Nach Kutschatys Rücktritt als SPD-Chef übernimmt Marc Herter im Interim. Was er von einer Doppelspitze hält und wie die NRW-SPD zu alter Kraft finden kann, erklärt Herter im Interview.
Interims-Chef der NRW-SPD im InterviewSo will die NRW-SPD Wüst schlagen
Marc Herter hat übergangsweise die Führung der NRW-SPD übernommen. Das hat der Landesvorstand der Partei am Wochenende bei einem Treffen in Dortmund beschlossen. Der 48-Jährige übernimmt die Amtsgeschäfte von Thomas Kutschaty, der in der vergangenen Woche zurückgetreten war.
Der Jurist ist Oberbürgermeister von Hamm und Vorsitzender der SPD-Region Westliches-Westfalen, die beim Parteitag die meisten Delegierten hat. Herter verfügt über eine lange landespolitische Erfahrung und ist in Düsseldorf bestens vernetzt. Er war von 2011 bis 2018 Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Landtag, verlor jedoch 2018 eine Kampfabstimmung um die Wahl zum Fraktionsvorsitzen gegen Thomas Kutschaty. Somit scheiterte der Plan der damaligen SPD-Spitze, Herter zum Spitzenkandidaten für die NRW-Wahl 2022 aufzubauen. Jetzt – fünf Jahre später und nach dem Scheitern Kutschatys – liegen die Fäden in Herters Hand.
Herr Herter, die NRW-SPD ist in der Opposition nicht richtig in Tritt gekommen. Woran liegt das?
Marc Herter: Wir hätten alle gemeinsam stärker darauf drängen müssen, dass unsere Erfahrungen vor Ort in den Kommunen auch auf Landesebene eine zentrale Rolle spielt. Das, was uns stark macht, ist die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern. Uns muss einfach mehr beschäftigen, was in den Familien am Abendbrottisch gesprochen wird. Das wendet die Blickrichtung dann übrigens auch klar nach vorne. Was wollen wir neu, anders und besser machen? Also: Was ist alles schief gelaufen in den vergangenen Jahren? Präsidium und Landesvorstand der NRW-SPD haben sich am Freitag verständigt, die anstehende Diskussion darüber mit der erforderlichen Ruhe und der gebotenen Ernsthaftigkeit zu führen. Die notwendige Zeit dazu werden wir uns nehmen.
Die Partei erlebt mit dem Führungswechsel eine Zäsur. Was muss geschehen, damit der Landesverband wieder zur Herzschlagkammer der Bundespartei wird? Und wie stehen die Chancen, das Ziel zu erreichen?
Wir haben alle Chancen, wieder führende politische Kraft in NRW zu werden, wenn wir uns jetzt zusammenreißen. Die NRW-SPD war immer so etwas wie die Erdung auch der Bundespartei. Das hat unsere tiefe Verwurzelung vor Ort und vor allem in der Arbeitnehmerschaft mit sich gebracht. Sich auf diese Grundtugend zu besinnen, sie aber auf der Höhe der Zeit in praktische Politik umzusetzen, ist nach meinem Dafürhalten so etwas wie der strategische Schlüssel für die nächsten Jahre. Dabei muss klar sein: Die Summe der Minderheiten ist nicht zwangsläufig die Mehrheit. Die findet die NRW-SPD weiterhin bei den fortschrittlichen Kräften in der Mitte der Gesellschaft.
Unsere Convention im Mai wird der Auftakt für die notwendige strategische Neuaufstellung sein. Gleichzeitig kann jeder sicher sein: Wir gehen jetzt nicht mit uns selbst in Klausur – bei der lahmenden wirtschaftlichen Dynamik in NRW, dem schleppenden KiTa-Ausbau und der fehlenden OGS-Perspektive – um nur drei Punkte zu nennen – bleiben wir auf dem Platz.
Johannes Rau und Hannelore Kraft waren volksnahe Parteichefs. Welche Eigenschaften muss eine Politikerin oder ein Politiker mitbringen, die oder der Hendrik Wüst schlagen will?
