AboAbonnieren

KrankenstandWo im Rheinland die Arbeitnehmer besonders häufig krank fehlen

Lesezeit 6 Minuten
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegt auf einem Tisch.

Besonders häufig lassen sich Beschäftigte der Pflegebranche im Rheinland krankschreiben.

Mitarbeitende im Rheinland sind überdurchschnittlich oft krankgeschrieben. Welche Regionen und Branchen besonders betroffen sind.

Im Rheinland lassen sich die Menschen häufiger krankschreiben als im Bundesdurchschnitt. Mit sieben Prozent liegt der Krankenstand in NRW vor allem deutlich über dem in Bayern und Baden-Württemberg, wo nur 5,9 Prozent der Beschäftigten am Tag wegen Krankheit ausfallen. Im Vergleich zu 2022 stieg die Zahl der Krankschreibungen im Rheinland zudem um gut zehn Prozent. Das belegen Zahlen der AOK Rheinland/Hamburg.

Der Bericht basiert auf Daten zur Arbeitsunfähigkeit von mehr als 1,4 Millionen erwerbstätigen Versicherten der AOK. Die Zuordnung der Fälle zu den jeweiligen Städten und Kreisen hat die Versicherung über den Standort der Arbeitsstätten vorgenommen.

Bonner am gesündesten

Den höchsten Krankenstand in der Region findet man in Mönchengladbach mit gut acht Kranken pro hundert Arbeitnehmern täglich. Am gesündesten scheinen den Zahlen zufolge die Menschen in Bonn zu sein. Hier lag der Krankenstand 2023 bei lediglich sechs Prozent. Überdurchschnittlich viele Kranke zählen auch der Rhein-Erft-Kreis (7,48 Prozent), der Kreis Euskirchen (7,38), der Rheinisch-Bergische Kreis (7,29 Prozent) sowie der Oberbergische Kreis (7,24 Prozent). Unter sieben Prozent liegt man beim Krankenstand in Leverkusen (6,79 Prozent), dem Rhein-Sieg-Kreis (6,77 Prozent) und Köln (6,65 Prozent).

Die tatsächlichen krankheitsbedingten Ausfallquoten dürften derweil noch über diesen Zahlen liegen – denn Kurzzeiterkrankungen von einem oder wenigen Tagen, die nicht mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) attestiert werden, sind nicht in die Statistik eingeflossen.

Woher die regionalen Unterschiede stammen, lässt sich laut dem Kölner Arzt Heinz-Wilhelm Esser, von Bühnenauftritten und aus dem WDR besser bekannt als Doc Esser, nur schwer ergründen. „Städter leben nicht per se gesünder, das wäre falsch“, sagt er. „Die örtlichen Unterschiede der Krankenstände hängen auch davon ab, wie die Bevölkerung aufgestellt ist. In Köln gibt es vielleicht viele jüngere Arbeiterinnen und Arbeiter, auf dem Land womöglich einen größeren Anteil älterer Arbeitnehmer.“

Portraits von dem Arzt Heinz-Wilhelm Esser, bekannt als Doc Esser.

Heinz-Wilhelm Esser, besser bekannt als Doc Esser, ordnet die Zahlen der AOK ein.

„Gerade die Jüngeren sind öfter krankgeschrieben, während die Älteren eher selten fehlen, dafür aber länger“, sagt Doc Esser, Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie. „In der Pandemie sind viele Menschen dafür sensibilisiert worden, nicht mit einem grippalen Infekt oder anderen infektiösen Erkrankungen ins Büro zu gehen. Die junge Generation bleibt dann eher zu Hause, hat auch eine gesteigerte Selbstachtsamkeit, sagt sich: Ich mache nicht mehr alles mit, ich gucke, dass es mir besser geht.“

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwischen 50 und 68 Jahren hingegen gingen „lieber mit dem Kopf unterm Arm zur Arbeit“, erläutert Doc Esser: „Sie bleiben nur zu Hause, wenn es nicht mehr anders geht“. Es sei jedoch deutlich gesünder, sich einen Tag oder zwei freizunehmen oder im Homeoffice zu bleiben, wenn man tendenziell ansteckend ist. „Das reduziert die Ansteckungsgefahr und die Gefahr einer chronischen Überlastung.“

Überlastung der Pflege

Als Krankschreibungsgründe führen Rheinland-weit die Atemwegserkrankungen die Liste an. Gut jede vierte Krankschreibung erfolgte 2023 wegen dieser Diagnose. Es folgen Muskel-Skelett-Erkrankungen mit 13,7 Prozent. Auffällig ist ein deutlicher Anstieg der Verdauungserkrankungen, der Infektionen sowie der psychischen Erkrankungen. Im Jahr 2023 lagen alle drei Diagnosen bei den Gründen für eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung etwa um zehn Prozent höher als im Jahr zuvor.

Auch in den jeweiligen Branchen unterscheiden sich die Krankenstände teils erheblich. Am meisten krankheitsbedingte Ausfälle zählt man in der Pflegebranche sowie in der Metallerzeugung. Dort sind mehr als neun von hundert Arbeitnehmer am Tag krankgeschrieben. Mit großem Abstand führen die Beschäftigten in der stationären und ambulanten Pflege das Ranking bei den diagnostizierten psychischen Erkrankungen an. Auch in den Kitas und Schulen war ein deutlicher Anstieg der AU-Fälle infolge psychischer Diagnosen zu verzeichnen (plus 17 Prozent). Von Atemwegserkrankungen sind die Beschäftigten in Kitas und Schulen ebenfalls besonders betroffen. Hier belegen die Zahlen ein Plus von 11 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022.

