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Konflikte im RuhrgebietMutmaßlicher Schleuser-Chef aus Wuppertal lockte Syrer mit Lügen

Lesezeit 5 Minuten
Europol Operation "Pathfinder", gegen Schleuser aus Syrien

Eng gepfercht sitzen syrische Flüchtende in einem Transporter.

Bis zu 10.000 Euro kostete der Transit die Flüchtenden. Im Ruhrgebiet angekommen, konkurrieren viele Syrer mit libanesischen Gruppen.

Der 29. Juli 2021 ist ein Tag zum Feiern. „Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen. Am heutigen Tag ist die Einreise in Österreich erfolgt“, schreibt ein syrischer Schleuser seinem Boss in Wuppertal, anbei ein Selfie mit Mitreisenden. „Das sind die Fahrgäste. Vielen Dank Jungs für Eure Mühe! Das war eine sehr angenehme Reise!“ Ununterbrochen sei man gefahren. An keiner Grenze zwischen Serbien und Wien habe es Kontrollen gegeben. Über Österreich soll es weiter zu syrischen Communitys auf der Rhein-Ruhr-Schiene gehen.

„Jungs, ihr seid die Besten!“, schreibt der Schleuser noch. Die Grüße richteten sich den Ermittlungen der Düsseldorfer Polizei zufolge an den mutmaßlichen Drahtzieher mit dem Aliasnamen Abu Ali. Der Mann operierte auf etlichen illegalen Geschäftsfeldern. In Wuppertal nannte er sich selbst „Bürgermeister der Araber“, weil er auf eingereiste Landsleute aus seiner ostsyrischen Heimatregion in Deir ez-Zor großen Einfluss ausübte.

Abu Ali zu langjähriger Haftstrafe verurteilt

Oft gab der einstige Kommandeur der Terror-Gruppe Jabhat al-Nusra den Friedensrichter bei gewaltsamen Konflikten zwischen kurdisch-libanesischen Familien oder in den eigenen Reihen. Abu Ali drehte das große Rad. Räuberische Erpressung, Geldwäsche, Geiselnahme, Überfälle, Sozialbetrug bis hin zur Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Der einstige Dschihadist, inzwischen vom OLG Düsseldorf zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilt, firmierte als Inbegriff eines neuen vielseitigen Players in der arabischen Unterwelt hierzulande.

Abu Ali, Schleuser aus Wuppertal, bei einem Prozess am OLG Düsseldorf, bitte immer pixeln

Der Wuppertaler Abu Ali beim Terror-Prozess gegen ihn am Oberlandesgericht Düsseldorf.

Kriminelle syrische Familiensyndikate insbesondere aus dem Gouvernement Deir ez-Zor fassen seit 2015 im Ruhrgebiet und in bergischen Städten wie Wuppertal und Solingen zunehmend Fuß. Die Gruppen stoßen in ihren neuen Wohnstätten auf besetztes Terrain. Oft geben kurdisch-libanesische Großfamilien den Ton an. Teils stammen etwa Ableger des bundesweit auf 3000 Mitglieder geschätzten mächtigen Al-Zein-Clans mit dem Nachnamen Hassan ebenfalls aus der syrischen Region Deir ez-Zor. Experten bei der Essener Kripo glauben, dass die Auseinandersetzungen aus der Heimat sich auch in Deutschland fortsetzen.

Kleine Konflikte münden in Straßenschlachten

Im Kern geht es um Macht, Einfluss oder die Frage: Wer lenkt die Dealer auf der Straße? Da eskalieren die Interessenlage, mitunter wachsen sich Konflikte aus marginalen Gründen zu Straßenschlachten zwischen den Platzhirschen und den Neuankömmlingen aus. So geschehen im Juni, als sich tagelang beide Seiten mit einem Großaufgebot auf den Straßen in Castrop-Rauxel, Essen, Gelsenkirchen und anderswo im Ruhrgebiet bekämpften.

Die Lage spitzte sich durch Aufrufe in den sozialen Netzwerken zu. Hetzer posierten großspurig im Netz mit Waffen und riefen zu Angriffen auf, um dem Gegner mal richtig einzuheizen. Beide Parteien mobilisierten ihre Anhänger, rotteten sich mit Messern, Baseballschlägern nebst mit Nägeln gespickten Dachlatten zusammen und gingen aufeinander los. Neun Kontrahenten wurden allein in Castrop-Rauxel verletzt, ein Syrer musste nach einem Stich in den Brustkorb notoperiert werden. Polizeikontrollen förderten Macheten, Schusswaffen nebst einer Maschinenpistole zutage. Am Abend des 19. Juni rammte ein 24-jähriger Deutsch-Libanese nach einem Streit einen 20-jährigen Syrer mit seinem Wagen. Das Opfer überlebte schwer verletzt.

