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Hilfslieferungen von Bonn nach Gaza„Wir stehen in den Startlöchern“

Lesezeit 3 Minuten
Rafah: Palästinenser rennen einem Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern nach, der über den Kerem-Shalom-Übergang von Ägypten in den Gazastreifen eingefahren ist, nachdem ein Abkommen über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas in Kraft getreten ist.

Rafah nach dem Abkommen über eine Waffenruhe: Palästinenser rennen einem Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern nach.

Die Welthungerhilfe koordiniert von Bonn und Amman aus Hilfslieferungen nach Gaza. Die Waffenruhe erleichtert die Lieferungen - doch die finanziellen Mittel sind bald ausgeschöpft.

Als Tag drei der Waffenruhe beginnt, telefoniert Marvin Fürderer, Nothilfe-Experte der Welthungerhilfe in Bonn, mit dem Partner-Büro in Jordaniens Hauptstadt Amman. „ In diesem Moment sind drei Lkw auf dem Weg von Amman nach Gaza“, sagt Fürderer. „Wenn alles gut läuft, kommen sie heute noch an. Dann beginnt morgen die Verteilung der 1.440 Essenspakete.“ Eines dieser Pakete kann eine fünfköpfige Familie zwei Wochen lang versorgen.

Die Waffenruhe am Montag stellte auch die Planung von Hilfsorganisationen wie der Welthungerhilfe auf den Kopf. Seit April 2024 bringt die Organisation mit Sitz in Bonn Hilfsmittel in den Gazastreifen: Pakete mit Mehl, Bohnen und Reis, Spezialnahrung für unterernährte Kinder, Medikamente, Verbandsmaterial. In der ersten Phase bis Oktober 2024 erreichten neun Lkw-Ladungen der Welthungerhilfe den Gazastreifen, so Fürderer. „Das entspricht etwa 54 Tonnen Lebensmittel.“

Hunderte Lkw überqueren nun täglich die Grenze zu Gaza

Die Umsetzung der Hilfen ist kompliziert, der bürokratische Aufwand hoch, die Lieferung ins Kriegsgebiet riskant. Auch deshalb kooperiert die Welthungerhilfe mit weiteren Hilfsorganisationen, beispielsweise Cesvi aus Italien und einem Partner in Jordanien. In Amman errichteten sie ein Lager und Logistik-Zentrum: Hier kaufen die Hilfskräfte Lebensmittel ein, verpacken und verladen sie. 13 Mitarbeiter der Welthungerhilfe steuern die Lieferungen von Amman aus, fünf Mitarbeiter sind direkt im Einsatz, vier Mitarbeiter koordinieren die Hilfen von Bonn aus. Einer von ihnen ist Marvin Fürderer.

Eigentlich plante die Hilfsorganisation gerade mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes ein zweites Projekt: Bis Juni 2025 sollten Hilfslieferungen 60.000 Menschen in Gaza erreichen. „Die Planung bezog sich auf die Gegebenheiten vor drei Monaten“, sagt Fürderer. Vor den Grenzübergängen staute es sich, an guten Tagen schafften es rund 90 Lkw in den Gazastreifen, an schlechten deutlich unter 50.

Mit dem angekündigten Waffenstillstand kam Bewegung in die Schlange: Nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) überquerten bereits am 18. Januar insgesamt 630 Laster mit humanitärer Hilfe die Grenze zum Gazastreifen. Am Montag waren es 915. „Das bedeutet für uns: Unsere Mittel und Einkäufe, mit denen wir bis Juni 2025 geplant haben, sind womöglich bereits in vier oder fünf Wochen ausgegeben und verteilt“, sagt Fürderer.

300.000 Menschen droht der Hungertod

Die Welthungerhilfe ist nicht die einzige Organisation, die seit die Waffenruhe angekündigt wurde, vermehrt Hilfslieferungen nach Gaza bringt. 93 der Laster, die am Montag die Grenzübergänge in Erez-West und Kerem Schalom überquerten, gehörten zum WFP, schreibt das Büro in Berlin auf Anfrage. „Ziel sind 150 Lkw pro Tag.“ Das WFP habe genug Nahrungsmittel an den Übergängen zusammengezogen, um eine Million Menschen drei Monate lang zu ernähren.

Der Hilfsbedarf im Gazastreifen ist enorm. Bis vor kurzem war der Norden fast vollständig von Lieferungen abgeschnitten. Nach 15 Monaten Krieg haben zwei Millionen Menschen kein Zuhause mehr, 96 Prozent von ihnen haben nicht genug zu essen und sind komplett von humanitären Hilfen abhängig. Circa 300.000 Menschen droht laut WFP der Hungertod.

Die Waffenruhe sei eine große Erleichterung für sein Team, sagt Fürderer. „Vorher haben wir uns die Frage gestellt: Wie können wir überhaupt Hilfsmittel zu den Zivilisten bringen? Jetzt ist die Frage: Wie schnell?“ Neben Nahrung würden sauberes Trinkwasser und Hygieneartikel benötigt, damit sich in den Zeltstädten keine Krankheiten ausbreiten, dazu Decken und Zelte, um die restlichen Wintermonate zu überstehen. Nahrung, Wasser, ein Dach über dem Kopf – das sei nun das Wichtigste.

„Es müssen schnellstmöglich Bedingungen geschaffen werden, um ungehindert und möglichst viel Hilfe in die Region zu bringen“, sagt Fürderer. Gebraucht werde auch Geld. „Wir stehen auf jeden Fall in den Startlöchern. Wir haben das Netzwerk vor Ort und warten quasi nur darauf, dass wir weiter einkaufen können.“