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Interview zu Altkleidern„Das, was wir Mode nennen, ist vor allem eine enorme Ressourcenverschwendung“

Lesezeit 5 Minuten
Container für Altkleider steht auf einem Bürgersteig in Düsseldorf

Die Menge an Altkleidern wächst in Deutschland Jahr für Jahr.

Fairwertung ist ein Zusammenschluss gemeinnütziger Altkleidersammler in Deutschland. Mit Thomas Ahlmann haben wir über Textilflut, Secondhand-Mode und Jeans in Autoinnenverkleidungen gesprochen.

Herr Ahlmann, ich habe alte T-Shirts und Hosen, die ich nicht mehr trage. Wohin gebe ich die am besten?

Thomas Ahlmann: Sie haben drei Möglichkeiten: Sie werfen das in gemeinnützige Container, die Sie zum Beispiel an der Auszeichnung „fairwertung“ erkennen, es gibt hier aber auch Direktannahmestellen. Oder Sie geben es bei gewerblichen oder kommunalen Sammlern ab, die häufig auch Container aufstellen. Auch Modeketten nehmen Kleidung an. Wir empfehlen die Spende an gemeinnützige Organisationen, wie zum Beispiel Bethel, die Malteser oder Oxfam-Shops.

Weil die Spenden dort an Bedürftige vor Ort abgegeben werden, also Flüchtlinge, Obdachlose oder Familien mit wenig Geld?

Genau. Allerdings ist hier der Bedarf geringer als die Sammelmenge. In karitativen Zwecken vor Ort landen weniger als fünf Prozent der Waren. Das liegt daran, dass die Altkleiderflut den Bedarf in Deutschland bei weitem übersteigt. Der überwiegende Teil wird an Sortierbetriebe weiterverkauft, der Erlös fließt aber wieder in die soziale Arbeit. Sie tun mit dieser Spende also in jedem Fall etwas Gutes.

Wo sitzen diese Sortierbetriebe und wie wird dort aussortiert?

Die größte Menge, der in Deutschland gesammelten Textilien wird im Ausland sortiert. In den Niederlanden, Polen oder auch in Osteuropa, Nordafrika, Dubai oder der Türkei. Das liegt auch daran, dass Sortierung Handarbeit ist und die Lohnkosten dort geringer sind. Fairwertung arbeitet in erster Linie mit Sortierbetrieben in Deutschland und den Niederlanden zusammen. Nur hier können wir überprüfen, ob mit den Altkleidern, aber auch mit den Mitarbeitern verantwortungsvoll umgegangen wird.

Thomas Ahlmann, Fairwertung

Thomas Ahlmann von Fairwertung: „Zehn Prozent aller Treibhausgase weltweit stammen aus der Bekleidungsbranche. Die Wahrheit ist: Wir kaufen viel zu viel.“

Die Betriebe sortieren nach Tragbarkeit, Funktionstüchtigkeit, Material, aber auch nach modischen Gesichtspunkten. Etwa gut die Hälfte der Ware ist noch anziehbar und kann als Secondhand-Mode verkauft werden. Etwa zehn Prozent werden zu Putzlappen verarbeitet, etwa zwanzig Prozent finden Verwendung in Dachpappe, Autoinnenverkleidungen oder in Malervlies. Der Rest ist leider meist Müll, der verbrannt wird. Insgesamt wird allerdings so eine Wiederverwendungs- bzw. Recyclingquote von immerhin 90 Prozent erreicht.

Zehn Prozent aller Treibhausgase stammen aus der Bekleidungsindustrie

Neue Kleidung entsteht daraus nicht?

Recycling im Sinne von Faser-zu-Faser-Recycling findet so gut wie nicht statt. Das liegt daran, dass unsere Bekleidung sowohl in Produktion als auch Design nicht darauf ausgelegt ist. Dafür müssten die Kleidungsstücke im Idealfall sortenrein sein, also zum Beispiel aus hundert Prozent Baumwolle bestehen. Das ist meist nicht der Fall. Zudem fehlt es noch an großen Recyclinganlagen.

Die Deutschen haben im vergangenen Jahr 65 Milliarden Euro für Kleidung ausgegeben – mehr als jemals zuvor. Welche Folgen hat dieser immense Textilkonsum?

Das, was wir Mode nennen, ist vor allem eine enorme Ressourcenverschwendung. Wir reden immer über Inlandsflüge und wie viel CO2 dadurch unnötig verursacht wird. Dabei vergessen wir, dass zehn Prozent aller Treibhausgase weltweit aus der Bekleidungsbranche stammen. Die Wahrheit ist: Wir kaufen viel zu viel.

