In der NRW-AfD brodelt es: Landeschef Martin Vincentz versucht, rechtsextreme Kräfte loszuwerden. Im prominentesten Fall ist er einen Schritt weiter.
Matthias Helferich vor AusschlussEr ist einer der radikalsten in der NRW-AfD – seine Partei will ihn nun loswerden
Es muss eine denkwürdige Sitzung des AfD-Landesvorstands gewesen sein: Ende Mai entschied das Gremium, ein Parteiausschlussverfahren gegen seinen eigenen Beisitzer einzuleiten. Matthias Helferich, der erst im Februar überraschend in den Landesvorstand gewählt wurde, verlor zusätzlich alle Mitgliedsrechte, sein Amt als Beisitzer ruht.
Seit vergangener Woche ist die nordrhein-westfälische AfD um Landeschef Martin Vincentz einen Schritt weiter in dem Versuch, einen ihrer umstrittensten Politiker endgültig herauszuwerfen. Das Landesschiedsgericht bestätigte den Entzug sämtlicher Mitgliedsrechte für den rechtsextremen Bundestagsabgeordneten aus Dortmund. Das Gericht sei davon überzeugt, „dass die vorgetragenen Gründe für einen Parteiausschluss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausreichen“, heißt es in dem Beschluss.
Diese Gründe führt das Schiedsgericht auf neun Seiten aus, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen. Es geht um Posts in den sozialen Medien, einen Duftbaum und Drohungen gegen Parteifreunde.
Nachspiel für „Viecher“-Post
Der jüngste Vorwurf bezieht sich auf ein Foto, das Helferich Anfang Mai auf Instagram gepostet hat. Es zeigt die TV-Figur Karin Ritter als Rückspiegelanhänger, darunter der Schriftzug „Raus mit die Viecher“. Helferich schrieb dazu: „Super. #Remigration“. Karin Ritter und ihre Söhne wurden durch mehrere Auftritte in „Stern-TV“ als „Nazi-Familie“ bekannt - ihr Ausruf „Raus mit die Viecher“ richtete sich gegen Geflüchtete.
Die Verknüpfung des Schriftzugs mit dem Begriff „Remigration“ sei eine „extrem die Menschenwürde verletzende Abqualifizierung von Migranten, die augenscheinlich mit ‚Viechern‘ gleichgesetzt werden“, so das Gericht. Damit, und mit seiner wiederholten Verwendung des Wortes „Remigration“, füge Helferich der Partei Schaden zu. Sie seien geeignet, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster „zum Nachteil der Partei zu bestätigen“. Das OVG hatte im Mai entschieden, dass die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall rechtens ist.
Auch ein Post auf X, ehemals Twitter, hat für den 35-Jährigen ein Nachspiel. Der Abgeordnete hatte zwei junge AfD-Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen verteidigt, gegen die ebenfalls ein Ausschlussverfahren läuft. Sie hatten auf X geschrieben, zwei AfD-Beitrittskandidaten mit türkischem und jesidischem Migrationshintergrund gehörten „abgeschoben“. „Hierdurch brachten sie zum Ausdruck, dass Personen türkischer und jesidischer Herkunft nicht Deutsche werden können“, schreibt das Schiedsgericht. Damit hätten sie gegen das Grundgesetz und das Grundsatzprogramm der AfD verstoßen. Beide Beitrittskandidaten sind deutsche Staatsbürger.
Schiedsgericht wirft Helferich Bedrohung von Parteifreunden vor
Helferich schrieb auf X: „Schlimme Entwicklung im patriotischen Lager. (…) Zwei nette Homos kriegen Druck bei der Alternative NRW, weil sie Jesiden abschieben wollen. Der Landesvorstand muss weg.“ Damit, so das Schiedsgericht, habe Helferich sich die Auffassungen der beiden Parteimitglieder zu eigen gemacht.
In dem Beschluss wird Helferich zudem vorgeworfen, er habe die „Grundsätze der innerparteilichen Solidarität verletzt“: Über mehrere Seiten beschreibt das Gericht Situationen, in denen Helferich andere AfD-Mitglieder meist indirekt bedroht haben soll. Er habe damit gedroht, „ihre in der Vergangenheit liegenden Fehltritte oder vermeintlichen Fehltritte in der Auseinandersetzung mit diesem (partei-)öffentlich verwenden zu wollen“, schreibt das Gericht. „Diese Äußerungen gingen weit über das innerparteiliche Demokratiegebot, das auch scharfe Kritik zulassen muss, hinaus.“ Die Entscheidung über den Parteiausschluss steht noch aus.
