Doping ist nicht nur ein Problem des Leistungssports. Auch Amateure aus NRW greifen auf illegale Substanzen zurück, um besser zu werden. Ein von der NADA gesperrter Judoka berichtet.
Judoka aus NRW über illegale Substanzen„Es ist zwar Doping, aber gut für meine Gesundheit“
Sechs Uhr in der Früh, die Polizei steht vor der Tür. Wohnungsdurchsuchung. Der Verdacht: Besitz unerlaubter Substanzen. Dass Tom D. (Name geändert) eines Januarmorgens von Mitarbeitenden des Landeskriminalamts geweckt werden würde, hätte er wenige Monate zuvor nicht für möglich gehalten.
Damals, im August 2023, litt der 30-Jährige schon eine ganze Weile unter Rückenschmerzen, die vor allem durch seinen täglichen Besuch im Fitnessstudio hervorgerufen wurden. Eigentlich ist er Judoka, hobbymäßig, mit Wettkampfambitionen, stammt aus dem Norden Deutschlands. Zum Studium kam er nach Ostwestfalen, wo sich seine sportliche Leidenschaft vom Dojo ins Gym verlagerte. Der typische Fitness-Lifestyle – intensives Krafttraining, viel Schlaf, angepasste Ernährung – gehöre seitdem zu seiner Persönlichkeit, erzählt Tom D..
Muskelaufbau: Vom Alleinstellungsmerkmal zum Glücksfaktor
Muskeln aufbauen, sportlich und vital aussehen – früher habe er damit andere beeindrucken wollen. „Es war mein Unique Selling Point“, sein Alleinstellungsmerkmal, sagt er. Inzwischen stemme er die Gewichte für sich: „Es macht mich einfach glücklich.“ Nur die Rückenschmerzen, die störten das Glück. „Immer, wenn ich schwer squatte (Anm. d. Red.: Kniebeugen machen), wenn ich wirklich an die Grenze gehe, kriege ich diese Schmerzen“, sagt D..
Vor der Grenze Halt zu machen, das sei für ihn aber keine Option gewesen: „Da stand mein Ehrgeiz im Vordergrund. Ich will halt immer besser werden.“ Über zwei Jahre habe er deshalb alles probiert: Arzt, Physiotherapie, Chiropraktiker. „Nichts hat geholfen.“ Bis er schließlich auf etwas gestoßen sei, das er als Heilungspeptide beschreibt. TB-500 und BPC-157, so lauten die Bezeichnungen der Stoffe, die der damalige Student in Form von Pflastern bestellte. 30 Stück. Eins pro Tag klebte D. auf den Bauch. Die Pflaster sollten dabei helfen, die Heilung zu beschleunigen.
Was erst einmal vielversprechend klingt, ist verboten. BPC-157 ist nicht für die Anwendung am Menschen zugelassen, beide Stoffe stehen auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) – und das wusste Tom D.. „Ich dachte, es wäre das kleinere Übel. Es ist zwar Doping, aber gut für meine Gesundheit“, so begründet er die Kaufentscheidung. In der Folge blieb es nicht bei einer Bestellung.
Tom D. wagte sich auch an Prohormone heran. Unter anderem sollten die Mittel, die in Deutschland als nicht-zugelassene Medikamente gelten, seine „Ausdauer auf Vordermann bringen“, erzählt er. Nach fünf Tagen habe er die Pillen aber wieder abgesetzt. Er habe Nebenwirkungen wie Bauchkrämpfe gespürt.
Vor Gefahren durch illegal vertriebene und erworbene Produkte warnt Dopingexperte Mario Thevis. Er ist Professor für Präventive Dopingforschung und Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln. Oft weise aus dem Internet bezogene Ware „größere Mängel in Qualität und Quantität der Inhaltsstoffe auf“, sagt er. „Das kann, je nach Zusammensetzung, bedrohliche Konsequenzen haben“, so Thevis.
Trotzdem sei der Zugang leicht, erzählt Tom D.. Im Gym werde fast täglich über solche Zusatz-Produkte gesprochen. „Stoffen“, so wird es umgangssprachlich genannt, sei unter Pumpern weit verbreitet – in den Fitnessstudios, genauso wie in den sozialen Medien. Die Standards an muskulöse Körper seien gestiegen, sagt Tom D.. „Und dann willst du es auch mal ausprobieren. Wie rauchen.“
Während D. auf Regenerationspflaster setzte, seien in der Fitnessszene insbesondere Stimulanzien, anabole Wirkstoffe und anabol-androgene Steroide angesagt, berichtet Mario Thevis. Anabolika, synthetische Abkömmlinge des Sexualhormons Testosteron, wirken einerseits androgen – vermännlichend. Andererseits anabol – muskelaufbauend. Das gefällt vor allem Sportlern, die mit definiertem und aufgepumptem Körperbau einem bestimmten Idealbild nacheifern.
Laut Studie greifen über sechs Prozent aller Männer einmal in ihrem Leben zu Anabolika
Und die sind nicht zwangsläufig kompetitive Profis. Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2014 etwa kommt zu dem Ergebnis, dass weltweit über sechs Prozent aller Männer (und 1,6 Prozent der Frauen) mindestens einmal in ihrem Leben anabole Steroide nehmen. Millionen von Anabolika-Konsumenten weltweit haben dabei keine Wettkampf-Ambitionen, heißt es. Sie wollen ihre körperliche Kraft steigern und ihr Aussehen verbessern, resümiert die Studie.
