haben, steckt einer der größten Sportwettenanbieter in Finanznöten. Allerdings gibt es eine neue Entwicklung: Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, hat ein deutscher Unternehmer aus dem Ruhrgebiet gekauft, was von Tipster übrig ist und dafür wohl einen Millionenbetrag investiert.