Auf Anfrage dieser Zeitung bestreitet Matthias Helferich, Parteifreunde bedroht zu haben. Er habe „lediglich aufgezeigt, dass sich so mancher Protagonist im Landesverband einer bürgerlichen Maskerade bedient“. Den „Viecher“-Post bei Instagram bezeichnet er als „Meme“ – ein lustiges Bild, das in sozialen Netzwerken veröffentlicht wird. „Memes sind wohl keine ernsten politischen Meinungskundgaben“, schreibt Helferich dieser Zeitung. Bei seinen Forderungen nach einer „umfassenden Remigration von kriminellen Ausländern und Ausländern ohne Bleibeperspektive“ habe er stets betont, „dass Deutsche mit Migrationshintergrund hiervon nicht betroffen sind“.
Helferich sieht sich im Machtkampf mit Vincentz
Das Verhältnis zwischen Landeschef Martin Vincentz und Matthias Helferich gilt schon lange als äußerst schlecht. Vincentz präsentiert sich nach außen als moderateres Gesicht der AfD, spricht sich für einen Mitte-Rechts-Kurs seiner Partei aus und geht hart gegen die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Parteijugend vor.
Helferich wählt einen anderen Weg: Er sammelt seine treuesten Anhänger in der Jungen Alternative, setzte sich bei einer Veranstaltung des rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ aufs Podium und pflegt seine Twitter- und Telegram-Kanäle verlässlich mit völkischen Inhalten. Nachdem der Identitäre Martin Sellner infolge der „Correctiv“-Enthüllungen mit einem Einreiseverbot belegt wurde, hielt er am Rednerpult des Bundestags ein Schild hoch, auf dem „Kein Sellner ist illegal“ stand.
Nach dem Bekanntwerden des Ausschlussverfahrens sprach Helferich auf X von einem „Machtkampf“. Er wirft dem Lager um Vincentz gegenüber dieser Zeitung vor, seine Wahl in den Landesvorstand nicht ertragen zu können und diese nun mit dem Parteiausschlussverfahren rückgängig zu machen.
Martin Vincentz erwidert auf Anfrage, Helferich solle „sich nicht selbst überhöhen“. „Als fraktionsloser Abgeordneter kämpft er seit langem, auch mit diversen Grenzübertritten nach ganz rechts außen, um Aufmerksamkeit“, sagt Vincentz. „Hier von einem Machtkampf zu sprechen, ist also falsch. Die Partei trennt sich lediglich von einem unverbesserlichen, destruktiven Querulanten.“
Erster Anlauf, Helferich auszuschließen, scheiterte
Es ist bereits der zweite Versuch, Helferich aus der Partei zu werfen. Der erste scheiterte im Sommer 2021: Damals wurden Chatnachrichten von Helferich öffentlich, in denen er sich unter anderem als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnete. Laut Screenshots, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen, sendete Helferich seinem Chatpartner ein Foto einer Blume und schrieb dazu: „Die Kornblume: geheimes Symbol der Nationalsozialisten während des Verbots in Österreich. Ich züchte sie im Garten.“ „Ich verbinde mit ihr Novalis“, antwortete sein Chatpartner. Helferich erwiderte: „Ich die Erschießung der österreichischen Staatsführung.“ Wenige Wochen später besuchte er eine Wahlparty – mit Kornblume am Anzug. Helferich schrieb in einer Stellungnahme an den Bundesvorstand, er bereue den Auftritt mit Kornblume, habe sie jedoch in Anlehnung an die FPÖ in Österreich getragen.
Der damalige AfD-Chef Jörg Meuthen versuchte daraufhin, ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich einzuleiten. Im Bundesvorstand fand er dafür keine Mehrheit, auch die heutigen Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla stellten sich gegen einen Ausschluss. Stattdessen beantragte Chrupalla eine zweijährige Ämtersperre vor dem Schiedsgericht in NRW. Wegen der Chat-Nachrichten wurde Helferich zudem aus der AfD-Bundestagsfraktion ausgeschlossen.