Ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen wird der grausamen Ermordung der eigenen Tochter angeklagt.
Mehr Kinder in NRW gefährdetDreijährige Tochter starb nach sieben Tagen im Keller – Eltern schweigen
Lea kämpfte dagegen zu ersticken. Das kleine Mädchen, drei Jahre alt, allein in einem Keller der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Dinslaken mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt, war zeitweise auch geknebelt. Sieben lange Tage und Nächte saß sie dort unten, allein mit ihrer Angst. Nur ab und zu kam jemand herunter, etwa um sie zu füttern oder ihr etwas zu trinken zu geben. Nach einer Woche, am 1. Oktober vergangenen Jahres, als zuletzt nach ihr gesehen wurde, war die Kleine tot, lag erstickt in ihrem Erbrochenen.
Die beiden Menschen, die ihr das angetan haben sollen, werden am Donnerstagmorgen mit Handschellen in Saal 201 des Duisburger Landgerichtes geführt. Sascha W. und seine Frau, die Eltern des Kindes, vor ihren Gesichtern halten sie rote DIN-A4-Sammelmappen. Damit es kein Foto von ihnen gibt, auf dem sie zu erkennen wären, trägt der Vater noch eine schwarze Kapuze und die Mutter hat den Kopf mit einem violett und schwarz gemusterten Tuch umwickelt.
„Heimtückisch und grausam gemordet“
„Gemeinschaftlichen Mord aus niederen Beweggründen, heimtückisch und grausam“, nennt die Staatsanwältin das Verhalten der beiden bei der Anklageverlesung. Weil sie ihnen „lästig“ gewesen sei, hätten die 40-Jährigen ihre Tochter derart malträtiert. Die in Südkorea geborene Mutter habe ihren Ehemann „mehrfach zur Tatausführung ermuntert“, so die Staatsanwältin. Die Eltern, die zum Prozessauftakt schwiegen und keine Fragen beantworteten, hätten die Misshandlungen dann sogar noch als „pseudoerzieherische Maßnahmen“ verbrämt.
Der angeklagte Vater hatte die Leiche seiner Tochter mit Gewichten beschwert im Rhein-Herne-Kanal bei Oberhausen versenkt, wo sie später von Tauchern geborgen wurde. Wohl geplagt von seinem Gewissen oder aus Angst vor einer baldigen Enttarnung, hatte er sich anschließend der Polizei gestellt. Die Leiche wurde dann von Tauchern geborgen. Der Prozess ist auf sieben Verhandlungstage angesetzt. Mit den Urteilen ist voraussichtlich Mitte Mai zu rechnen.
57.000 Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährung in NRW
Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt gegen Kinder nimmt ständig zu. Den nordrhein-westfälischen Jugendämtern wurden im Jahr 2022 knapp 57.000 Verdachtsfälle auf eine Kindeswohlgefährdung gemeldet. Das waren 2,8 Prozent mehr als 2021. Die Zahl der Verfahren ist damit mehr als doppelt so hoch wie 2012.
Wie das Statistisches Landesamt mitteilt, wurde in 14,3 Prozent der Fälle eine akute Gefährdung und bei elf Prozent der Einschätzungen eine latente Gefährdung ermittelt. Bei einer latenten Gefährdung lässt sich die gegenwärtige Gefahr nicht eindeutig feststellen. In 19.670 Fällen (34,6 Prozent) wurde zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein Hilfebedarf festgestellt. Die meisten Verfahren wurden nach Hinweisen von Polizei, Gerichten oder Staatsanwaltschaften eröffnet. Insgesamt geben Mädchen etwa doppelt so häufig wie Jungen selbst den Hinweis auf ihre Gefährdung.
Stadt Köln hat 300 Millionen Euro für Erziehungshilfen ausgegeben
Wenngleich es landesweit noch keine Daten für das vergangene Jahr gibt, wurden diese vom Jugendamt Köln in seinem Zuständigkeitsbereich bereits ermittelt. Demnach wurden hier 4859 Fälle gemeldet, in denen Kinder mutmaßlich in Not oder gefährdet waren – im Schnitt 13 pro Tag. So viele wie seit Jahren nicht mehr. Die Entwicklung habe auch mit den Folgen der Pandemie zu tun, berichtet Jugendamtsleiterin Dagmar Niederlein.
Die gute Nachricht: Mehr als die Hälfte der Meldungen im Vorjahr erwies sich nach der Überprüfung als falscher Alarm. In knapp 600 Fällen allerdings stellten die Fachkräfte fest, dass ein Kind tatsächlich in Gefahr schwebte, in weiteren 369 Fällen habe eine „latente Kindeswohlgefährdung“ vorgelegen. Durchschnittlich vier Kinder oder Jugendliche pro Tag nahm das Jugendamt zumindest vorübergehend in Obhut. In den allermeisten Fällen sei es gelungen, die Jungen und Mädchen schon nach kurzer Zeit wieder ins Elternhaus zurückzugeben, so Niederlein. Insgesamt 300 Millionen Euro hat die Stadt Köln im Vorjahr für Maßnahmen in der Erziehungshilfe ausgegeben, 34 Millionen mehr als 2022 – Tendenz weiter steigend.
Wenn Säuglinge oder Kleinstkinder die Opfer sind, kommt die Hilfe aber oft zu spät. In Kleve, Bielefeld, Essen und Paderborn beispielsweise wurden in den vergangenen Monaten Väter festgenommen oder verurteilt, weil sie ihre Babys totgeschüttelt oder anders getötet haben sollen. Aber auch ältere Kinder sind vor Mord und Totschlag nicht sicher. In Bonn wurde vor vier Wochen eine Mutter verhaftet, die ihre sechsjährige Tochter erstickt oder erdrosselt haben soll.
Höchststrafe liegt bei 15 Jahren Haft
Die Höchststrafe für schwere Kindesmisshandlungen beträgt 15 Jahre Haft. Im vergangenen Jahr verurteilte das Landgericht Mönchengladbach einen Vater zu 13 Jahren Gefängnis. Der heute 25 Jahre alte Mann hatte Anfang 2021 seinen kleinen Sohn kurz nach der Geburt über Wochen massiv und lebensgefährlich verletzt. Auch seine damals 17 Monate alte Tochter hatte er misshandelt und erheblich verletzt.
„Und das nur, um seine Ruhe zu haben“, sagte die Vorsitzende Richterin im Prozess, „mit den fast schlimmsten Misshandlungen, die man sich vorstellen kann“. Selbst als die Vertreterin des Jugendamts die schweren Hirnschäden des misshandelten Sohnes und die massiven psychischen Probleme der traumatisierten Tochter beschrieb, zeigte der Angeklagte keine Reaktion, berichten Prozessbeobachter.