Nach den Feindseligkeiten riefen Mitglieder eines Schleusernetzwerks namens Al-Sarawi laut dem Landeskriminalamt NRW im Netz zu Racheakten auf. Nach den Erkenntnissen stammten etliche Menschenschmuggler ebenfalls aus der ostsyrischen Stadt Deir ez-Zor.

Das Schleusernetzwerk füllt ein Machtvakuum

Die Grenzschützer der Bundespolizei haben die Schleuser längst auf dem Schirm. Das Al-Sarawi-Netzwerk füllt den Angaben zufolge mittlerweile ein Machtvakuum, das vor gut einem Jahr nach einer internationalen Razzia gegen Köpfe einer syrischen Schleusermafia durch eine von Europol gesteuerte Task Force „Pathfinder“ entstand. Die Bundespolizei hatte das Verfahren im August 2021 angeschoben, um „einige der gefährlichsten Migrantenschmuggler in der EU ins Visier zu nehmen“. Acht hochrangige Zielpersonen wurden im Juni 2022 festgenommen, ein Großteil in Deutschland, weitere 127 Helfer in Österreich, Serbien, Rumänien, Ungarn und den Niederlanden wanderten ebenfalls in Untersuchungshaft.

Laut Europol verfügen die Bosse „über beste Verbindungen in Herkunfts-, Transit- und Zielländern“. Die Schlepper verlangen demnach zwischen 4000 und 10.000 Euro pro Flüchtling. Den Ermittlungen zufolge füllten Vorgänge über mindestens 10.000 afghanische, pakistanische und syrische Geschleuste die Pathfinder-Akten.

Europol Operation "Pathfinder", gegen Schleuser aus Syrien

Die Ermittler von Europol stellten bei der Operation „Pathfinder“ große Mengen Bargeld sicher.

Das Geschäft lief auf mehreren Ebenen: Per Social-Media-Kanäle jubelten angeheuerte „Moderatoren“ in den Krisenregionen am Hindukusch oder in Syrien via PR-Videos die ungleich besseren Chancen im goldenen Europa hoch. Zugleich suggerierten sie, dass ihr Schleuserweg sicher sei. Das Gegenteil war der Fall. Die Flüchtenden wurden per Lkw, Transporter oder Privatwagen unter teils lebensbedrohlichen Bedingungen von der Türkei durch die Westbalkanregion, Rumänien und Ungarn nach Österreich, Deutschland und in die Niederlande geschmuggelt.

Das Risiko gehört zum täglichen Geschäft

Nach der Operation Pathfinder gewann das Al-Sarawi-Netzwerk laut Bundespolizei „an Bedeutung im Zusammenhang mit Schleusungen über die Balkanroute nach Deutschland sowie in andere EU Mitgliedstaaten in Mittel- und Westeuropa“. Das Syndikat agiert vornehmlich an der serbisch-ungarischen Grenze, „die Bandenmitglieder sind nach hiesigen Erkenntnissen jedoch europaweit aktiv“, teilte ein Sprecher der Behörde mit.

Auf der Balkan-Route gehört das Risiko zum täglichen Geschäft. So auch bei dem mutmaßlichen Schleuserboss und Friedensrichter aus Wuppertal, Abu Ali. Ende August 2021 erreichte ihn die Nachricht von einem Komplizen, dass eine Gruppe „am Transportort“ angekommen sei. Leider gebe es Probleme, weil afghanische Flüchtende zuvor einen Soldaten an der türkischen Grenze getötet hätten. Tage zuvor meldete ein Schlepper, dass seine Leute den Fluss zu einem Waldgebiet in Griechenland überquert hätten. Allerdings habe man den ortskundigen Führer verloren. Auch wimmele es von Soldaten. „Wir können erst abends oder nachts laufen.“

Abu Ali gab Ratschläge oder organisierte über syrische Bekannte Autos, um die Gruppen nach Österreich zu chauffieren. Mitunter aber fühlte sich mancher Fahrer überfordert: „Es sind zu viele Personen. Bruder, es gibt doch so viele Schlepper, die müssen sich nicht alle an mich binden.“

Am 28. August übermittelte ein Vertrauter seinem Boss in Wuppertal eine gute Nachricht: Zunächst hätten die österreichischen Grenzwächter seine Flüchtlingsgruppe aufgegriffen und Fingerabdrücke genommen. Danach habe man die Männer aber wieder freigelassen. Der Trupp befinde sich nun auf dem Weg nach Wien. Abu Ali antwortete begeistert: „Es ist nicht schlimm, es ist doch Europa. Es ist egal, ob es Österreich oder ein anderes Land ist, es ist alles Europa.“