Ich kenne viele sehr volksnahe Vertreterinnen und Vertreter meiner Partei im Landtag, im Bundestag ebenso wie in den Städten und Gemeinden. Gerade erst im Januar ist mit Ali Dogan genau ein solcher zum neuen Landrat im Kreis Minden-Lübbecke gewählt worden. Bürgerinnen und Bürger haben ein gutes Gespür dafür, wer sie ernst nimmt und wer konkrete Lösungen für ein gutes Leben schafft. Und Sie haben Recht, solche prägenden Persönlichkeiten hat die Sozialdemokratie immer wieder hervorgebracht.
Bei den Kommunalwahlen haben sie mit einem Blitzwahlkampf den alteingesessenen CDU-Amtsinhaber geschlagen. Gibt es ein Erfolgsrezept, das sich die Partei für den Landtagswahlkampf abgucken kann?
Jeder Wahlkampf ist ein Unikat und natürlich wird niemand seine Erfolgsstrategien auf dem Markt ausbreiten. Aber wir haben in Hamm sehr gut zugehört, was die Bürgerinnen und Bürger wirklich bewegt und daraus einen überzeugenden Politikentwurf gemacht, wie wir die Stadt gemeinsam weiter gestalten wollen. Das kann schon ein Kompass sein für alle politischen Ebenen. Politik ist ja nicht Selbstzweck, sondern ist dazu da, das Leben der Menschen jeden Tag ein Stückchen besser zu machen. Klingt banal, ist aber in Wirklichkeit die größte Leistung, die Politik erreichen kann.
Was halten Sie von einer Doppelspitze für die NRW-SPD?
Ich rate meiner Partei sehr dazu, diese Frage pragmatisch zu entscheiden. Die letzten Jahre – seitdem die Doppelspitze in der SPD grundsätzlich möglich ist – haben gezeigt: Wenn es passt, dann macht eine Doppelspitze durchaus Sinn. Sie dürfen aber nicht zum Selbstzweck werden. Das sieht man schon daran, dass die Doppelspitze der SPD im Bund hervorragend arbeitet. Gleichzeitig hat die überaus erfolgreiche SPD Niedersachsen mit Stephan Weil einen Mono-Vorsitzenden, der gleichzeitig auch noch Ministerpräsident ist.
Ist es wichtig, dass Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand liegen?
Jedenfalls war Franz Müntefering ein überaus erfolgreicher Vorsitzender der NRW-SPD, ohne Vorsitzender der Landtagsfraktion zu sein. Grundsätzlich bietet sich in der aktuellen Situation eine Teamaufstellung an, um die Kraftzentren der NRW-SPD wieder als Motor für NRW zur Geltung zu bringen.
Wäre es hilfreich, wenn der oder die Landesvorsitzende über bundesweite Prominenz verfügen würde?
Ich würde eher sagen, wir hätten eine falsche Personalauswahl getroffen, wenn die neue Spitze der NRW-SPD nicht sehr schnell über bundesweite Prominenz verfügen würde. Ob mitgebracht oder erarbeitet: Wichtig ist, dass die NRW-SPD wieder bundesweit eine starke Stimme bekommt.
Bislang wurden Spitzenpositionen in der SPD nach dem Regionalproporz vergeben. War das hilfreich?
Ich habe fast den Eindruck, dass das Thema Regionalproporz medial schon immer eine größere Rolle gespielt hat, als in der Realität der NRW-SPD. Auch interessengeleitet soll es manche gegeben haben, die mal für, mal gegen die Beachtung regionaler Zugehörigkeiten gesprochen haben. Ich bin und bleibe da ganz klar: So wie es richtig ist, dass die Volkspartei SPD Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung repräsentieren sollte, gilt das auch für die Landesteile. Unser Bundesland ist mit 18 Millionen Einwohnern von wunderbarer Vielfalt geprägt. Die NRW-SPD wäre nicht gut beraten, das nicht mehr widerspiegeln zu wollen.
Sie sind der starke Mann in der Landespartei. Haben Sie Ambitionen, Spitzenkandidat zu werden?
Mein Platz ist in Hamm, das ist keine Frage. Insofern habe ich ganz klar Ambitionen, Spitzenkandidat zu werden: Spitzenkandidat meiner Partei, der SPD in Hamm bei der Kommunalwahl im Jahr 2025. Das ist schon sowas wie ein Lebensjob. Als Oberbürgermeister kann ich gestalten. Den Bürgerinnen und Bürgern begegne ich täglich und sehe die Ergebnisse meines Handelns unmittelbar in der Umsetzung. Das gibt mir viel zurück und erdet mich gleichzeitig ungemein.