Eine Jeans frisst bei der Produktion mehrere tausend Liter Wasser, viele Chemikalien sind nötig. Und dann tragen wir das gute Stück am Ende doch nur ein Jahr. Denn dann ist der Reißverschluss kaputt, eine Reparatur erscheint aber nicht lohnenswert, weil eine neue Jeans auch nur 30 Euro kostet. Also wird das aufwändig produzierte Stück nach ein paar Mal Tragen aussortiert und im besten Fall noch zehn Jahre als Autoinnenverkleidung weitergenutzt. Das ist nicht nachhaltig. Auf diese Weise sortieren wir in Deutschland im Jahr Schätzungen zufolge eine Million Tonnen Altkleider aus. Würde man die Menge nacheinander in Lkw verladen, reichte die Autoschlange von Flensburg bis Innsbruck. Jedes Jahr!

Erheblicher Nachholbedarf bei Secondhand-Mode

Laut Zahlen der UN tragen immerhin fast 80 Prozent aller Menschen auf der Welt Secondhand-Mode.

Ja, aber nur in den ärmeren Regionen der Welt. Während in den großen Industrienationen in Nordamerika, Westeuropa, Australien und zunehmend auch China vor allem Neuware konsumiert wird, herrscht in den Ländern des globalen Südens, aber auch in Osteuropa, eine große Nachfrage nach Secondhand-Bekleidung. Diese Nachfrage wird von den Sortierbetrieben mit den Alttextilien bedient. Der Anteil an Altkleidern, der in Deutschland im Secondhand-Handel bleibt, liegt bei gerade mal drei bis sieben Prozent. Das sind dann nur die absoluten Topstücke, zum Teil nie getragen. Oder eben ganz spezielle Vintage-Klamotten, die gerade in Mode sind. Auch wenn die Nachfrage nach Secondhand-Mode in Europa wächst, haben wir hier sicher noch erheblichen Nachholbedarf.

Schadet es der Textilwirtschaft vor Ort nicht, wenn wir beispielsweise afrikanische Länder mit unseren Altkleidern überschwemmen?

Diese Vermutung liegt nahe. Wir konnten das in zahlreichen Untersuchungen aber nicht belegen. Die Erfahrung zeigt eher, dass Neubekleidung aus asiatischer Produktion der Hauptkonkurrent ist. Länder, die beispielsweise den Secondhand-Handel verboten haben, konsumierten am Ende nicht mehr Neuware aus inländischer Produktion, sondern dort schloss Bekleidung aus Asien sofort die Lücke. Daran sieht man, wie maximal globalisiert die Textilindustrie ist.

Was kann ich als Verbraucher tun, um Mode nachhaltiger zu konsumieren?

Als erstes müssen wir verstehen, dass wir weniger konsumieren müssen. Wir haben den Konsum komplett vom Bedarf entkoppelt. Machen Sie sich frei vom Marketing der Industrie und finden Sie Ihren eigenen Stil! Dann brauchen Sie nicht Bootcut- und Schlag- und Skinny-Jeans. Weil Sie haben die eine, die Ihnen steht. Zudem: Bummeln Sie ruhig durch gemeinnützige Secondhand-Shops und Sozialkaufhäuser und kaufen dort, was zu Ihrem Stil passt. Sie nehmen da niemandem etwas weg, es ist genug für alle da und Sie unterstützen damit gemeinnützige Projekte.

Außerdem: Gehen Sie nachhaltig mit Ihrer Kleidung um. Viele Menschen wissen gar nicht, dass ein Großteil des CO2-Ausstoßes während der Nutzung entsteht. Wir waschen zum Beispiel unsere Sachen viel zu oft und viel zu heiß, mit viel zu viel Waschmittel, nutzen viel zu oft den Trockner. Das ist gar nicht nötig.

Lassen Sie Ihre Sachen beim Änderungsschneider reparieren, wenn etwas kaputt ist. Und wenn sich in Ihrem Kleiderschrank dennoch mal ein Fehlkauf findet, der beim Händler auf der italienischen Promenade im Licht des Mittelmeers noch gut zu Ihnen zu passen schien, in Köln am Rhein aber plötzlich gar nicht mehr, dann tauschen Sie, verkaufen das Stück auf dem Flohmarkt oder im Netz oder spenden es gemeinnützigen Organisationen.