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Alsdorfer Paar lebt mit MinischweinenWenn das Wohnzimmer zum Saustall wird

Lesezeit 5 Minuten

Minischweine sind bis zu 100 Kilo schwer und als Heimtiere beliebt. Besuch in einem Wohnzimmer, das jetzt auch ein bisschen Schweinestall ist.

Gerda, Theo und Magda haben ganze Arbeit geleistet. Einen Monat hat es gedauert, bis die drei Freunde den Blumenrabatten-um-Rasenviereck-Reihenhausgarten komplett umgerüsselt haben. Nun beginnt hinter der Terrassentür in der Siedlung in Alsdorf bei Aachen, wo die Häuser sonst wie gekämmte Schulkinder am Wegesrand stehen, eine Schlammwüste. Der Matsch gluckst bei jedem Gummistiefelschritt.

In einer braunen Pfütze spiegeln sich die letzten drei Osterglocken, die wie durch ein Wunder dem Arbeitseifer der drei kräftigen Bewohner trotzen. Über allem thront ein hölzernes Vogelhäuschen. Es ist kurz nach elf Uhr. Gerda bulldozert zum Wohnzimmer rein, Zeit fürs zweite Frühstück und da will die 80-Kilogramm-Dame die Erste sein. Wie immer. „Gerda ist das Machtschwein“, sagt Tanja Basdorf und lacht. „Wenn sie nicht diejenige ist, die am meisten zu fressen kriegt, dann gibt es Kasalla.“

Die Familie Basdorf und Reiß hat ihr Zuhause zum Reihenhaus-Bauernhof gemacht

Tanja Basdorf und Oliver Reiß sitzen in ihrer Küche. Über ihnen an der Wand ein riesiger silberner Bullenschädel, Motorradkennzeichen aus Illinois, Quebec, Iowa, Arkansas, Missouri. Weite Welt. Zu ihren Füßen schnorcheln die feucht glänzenden Schweinenasen bodennah über den Teppich, ständig auf der Suche nach Essbarem. Krümel, das Haushuhn flattert auf den Tisch und setzt sich neben die Kaffeetasse. „Irgendwann wollen wir einen Bauernhof“, sagt Oliver Reiß und fährt sich mit der Hand durch den weißen Rauschebart.

„Mit einem Esel, Kühen und Wollschweinen“, ergänzt Basdorf und kuschelt ihren Kopf auf Magdas borstigen Rücken. Erstmal aber ist Kompromiss angesagt. Und der bedeutet eben: Suhle statt englischem Rasen hinterm Reihenmittelhaus. Aber auch Minischweine statt Schweine. Denn auch wenn Gerda, Theo und Magda gewichtsmäßig jeder ausgewachsenen Dogge das Wasser reichen können, handelt es sich bei ihnen laut Bezeichnung um eine Miniaturausführung. Stadttauglicher Kleinwagen würde man beim Auto sagen.

03.04.2023, Aachen: Zu Besuch bei Tanja Basdorf und Oliver Reiß, die im Garten ihres  Reihenhauses drei Hausschweine und zahlreiche Hühner halten.

Foto: Michael Bause

Mit Sauberkeit ist Schluss, wenn die gewaltigen Minischweine mit ihm Haus leben.

Der Reihenhaus-Bauernhof von Familie Basdorf und Reiß hat sich langsam vergrößert. Erst waren da nur die drei Meerschweinchen Jucki, Wilma und Sid, die noch immer im mehrstöckigen Holzkäfig neben der Terrassentür leben. Die Dogge, mit Namen Baron, dann ein Minischwein als ebenbürtiger Freund. Irgendwann fand Tanja Basdorf beim Fahrradfahren auf einem Feld tote Hühner und darunter vier noch lebende Küken. „Die hab ich dann mit nach Hause genommen und wir haben sie hier in einem Wännchen im Wohnzimmer aufgezogen“, sagt Basdorf stolz.

Nicht alle haben es geschafft. Aber Krümel kopfwackelt noch immer durch die Wohnung. Und legt als Dank jeden Tag ein Ei in den Meerschweinchenkäfig. Draußen scharren die Hühnerkolleginnen Knubbel, Sissi, Mimi, Hanny und Daisy. Der Baron ist mittlerweile verstorben, also mussten neue Freunde für das Minischwein her. Und so kam Theo zu seinen Mitbewohnerinnen Magda und Gerda. Man könnte auch sagen, Chefinnen. „Bei Schweinen haben die Weiber das Zepter in der Hand“, sagt Oliver Reiß. „Männer haben da nichts zu sagen.“

Minischweine – der Name führt in die Irre

Minischweine. Der Name könnte wie gesagt in die Irre führen. Auch robuste 100-Kilogramm-Kaventsmänner laufen noch in der Niedlichkeitskategorie der Schweinearten. Der ursprüngliche Grund für die Kleinzüchtung der Schweine ist auch wenig possierlich. In den 1940er Jahren wollte man in den USA ein handliches Versuchsschwein für humanmedizinische Untersuchungen entwickeln, das bei Tests auf geringere Medikamentendosen anspricht.

