Zahra Mahyari flüchtete aus dem Iran und wagte in Deutschland ein neues Leben.
Quereinsteigerin in KönigswinterWie eine Religionslehrerin aus dem Iran Lokführerin im Rheinland wurde
Missgunst, Ungerechtigkeit und Schicksalsschläge musste Zahra Mahyari überwinden, um an den Ort zu gelangen, an dem sie alles unter Kontrolle hat: im Führerstand einer Güterzuglok.
Die 39-jährige Lokführerin kam 2014 als Asylbewerberin aus dem Iran nach Deutschland und besitzt inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft. „Das war damals gar kein Problem für mich. Ich habe mehr als sechs Jahre hier gelebt, hatte einen festen Job, der alles bezahlen konnte und das Sprachniveau B1“, sagt Zahra Mahyari mit einer Leichtigkeit, der man keine Spur ihres schweren Weges entnehmen kann.
Sie ist eine von 130 Absolventinnen und Absolventen des Integrationsprogramms der NRW-Bahnbranche, das seit 2019 läuft. Dieses besteht aus einer Ausbildungs-Kooperation zwischen Fokus Bahn NRW – einem Programm des Verkehrsministeriums – und der Stiftung Bildung und Handwerk (SBH).
Religionslehrerin in einer streng konservativen Familie
Mahyari wollte in Deutschland Lokführerin werden, weil sie in diesem Beruf die Auseinandersetzung mit Menschen auf ein Minimum reduzieren kann. „Ich habe in meinem Leben schon genug Enttäuschungen erlebt. Ich dachte mir: Als Lokführerin sitze ich in einem Raum für mich. Das ist mein Bereich und ich kann dort ungestört für mich arbeiten. Deshalb wollte ich auch in den Güterverkehr.“
Im Iran war Zahra Mahyari Religionslehrerin, wuchs in einer streng gläubigen Familie auf und wurde im Alter von 21 Jahren in einer arrangierten Ehe verheiratet. Sie bekam eine Tochter mit ihrem Mann, von dem sie sich nach kurzer Zeit scheiden lassen wollte. Ihr Mann und ihre Familie wehren sich gegen diesen Wunsch.
Als die Zustände unerträglich wurden, flüchtete sie mit ihrer damals sechsjährigen Tochter nach Deutschland. 2015 wurden Mutter und Kind in der Geflüchtetenunterkunft Stieldorf bei Königswinter untergebracht. Nach der Anerkennung ihres Asylstatus konnte sie mit einem Deutschkurs beginnen, bei dem eine Lehrerin sie auf das Ausbildungsangebot der SBH aufmerksam machte. Zahra Mahyari bewarb sich direkt am nächsten Tag.
NRW sieht erste Erfolge im Kampf gegen den Lokführermangel
Insgesamt hat das Land laut Verkehrsministerium rund sieben Millionen Euro in Fokus Bahn NRW investiert, um vor allem mehr Fahrpersonal für den Nahverkehr zu finden. Mit Erfolg: 378 Lokführerinnen und Lokführer haben seither ihre Ausbildung abgeschlossen. 2020 waren es 98, in den Folgejahren 120 und 160. Man habe alle geplanten Ausbildungsplätze besetzen können.
Der Bedarf an Fahrpersonal in NRW ist riesig. Allein bis 2025 werden rund 1200 Nachwuchskräfte gesucht. Die Verkehrsbetriebe, die in NRW unter dem Dach von Fokus Bahn zusammengeschlossen sind, haben unternehmensübergreifende Ausbildungsmodelle geschaffen. Sie wollen so die Qualität sichern und die Durchfallquote senken.
Voraussetzung für die Teilnahme sind Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 und bestandene medizinische und psychologische Eignungstests. Zahra Mahyari durfte ihre Ausbildung trotz nicht-bestandenem B2-Test – ihr fehlte ein einziger Punkt – beginnen.
2021 lag der Lokführerinnenanteil in NRW bei 14 Prozent
Während der Ausbildung war Zahra Mahyari stets die einzige Frau in ihrer Klasse. Laut Fokus Bahn NRW lag der Anteil der Lokführerinnen 2019 landesweit bei vier Prozent. Durch Kampagnen konnte der Wert 2021 auf 14 Prozent gesteigert werden.
„Ein Klassenkamerad hat mich immer gefragt, was ich hier mache und mir gesagt, dass das ein Männerjob sei. Dass ich nur hier sei, weil ich eine Frau bin und nur deshalb die Chance bekommen habe. Als ich die Ausbildung dann geschafft habe, hat er sich tatsächlich dafür entschuldigt“, sagt Mahyari mit breitem Grinsen. Sie habe immer die besten Noten in der Klasse gehabt.
Zwischenzeitlich wurde Mahyari mit ihrer Tochter obdachlos. Ihre erste Wohnung wurde aufgrund von Eigenbedarf gekündigt, die beiden kamen bei Nachbarn unter. Die damals angehende Lokführerin bekam Hilfe aus ihrem Umfeld. Mitarbeitende des Forums Ehrenamt und der Gitarrenlehrer ihrer Tochter halfen ihr dabei, eine Wohnung in Königswinter zu finden, wo sie bis heute mit ihrer Tochter wohnt. Zahra Mahyari redet in höchsten Tönen von ihrer mittlerweile 15-jährigen Tochter, die zu Hause schon immer selbstständig mitgeholfen habe.
Seit November 2021 ist sie Lokführerin und fährt sieben Tage in Folge Güterzüge durch ganz Deutschland. Das bedeutet auch, dass sie in fremden Städten, fern von ihrer Tochter, übernachten muss, bevor sie dann wieder für drei Tage bei ihr sein kann. Dennoch, ihr gefalle es sehr, so viel von Deutschland sehen zu können, sagt sie.
Ihre Familie hat Zahra Mahyari das letzte Mal im Januar 2023 besucht. „Meine Mutter wollte nicht mehr mit mir reden, weil ich in Deutschland war, das Kopftuch abgelegt habe und nicht mehr bete. Mein Vater und meine Schwester haben aber immer wieder mit mir Kontakt gehabt“. Die Ein- und Ausreise stellten trotz angespannter politischer Verhältnisse im Iran kein Problem dar. Mit dem deutschen Pass fühlt sich Zahra Mahyari wohl. Sie will weiterhin unabhängig sein und ihrer Tochter ein sicheres Leben ermöglichen.