Eine Draglesung in München löste eine bundesweite Debatte aus. Die AfD fordert ein Verbot. Die Kölner Dragqueen Marcella Rockefeller reagiert mit einer Kampagne.
#DefendYourLocalDragQueenKölner Dragqueen startet Kampagne gegen Verbot von Draglesungen
Am Dienstag hat in München eine Lesung für Kinder mit Dragperformern stattgefunden. Schon im Vorfeld sorgte die Veranstaltung bundesweit für Aufsehen. Nach der Ankündigung hatte sich zunächst CSU-Stadtrat Hans Theiss empört. Schnell pflichteten ihm AfD- und SPD-Mitglieder bei. Eine Draglesung sei unangebracht für Kinder, war man sich einig. Begriffe wie Frühsexualisierung, Förderung von Transidiologie und sogar Pädophilie machten in dem Kontext die Runde. Die bayerische AfD fordert deshalb, Draglesungen zu verbieten.
In Köln ist als Reaktion nun die Kampagne #DefendYourLocalDragQueen ins Leben gerufen worden. „Man regt sich darüber auf, dass ein bunter Mensch Märchen vorliest. Das ist absolut irre und absurd“, sagt die Kölner Dragqueen Marcella Rockefeller. Rockefeller ist die Kunstfigur von Marcel Kaupp. Gemeinsam mit der Grünen-Politikerin Alexandra Geese, Mitglied des EU-Parlaments, hat Kaupp die europaweite Kampagne gestartet.
Bei Draglesungen gehe es nicht um Sexualität, sondern um Aufklärung, Identität und darum, Kindern zu zeigen, dass sie okay sind, wie sie sind, sagt Kaupp. Das solle die Kampagne vermitteln. „Es geht darum, dass die Politik zuhört.“ Geese habe ihm zugehört, wollte verstehen, wie es ihm damit geht, wenn er und das, wofür er und Marcella Rockefeller öffentlich stehen, diffamiert werden.
Marcella Rockefeller: „Im Endeffekt ist die Kölner Jungfrau auch Drag“
Die Kunstfigur ist vor rund 13 Jahren entstanden, kurz nachdem Marcel Kaupp von Bayern nach Köln gezogen war. Im Karneval entdeckte er Drag für sich, es bedeute für ihn Freiheit. Politisch aktiv wollte er eigentlich nie werden. „Aber Drag ist immer politisch, es polarisiert“. Marcella sei ein Teil von ihm. Trotzdem freut er sich auch immer wieder Marcella abzulegen. Sie ist ein lauteres Sprachrohr, mit dem er Menschen erreichen kann. Deshalb vertritt er die Kampagne als Marcella.
Drag habe nichts mit irgendeinem Fetisch zu tun und müsse auch nichts mit der Identität zu tun haben. Es sei in erster Linie eine Darbietungsform. „Im Endeffekt ist die Kölner Jungfrau auch nichts anderes als Drag“, stellt Marcella fest und fügt lachend hinzu: „Man könnte nur noch etwas an ihrem Make-up arbeiten.“
„Drag is not a crime“ („Drag ist keine Straftat“), lautet deshalb schon seit einiger Zeit ein weltweiter Appell. Auch von Marcella Rockefeller und Alexandra Geese. Ihre Kampagne steht noch am Anfang, momentan werden Postkarten mit QR-Codes gedruckt, die zu einer Homepage mit Informationen zu Dragqueens und den Rechten von queeren Menschen in Deutschland und Europa führt.
#DefendYourLocalDragQueen für Aufmerksamkeit, Sensibilisierung und Allyship
„Ich weiß noch nicht, ob es klappt, aber wir würden gerne Buttons einfügen, über die man Abgeordneten direkt schreiben kann“, sagt Marcella. Politikerinnen und Politiker sollen zuhören müssen. Auch öffentliche Auftritte sind geplant. „Letzten Endes geht es um Aufmerksamkeit, Sensibilisierung und Allyship“, erklärt sie.
Allys sind Verbündete. Menschen, die sich nicht der queeren Community zugehörig fühlen, aber sie unterstützen. Hinter ihr stehen, „nicht nur, wenn es ums Feiern geht, sondern wenn es wehtut, wenn Menschen angegriffen werden“, erklärt Marcella. Denn das findet statt. Auch wenn in Deutschland und der EU gesetzlich jeder Mensch, seine, ihre sexuelle- und Geschlechts-Identität frei ausleben darf und Diskriminierung verboten ist, entspricht das nicht der Realität:
So haben sich beispielsweise Straftaten gegen queere Menschen in Deutschland von 2021 bis 2022 versiebenfacht. 42 Prozent der zwischen 18- und 35-Jährigen können es nicht ab, wenn sie homosexuelle Liebe auf der Straße sehen. Konversionstherapien sind nur in einer Handvoll EU-Länder verboten.
Eingeschränkte Rechte von queeren Menschen in Deutschland und Europa
Auch Marcella berichtet, in ständiger Angst zu leben. Seit Jahren versuche sie, jeden Fußweg zu vermeiden. Sie berichtet von Übergriffen und Anfeindungen. Aber auch Marcel, ohne Schminke, ohne Perücke, hält in der Öffentlichkeit nicht Händchen mit seinem Freund. „Das darf gerade in einer Stadt, die sich mit dem Label ‚queere Hauptstadt‘ brüstet, nicht sein. Da muss dann auch für mehr Sicherheit gesorgt werden“, fordert Marcella. In Köln, Deutschland und der EU.
Hasskriminalität gegen queere Menschen müsse als das nachgehalten, das Transsexuellengesetz endlich überarbeitet werden. „Im Grundgesetz sind queere Personen die einzige Gruppe, die von den Nazis verfolgt wurde und nicht explizit Schutz verankert hat“, so Marcella. Das seien Beispiele, die verändert werden müssten. Darauf will die Kölnerin mit der Kampagne #DefendYourLocalDragQueen aufmerksam machen.
Die Grünen, vertreten durch Alexandra Geese, seien diejenigen, die den Schritt mit ihr gegangen sind. Aber die Kampagne sei nicht parteigebunden. „Es kann nicht sein, dass wir wieder Kunstaufführungen verbieten. Die Zeiten gab es schon einmal“, so Marcella, „man fängt wieder an, systematisch Menschengruppen unsichtbar zu machen. Dagegen müssen wir etwas tun.“