„Der sehr hohe Krankenstand in Pflege- und Heilberufen ist zum einen auf die deutliche Überlastung in diesen Berufen zurückzuführen, auf die mangelnde Lebensqualität, die sich aus dem Schichtsystem ergibt“, sagt Doc Esser. „Zum anderen aber auch auf den hohen Anspruch derer, die die Hilfe benötigen. Die Berufe sind nicht unattraktiv, aber sehr anstrengend. Das macht Menschen, die in der Pflege arbeiten, extrem anfällig.“

Den niedrigsten Krankenstand hat das Gastgewerbe, die Branchen Dienstleistungen sowie Information und Kommunikation. Dort sind weniger als fünf Prozent der Mitarbeitenden pro Tag krank.

Unabhängig von der Branche gilt laut Doc Esser: „Wir sind alle sehr fragil, was unsere Psyche angeht. „Das liegt auch daran, dass wir die Pandemie noch in den Knochen stecken haben, aber auch an der Fragilität der Welt, an den großen Konflikten. Sie sorgen für Ängste und Unsicherheit, zusätzlich zu dem schon bestehenden Stress im Privatleben und Job.“

Den deutlichen Anstieg von Verdauungserkrankungen ist dem Kölner Arzt zufolge eine logische Konsequenz. „Generell steigt die Häufigkeit funktioneller Erkrankungen. Alles andere wäre auch unlogisch – dass sich eine psychische Überbelastung auf Organe ausbreiten kann, ist nichts Neues.“ Sätze wie „Mein Herz ist gebrochen“, „Das geht mir zu Herzen“ oder „Liebe geht durch den Magen“ spiegelten tatsächlich wider, was passieren könne, wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, sich zu entschleunigen, zu entstressen. „Hinzu kommt, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung einen sehr ungesunden Lebensstil hat“, sagt Doc Esser. Wer ihn kenne, wisse, dass er stets predige: „Regionale, saisonale Ernährung plus viel Sport, kann sehr viel für die Gesundheit tun. Wer sich entschleunigt, wer selbstachtsam ist, hat ein deutlich geringeres Risiko für funktionelle Organstörungen.“

Hitze sorgt Doc Esser

Aktuell forsche er zum ewigen Leben, erzählt er im Gespräch. Wenn er bei seinen Recherchen mit älteren Menschen darüber spreche, wie es sie es geschafft hätten, alt zu werden, dann steckten dahinter keine Wunderwerke: „Das Geheimnis liegt darin, dass sie immer in Bewegung waren, gut und gesund gegessen haben, aber zusätzlich auch sozial immer eingebunden waren und optimistisch in die Zukunft geschaut haben. Die Kombination aus allem kann unheimlich helfen, das Immunsystem zu unterstützen.“

Die Zunahme von Atemwegserkrankungen besorge ihn nicht, sagt der Facharzt. Man müsse sich immer wieder vergegenwärtigen, dass es mehrere hundert virale Auslöser gebe, die das ganze Jahr unterwegs seien. „Viele Menschen konnten außerdem ihr Immunsystem in den vergangenen Jahren der Isolation nicht trainieren“, sagt Doc Esser. Für Asthmatiker und Allergiker sei obendrein schwierig, dass Allergene aktuell „deutlich aggressiver und länger zu finden“ seien. „Aufgrund der viel wärmeren Winter gibt es deutlich längere Blütezeiten. Da beginnt die Belastung nicht mehr erst am Februar oder März, sondern schon Ende Dezember, Anfang Januar, und sie reicht deutlich länger in den Sommer hinein als bislang.“

Sorge treibe ihn durchaus an Hitzetagen um, wie es sie in dieser Woche mit bis zu 37 Grad Lufttemperatur gab. „Da steigt die Sterblichkeit bei älteren Menschen erheblich an. Ältere Menschen, aber auch Kinder und Kleinkinder müssen vor diesen wahnsinnigen Temperaturen geschützt werden.“ Das sei jedoch keinesweges einfach, weil die Belastung schon für einen gesunden Menschen enorm sei. Das Herz schlage schnell, der Puls sei höher, man sei schneller ermattet, könne nicht die gleiche Leistung bringen wie sonst. „Versetzen Sie sich da erst in Menschen mit einer Herz- oder Lungenerkrankung! Meine Patienten mit einer Lungenerkrankung, meist COPD oder Asthma, erfahren gerade eine deutliche Verschlechterung“, sagt Doc Esser. „Der Rückzug in dunkle, kühlere Räume ist angesagt. Gerade älteren Menschen sollte ein Glas Wasser hingestellt werden.“

In Krankenhäuser kämen an solchen Hitzetagen regelmäßig Menschen, die aufgrund zu wenig Flüssigkeitsaufnahme „im wahrsten Sinne des Wortes vertrocknet“ seien. Herzpatienten müssten zudem aufgeklärt werden, dass ihre Tabletten auch entwässernd wirken. In vielen Fällen, so der Mediziner, sollte die Medikation angepasst oder pausiert werden.