Heraus kam das Minnesota-Minischwein, aus dem durch Kreuzung mit dem Vietnamesischen Hängebauchschwein das Göttinger Minischwein entstand. Laut Gesetz gelten Minischweine nicht als Haus-, sondern als Nutztiere: Das Veterinäramt muss zustimmen, pro Tier sind etwa 100 Quadratmeter Fläche vorgeschrieben.

03.04.2023, Aachen: Zu Besuch bei Tanja Basdorf und Oliver Reiß, die im Garten ihres  Reihenhauses drei Hausschweine und zahlreiche Hühner halten.

Foto: Michael Bause

Auch Huhn Krümel lebt im Reihenhaus.

Alle heute erhältlichen Minischweine gehen letztendlich auf alte Wildschweinrassen zurück. Und das macht sich auch im Reihenhaus bemerkbar. „Die Tiere haben eine immense Kraft“, sagt Oliver Reiß. Sie haben schon Küchenschubladen rausgerissen, weil sie Kartoffeln darin witterten, sie bekommen die Kühlschranktür auf und „wenn die einen anstupsen, hinterlässt das schon mal blaue Flecken“. Und ein Spielzeug seien Minischweine schon gar nicht. „Kinder würde ich da nicht unbeobachtet dran lassen. Da ist schneller ein Finger weg, als man gucken kann“, sagt Basdorf. „Wenn die zur Tür reinwollen, dann beamen die mich einfach weg mit ihrer Nackenkraft“, ergänzt Reiß.

03.04.2023, Aachen: Zu Besuch bei Tanja Basdorf und Oliver Reiß, die im Garten ihres  Reihenhauses drei Hausschweine und zahlreiche Hühner halten.

Foto: Michael Bause

„Sie sind lieb, neugierig, schmusig und ganz starke Persönlichkeiten“, sagt Tanja Basdorf über ihre Minischweine.

Als Magda und Gerda zu Basdorf und Reiß kamen, waren sie so dick „da konnte man die Augen nicht sehen“, sagt Basdorf. Früher wohnten die beiden Damen bei einem belgischen Koch, da standen häufiger mal Pommes frites auf dem Speiseplan. In Alsdorf ist jetzt Abspecken angesagt. Was das bei Tieren ohne jegliches Sättigungsgefühl halt so heißt: 25 Kilogramm Grundfutter und 10 Heuballen im Monat, dazu 40 Kilogramm Möhren die Woche.

Das Leben mit Minischweinen erfordert Opfer

Wer sein Leben in der Gesellschaft von Minischweinen verbringen will, muss einige Opfer bringen. Eine gute Vorbereitung mit entsprechender Literatur sei vonnöten, schließlich müsse man „Ohrenspiel, Schwanzspiel und die Laute“ entsprechend dekodieren können. Durchgängig saubere Wohnzimmerböden kann man ad acta legen. Urlaube auch. „Wenn wir arbeiten, sind die Tiere von acht bis 16 Uhr alleine, das ist kein Problem. Länger würde ich nicht wegbleiben“, sagt Reiß. Auch nachts müssen Schweinehalter mitunter Einschränkungen hinnehmen. „Die schnarchen wie Hulle“, sagt Reiß.

03.04.2023, Aachen: Zu Besuch bei Tanja Basdorf und Oliver Reiß, die im Garten ihres  Reihenhauses drei Hausschweine und zahlreiche Hühner halten.

Foto: Michael Bause

Den Garten haben die Tiere völlig umgepflügt.

Aber die wuchtigen Wühler gäben ja auch viel zurück. „Sie sind lieb, neugierig, schmusig und ganz starke Persönlichkeiten“, sagt Tanja Basdorf. Gerda ist die Drama-Queen, Magda das Sensibelchen, Theo liebt es, „geknüddelt“ zu werden. „Ich liebe ihr Wesen. Sie sind ehrlich und sozial“, ergänzt ihr Lebensgefährte. „Und eigentlich sind sie reifere Persönlichkeiten als der Mensch. Sie machen aus ihren eigenen vier Wänden einen Saustall, aber sie machen den Rest der Umwelt nicht kaputt.“

Auch Tanja Basdorf und Oliver Reiß, AC/DC-Liebhaber und ehemalige Harley-Fahrer, führen ein umsichtigeres Leben, seit Gerda, Theo und Magda bei ihnen wohnen. Ihr Traum wäre ein Gnadenhof für Tiere, die nicht mehr gebraucht werden. Und Fleisch kommt nur noch ganz selten auf den Tisch. „Wenn ich da mit meinem Steak sitze und Theo oder Krümel kommen vorbei, dann gucken die mich an und ich denke: Oje, da ess ich jetzt deinen Kumpel. Das geht irgendwie gar nicht.“