Das für Nordrhein-Westfalen und Teile angrenzender Bundesländer zuständige Zollfahndungsamt Essen berichtete für das Jahr 2023 von steigenden Sicherstellungszahlen „schön-, stark- und schlankmachender Lifestyleprodukte“. Doch Handel, Erwerb und Besitz von Dopingsubstanzen sind nach dem 2015 in Kraft getretenen Anti-Doping-Gesetz strafbar.
Im Umlauf sind die Mittel aber zuhauf: In der Jahresbilanz des Essener Zolls für 2023 ist von 467.835 Tabletten, 242.241 Ampullen mit flüssigen Dopingmitteln sowie 13.620 Stück gefüllt mit Wachstumshormonen und drei Kilogramm Pulver die Rede. Ein erheblicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Zurückzuführen sei der jedoch nicht nur auf die anhaltende Nachfrage nach leistungssteigernden Medikamenten, sondern auch auf eine Großsicherstellung im Dezember 2023.
Handel mit Dopingsubstanzen: Mutmaßlich hohe Gewinnspanne
Über einen Onlineshop soll ein 38-Jähriger europaweit verbotene Substanzen vertrieben haben. Sichergestellt worden seien verkaufsfertige Ampullen und verschreibungspflichtige Wachstumshormone im Wert von über einer Million Euro sowie zusätzliche 150.000 Euro Bargeld und 270.000 Euro in Kryptowährung. Das ist Dopinghandel in großem Stil. Dopingexperte Mario Thevis sieht die Motivation in einer „enormen Gewinnspanne und dem noch vergleichsweise geringen strafrechtlichen Risiko“.
Das Land NRW hat im Frühjahr 2022 ein Sonderdezernat für Doping eingerichtet. Angegliedert ist es an die Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS NRW). Seitdem gingen 212 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Anti-Doping-Gesetz ein, 75 davon in den ersten neun Monaten 2024. Auch die ZeOS NRW stellt fest: „Den überwiegenden Teil der hiesigen Verfahren machen solche aus dem Bereich Freizeit- und Breitensport aus.“
Trotzdem arbeitet das Sonderdezernat eng mit der sonst eher aus dem Spitzensport bekannten Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) zusammen, genauso wie mit anderen Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Die Kooperationsmöglichkeiten erleichtern laut NADA die Aufdeckung von Dopingverstößen. „Wir sehen dies als wichtigen Schritt für den sauberen Sport.“
Der Doping-Agentur selbst sind außerhalb des Sportrechts Grenzen gesetzt. Sie darf zwar Sperren verhängen. Um konkreten Hinweisen nachzugehen und beispielsweise mit Gerichtsbeschlüssen Wohnungen zu durchsuchen, sind aber strafrechtliche Ermittlungen nötig.
Da kommt wieder Tom D. ins Spiel. An jenem Januarmorgen klingelte bei ihm schließlich das Landeskriminalamt – eine offizielle Ermittlungsbehörde. Die Grundlage der Durchsuchung: ein Befund der NADA. Denn D. hatte einen Fehler gemacht. Knapp zwei Monate nach seinem Doping-Experiment im Spätsommer 2023 entschied er sich spontan dazu, an einem Judo-Turnier teilzunehmen. Im Halbschwergewicht gewann er zwei Kämpfe.
Amateursport: NADA-Dopingkontrollen finden auch auf regionaler Ebene statt
Mit NADA-Kontrolleuren habe er in der Halle nicht gerechnet, ihr Erscheinen sei ungewöhnlich für Wettkämpfe auf Regionalebene. „Aus dem Nichts werde ich zum Test herausgeholt. Ich denke mir: Scheiße.“ Von einem positiven Ergebnis sei er zwar ausgegangen. Der Befund habe ihn dann aber doch überrascht, denn der listete andere Substanzen, als Tom D. erwartet hätte.
Er habe Aminosäuren und Nahrungsergänzungsmittel von amerikanischen Firmen genutzt – „vielleicht arbeiten die unsauber und die Stoffe sind so in den Körper gelangt“, verteidigt sich Tom D.. Verantwortlich für die Substanzen in seinem Körper ist er trotzdem selbst.
Strafrechtlich haben die Taten in seinem Fall keine Konsequenzen. Das Verfahren sei wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Doch im Judo sitzt D. nun eine dreijährige Sperre ab. Das könne er nur teilweise verstehen. Seine Art des Dopings, vor allem die Regenerationspflaster, empfinde er als „sanft“. „Wen interessiert es, ob ich mehr oder weniger Schmerzen im Rücken habe?“, fragt er. Der subjektiven Perspektive steht im organisierten Sport „eine uneingeschränkte Null-Toleranz-Politik gegenüber Doping“ entgegen. Das hat auch D. unterschrieben.
Allzu hart trifft ihn die Konsequenz allerdings nicht. Sein Training – ob auf der Matte oder im Gym – könne er trotzdem fortsetzen. Und dem Gedanken, sich den Stoff noch einmal „zu Regenerationszwecken“ zu bestellen, sei er zumindest nicht gänzlich abgeneigt: „Jetzt, während der Sperre, denke ich mir: Ich schade ja keinem.“