Frank Wagener, 54 Jahre alt, Landarzt in Brilon im Sauerland, leitet ein Medizinisches Versorgungs-Zentrum (MVZ), in dem auch zwei Kollegen jenseits des Rentenalters mithelfen. Ein Protokoll.
Leben als Landarzt„Ich bin da angekommen, wo ich mich am wohlsten fühle“
„Ich habe Anfang 2022 eine Hausarztpraxis in Brilon übernommen, inzwischen leite ich das MVZ, zu dem die Praxis gehört. Das ist eine gängige Organisationsform. Manchmal sind fachfremde Investoren beteiligt, dann ist das Konstrukt zum Geldverdienen da. Aber es gibt auch solche Läden wie uns, wir sind genauso wie das Krankenhaus in Brilon in kommunaler Trägerschaft und wurden zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung gegründet. Die war hier zeitweise gefährdet. Und auch in Zukunft könnte es wieder knapp werden.
Ich bin seit 1998 Arzt und hatte mich zunächst für die Orthopädie entschieden. Den Facharzt konnte ich aber aufgrund eines Verkehrsunfalls nicht abschließen. Dann habe ich einige Zeit in der diagnostischen Radiologie gearbeitet und bin schließlich Facharzt für Innere Medizin geworden. Diese Entscheidung für ein Landarzt-taugliches Fachgebiet hatte bei mir biographische Gründe: Mein Vater und meine damalige Lebensgefährtin waren gestorben, deshalb wollte ich in meiner Heimat im Sauerland in der Nähe meiner Mutter arbeiten.
„Man begleitet seine Patienten viel enger, das Vertrauensverhältnis ist größer“
Die Arbeit macht mir Riesenspaß. Das Verhältnis zu den Patienten ist sehr eng. Ich bin hier zu einer Zeit des absoluten Ärztenotstands eingestiegen. Mein Vorgänger in der Praxis war ein sehr beliebter, sehr mit der Region verbundener Hausarzt des alten Schlages. Er war von morgens um sieben bis abends um zehn für seine Patienten erreichbar, hat viele geduzt, war freundschaftlich mit ihnen verbunden. Als er starb, entstand eine große Lücke. Den Mann können wir nicht ersetzen, aber ich glaube, die Lücke konnten wir schon etwas füllen.
Alles hier ist weniger anonym als in der Stadt. Man begleitet seine Patienten viel enger, das Vertrauensverhältnis ist größer. Man begegnet sich auch auf der Straße, beim Bäcker, im privaten Umfeld. Das muss man natürlich mögen. Ich lebe im Nachbarort, das sind rund 20 Minuten Fahrt. Insofern habe ich schon die nötige Nähe, aber es klingelt niemand nachts bei mir an der Haustür. Der Alltag als Hausarzt ist heute aber schon allein deshalb etwas einfacher, weil es in NRW einen organisierten Notfalldienst gibt. Das wird nicht mehr von den Hausärzten regional organisiert. Wir haben einen geregelten Feierabend.
„Ich habe Sorge, dass nicht genug junge Ärztinnen und Ärzte nachkommen“
Ich mache an einem Nachmittag in der Woche Hausbesuche. Da fahre ich in Altenheime und zu einer Wachkoma-Station. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen mit Recht, dass sie zu viel zu tun haben, um das zu schaffen. Aber ich sehe das als Teil des hausärztlichen Profils an. Das sollte man machen. Ich habe einige Patienten, die immer in die Praxis kamen, irgendwann aber in eine Pflegeeinrichtung umgezogen sind. Ich finde es gut, wenn sie dann nicht auch noch den Hausarzt wechseln müssen. Das ist für mich eine sehr befriedigende Sache. Ich kann meine Patienten bis zum Ende begleiten.
Angefangen habe ich hier allein, inzwischen arbeiten in meinem MVZ vier weitere Kolleginnen und Kollegen. Damit ist die Mangelsituation erstmal behoben. Drei von uns haben noch eine berufliche Restlaufzeit von über zehn Jahren. Aber zwei sind auch schon im Rentenalter. Beide haben in der Notsituation entschieden, dass sie noch fit genug sind und helfen können. Aktuell sind wir damit gut aufgestellt, aber insgesamt habe ich schon die Sorge, dass wir nicht schnell genug die Kurve kriegen, dass nicht genug junge Ärztinnen und Ärzte nachkommen, die auf dem Land arbeiten wollen.
Ich kann das Landarzt-Leben nur empfehlen: Das Verhältnis zu den Patienten ist enger, unsere Klientel ist sehr dankbar und weniger anonym. Hier bei uns ist die Umgebung landschaftlich absolut reizvoll, der Freizeitwert ist sehr hoch. Trotzdem sind wir nicht so weit weg von kulturellen Zentren, wir sind nicht abgeschnitten. Hier draußen lebt es sich stressfreier. Ich bin nach mehreren Wegen in andere Richtungen da angekommen, wo ich mich am wohlsten fühle.“